Gedichte Die Revolution

1851

Und ob ihr sie, ein edel Wild, mit euren Henkersknechten fingt;
Und ob ihr unterm Festungswall standrechten die Gefangne gingt;
Und ob sie längst der Hügel deckt, auf dessen Grün ums Morgenrot
Die junge Bäurin Kränze legt – doch sag‘ ich euch: Sie ist nicht tot!

Und ob ihr von der hohen Stirn das wehnde Lockenhaar ihr schort;
Und ob ihr zu Genossen ihr den Mörder und den Dieb erkort;
Und ob sie Zuchthauskleider trägt, im Schoß den Napf voll Erbsenbrei;
Und ob sie Werg und Wolle spinnt – doch sag‘ ich kühn euch: Sie ist frei!

Und ob ihr ins Exil sie jagt, von Lande sie zu Lande hetzt;
Und ob sie fremde Herde sucht und stumm sich in die Asche setzt;
Und ob sie wunde Sohlen taucht in ferner Wasserströme Lauf –
Doch ihre Harfe nimmermehr an Babels Weiden hängt sie auf!

O nein – sie stellt sie vor sich hin; sie schlägt sie trotzig, euch zum Trotz!
Sie spottet lachend des Exils, wie sie gespottet des Schafotts!
Sie singt ein Lied, daß ihr entsetzt von euren Sesseln euch erhebt;
Daß euch das Herz – das feige Herz, das falsche Herz! – im Leibe hebt!

Kein Klagelied! kein Tränenlied! kein Lied um jeden der schon fiel;
Noch minder gar ein Lied des Hohns auf das verworfne Zwischenspiel,
Die Bettleroper, die zurzeit ihr plump noch zu agieren wißt,
Wie mottig euer Hermelin, wie faul auch euer Purpur ist!

O nein, was sie den Wassern singt, ist nicht der Schmerz und nicht die Schmach –
Ist Siegeslied, Triumpheslied, Lied von der Zukunft großem Tag!
Der Zukunft, die nicht fern mehr ist! Sie spricht mit dreistem Prophezein,
So gut wie weiland euer Gott: Ich war, ich bin – ich werde sein!

Ich werde sein, und wiederum voraus den Völkern werd‘ ich gehn!
Auf eurem Nacken, eurem Haupt, auf euren Kronen werd‘ ich stehn!
Befreierin und Rächerin und Richterin, das Schwert entblößt,
Ausrecken den gewalt’gen Arm werd‘ ich, daß er die Welt erlöst!

Ihr seht mich in den Kerkern bloß, ihr seht mich in der Grube nur,
Ihr seht mich nur als Irrende auf des Exiles dorn’ger Flur –
Ihr Blöden, wohn‘ ich denn nicht auch, wo eure Macht ein Ende hat:
Bleibt mir nicht hinter jeder Stirn, in jedem Herzen eine Statt?

In jedem Haupt, das trotzig denkt? das hoch und ungebeugt sich trägt?
Ist mein Asyl nicht jede Brust, die menschlich fühlt und menschlich schlägt?
Nicht jede Werkstatt, drin es pocht? nicht jede Hütte, drin es ächzt –
Bin ich der Menschheit odem nicht, die rastlos nach Befreiung lechzt?

Drum werd‘ ich sein, und wiederum voraus den Völkern werd‘ ich gehn!
Auf eurem Nacken, eurem haupt, auf euren Kronen werd‘ ich stehn!
’s ist der Geschichte ehrnes Muß! Es ist kein Rühmen, ist kein Drohn –
Der Tag wird heiß – wie wehst du kühl, o Weidenlaub von Babylon!


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