Gedichte Die Erde und der Mensch

Ernst Brücke freundschaftlichst zugeeignet

(1848 gedichtet)

Dich, alte Erde, muß ich etwas fragen,
Damit sich endlich mir das Räthsel löse,
Mit dem in unsern ungewissen Tagen
Sich ängstlich plagt der Gute, wie der Böse.
Du magst mir, was du willst, als Antwort sagen,
Ich ruf‘ es treu hinaus in das Getöse
Der Millionen wild verworr’ner Stimmen,
Gleichgültig, ob sie jauchzen, ob ergrimmen.

Ich seh‘ den holden Frühling wieder kehren,
Und reicher war er niemals noch gestaltet,
Als wolltest du dich jedes Keims entleeren,
So hat sich üppig Alles rings entfaltet,
Die Fülle hört nicht auf, sich zu vermehren,
Verschwenderisch erscheint der Geist, der waltet,
Man fragt: kann jetzt ein zweiter Lenz noch kommen?
Allein man weiß: dem Herbst wird dieser frommen!

Doch deine Menschen schau’n darein mit Mienen,
Als wärst du nicht ein ewig-grüner Garten,
Vielmehr ein Schiff, so überfüllt von ihnen,
Daß sie schon längst vor Furcht und Angst erstarrten,
Als wäre jetzt ihr jüngster Tag erschienen,
Als hätten sie nicht Frist mehr zu erwarten,
Als müßten sie sich um den Zwieback raufen
Und sich mit Blut ihr letztes Mahl erkaufen.

Sprich, Erde, drum: hat die Ernährung Schranken
Und die Erzeugung hätte dennoch keine?
Vergebens dürfte nicht ein Hälmchen ranken,
Indeß entmarkt, mit schlotterndem Gebeine,
Zu Millionen schon die Menschen wanken,
Weil du für sie kein Brot mehr hast, nur Steine?
Weit eher sollte eine Welt voll Aehren
Ja doch verfaulen, als ein Mensch entbehren!

So hatt‘ ich in der Frühlingsnacht gesprochen,
Verzweifelnd ob dem düstern Welt-Verhängniß,
Mir war der Geist gebeugt, das Herz gebrochen,
Und in der rastlos wachsenden Bedrängniß
Wagt‘ ich die stumme Mutter aufzupochen
Um einen Trost in meiner Seelenbängniß.
Auch gab sie mir, die ich begehrt, die Kunde,
Jedoch in strengem Sinn, mit ernstem Munde.

Noch nie ist mir ein Kind aus Noth gestorben –
Dieß war ihr Spruch – denn jede war zu wenden,
Und sind auch ganze Völker schon verdorben,
Man konnte fernhin über’s Meer sie senden,
Dort hätten sie sich Heil und Glück erworben
Und mich zugleich geschmückt mit fleiß’gen Händen,
Ich band die Bäume nur an ihre Schollen,
Die Menschen nicht, weil diese wandern sollen!

Darum verklagt nicht mich, wenn ihr verschmachtet
In einem Elend, das ihr selbst geschaffen,
Weil ihr das Mittel, das ich bot, verachtet:
Faßt endlich den Entschluß, euch aufzuraffen,
Und kehrt den Pflug, wenn ihr nach Segen trachtet,
Still gegen mich, nicht gegen euch, die Waffen:
Ich hatt‘ und hab‘ für weit mehr Millionen
Noch Brot, als mich bewohnten und bewohnen!

Bin ich nur erst bebaut in allen Ländern,
So wird euch Allen auch der Tisch sich decken,
Und sollte sich’s in fernster Zukunft ändern,
So habt ihr selbst die Gränze euch zu stecken,
Und die gehören zu der Freiheit Schändern,
Die dann vor dieser schweren Pflicht erschrecken;
Ich kann mich nicht vergrößern, meinen Kindern
Ist’s nicht unmöglich, ihre Zahl zu mindern.

Zwar glaube ich nach der Natur der Dinge,
Das Gleichgewicht wird ewig fort bestehen,
Wenn’s erst errungen ist, daß dieß gelinge,
Müßt ihr den Weg, den ich euch zeigte, gehen.
So dreht euch denn nicht mehr im alten Ringe,
Erweitert ihn, und Alles ist geschehen:
Wenn meine Quellen nicht mehr überfließen,
Wird wohl von selbst des Lebens Thor sich schließen.

Doch dieß wird das Jahrtausend kaum entscheiden,
Drum soll es nicht schon das Jahrhundert quälen,
Ihr braucht nicht länger, als ihr wollt, zu leiden,
Ihr habt nur neu den Welttheil euch zu wählen,
Dann wird, was ich in meinen Eingeweiden
Bisher mit Qual verschloß, euch nicht mehr fehlen,
Und, statt des Fluchs, werd‘ ich in vollen Chören
Zum ersten Mal der Menschheit Jubel hören!

Nun schwieg sie still, ich aber rief vernichtet:
Sie hat mit uns, wir nicht mit ihr, zu rechten;
Darum zu Schiff, jedoch zum Heer verdichtet,
Nicht bloß zu pflügen gilt’s, wohl auch zu fechten;
So wird der große Doppel-Zwist geschlichtet,
Denn erst, wenn wir uns ganz mit ihr verflechten,
Kann sie der Sonne auch für ihre Stralen
In Glanz und Duft die ganze Schuld bezahlen!

Laß aber du, o Vaterland, dich mahnen:
Vergiß sie nicht, die Kinder in der Ferne;
Sie werden segeln unter deinen Fahnen,
Drum sorge du, daß man sie achten lerne,
Und zieh’n sie auch von Pol zu Pol die Bahnen,
Sei du mit ihnen, wie die treuen Sterne,
Und halte jedes, voll erhab’nen Trutzes,
Je ferner dir, je würd’ger deines Schutzes!


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