Gedichte Vitzliputzli

Präludium

Dieses ist Amerika!
Dieses ist die Neue Welt!
Nicht die heutige, die schon
Europäisieret abwelkt. –

Dieses ist die Neue Welt,
Wie sie Christoval Kolumbus
Aus dem Ozean hervorzog.
Glänzet noch in Flutenfrische,

Träufelt noch von Wasserperlen,
Die zerstieben, farbensprühend,
Wenn sie küßt das Licht der Sonne.
Wie gesund ist diese Welt!

Ist kein Kirchhof der Romantik,
Ist kein alter Scherbenberg
Von verschimmelten
Und versteinerten Perucken.

Aus gesundem Boden sprossen
Auch gesunde Bäume – keiner
Ist blasiert und keiner hat
In dem Rückgratmark die Schwindsucht.

Auf den Baumesästen schaukeln
Große Vögel. Ihr Gefieder
Farbenschillernd. Mit den ernsthaft
Langen Schnäbeln und mit Augen,

Brillenartig schwarz umrändert,
Schaun sie auf dich nieder, schweigsam –
Bis sie plötzlich schrillend aufschrein
Und wie Kaffeeschwestern schnattern.

Doch ich weiß nicht, was sie sagen,
Ob ich gleich der Vögel Sprachen
Kundig bin wie Salomo,
Welcher tausend Weiber hatte

Und die Vögelsprachen kannte
Die modernen nicht allein,
Sondern auch die toten, alten,
Ausgestopften Dialekte.

Neuer Boden, neue Blumen!
Neue Blumen, neue Düfte!
Unerhörte, wilde Düfte,
Die mir in die Nase dringen,

Neckend, prickelnd, leidenschaftlich –
Und mein grübelnder Geruchsinn
Quält sich ab: Wo hab ich denn
Je dergleichen schon gerochen?

War’s vielleicht auf Regentstreet,
In den sonnig gelben Armen
Jener schlanken Javanesin,
Die beständig Blumen kaute?

Oder war’s zu Rotterdam,
Neben des Erasmi Bildsäul‘,
In der weißen Waffelbude
Mit geheimnisvollem Vorhang?

Während ich die Neue Welt
Solcher Art verdutzt betrachte,
Schein ich selbst ihr einzuflößen
Noch viel größre Scheu – Ein Affe,

Der erschreckt ins Buschwerk forthuscht,
Schlägt ein Kreuz bei meinem Anblick,
Angstvoll rufend: „Ein Gespenst!
Ein Gespenst der Alten Welt!“

Affe! fürcht dich nicht, ich bin
Kein Gespenst, ich bin kein Spuk;
Leben kocht in meinen Adern,
Bin des Lebens treuster Sohn.

Doch durch jahrelangen Umgang
Mit den Toten nahm ich an
Der Verstorbenen Manieren
Und geheime Seltsamkeiten.

Meine schönsten Lebensjahre,
Die verbracht ich im Kyffhäuser,
Auch im Venusberg und andern
Katakomben der Romantik.

Fürcht dich nicht vor mir, mein Affe!
Bin dir hold, denn auf dem haarlos
Ledern abgeschabten Hintern
Trägst du Farben, die ich liebe.

Teure Farben! Schwarz-rot-goldgelb!
Diese Affensteißcouleuren,
Sie erinnern mich mit Wehmut
An das Banner Barbarossas.

1

Auf dem Haupt trug er den Lorbeer,
Und an seinen Stiefeln glänzten
Goldne Sporen – dennoch war er
Nicht ein Held und auch kein Ritter.

Nur ein Räuberhauptmann war er,
Der ins Buch des Ruhmes einschrieb,
Mit der eignen frechen Faust,
Seinen frechen Namen: Cortez.

Unter des Kolumbus Namen
Schrieb er ihn, ja dicht darunter,
Und der Schulbub‘ auf der Schulbank
Lernt auswendig beide Namen –

Nach dem Christoval Kolumbus,
Nennt er jetzt Fernando Cortez
Als den zweiten großen Mann
In dem Pantheon der Neuwelt.

Heldenschicksals letzte Tücke:
Unser Name wird verkoppelt
Mit dem Namen eines Schächers
In der Menschen Angedenken.

Wär’s nicht besser, ganz verhallen
Unbekannt, als mit sich schleppen
Durch die langen Ewigkeiten
Solche Namenskameradschaft?

Messer Christoval Kolumbus
War ein Held, und sein Gemüte,
Das so lauter wie die Sonne,
War freigebig auch wie diese.

Mancher hat schon viel gegeben,
Aber jener hat der Welt
Eine ganze Welt geschenket,
Und sie heißt Amerika.

Nicht befreien konnt er uns
Aus dem öden Erdenkerker,
Doch er wußt ihn zu erweitern
Und die Kette zu verlängern.

Dankbar huldigt ihm die Menschheit,
Die nicht bloß europamüde,
Sondern Afrikas und Asiens
Endlich gleichfalls müde worden —

Einer nur, ein einz’ger Held,
Gab uns mehr und gab uns Beßres
Als Kolumbus, das ist jener,
Der uns einen Gott gegeben.

Sein Herr Vater, der hieß Amram,
Seine Mutter hieß Jochebeth,
Und er selber, Moses heißt er,
Und er ist mein bester Heros.

Doch, mein Pegasus, du weilest
Viel zu lang bei dem Kolumbus –
Wisse, unser heut’ger Flugritt
Gilt dem g’ringern Mann, dem Cortez.

Breite aus den bunten Fittich,
Flügelroß! und trage mich
Nach der Neuwelt schönem Lande,
Welches Mexiko geheißen.

Trage mich nach jener Burg,
Die der König Montezuma
Gastlich seinen span’schen Gästen
Angewiesen zur Behausung.

Doch nicht Obdach bloß und Atzung,
In verschwenderischer Fülle,
Gab der Fürst den fremden Strolchen –
Auch Geschenke reich und prächtig,

Kostbarkeiten klug gedrechselt,
Von massivem Gold, Juwelen,
Zeugten glänzend von der Huld
Und der Großmut des Monarchen.

Dieser unzivilisierte,
Abergläubisch blinde Heide
Glaubte noch an Treu‘ und
Und an Heiligkeit des Gastrechts.

Er willfahrte dem Gesuche,
Beizuwohnen einem Feste,
Das in ihrer Burg die Spanier
Ihm zu Ehren geben wollten –

Und mit seinem Hofgesinde,
Arglos, huldreich, kam der König
In das spanische Quartier,
Wo Fanfaren ihn begrüßten.

Wie das Festspiel war betitelt,
Weiß ich nicht. Es hieß vielleicht:
„Span’sche Treue!“, doch der Autor
Nannt sich Don Fernando Cortez.

Dieser gab das Stichwort – plötzlich
Ward der König überfallen,
Und man band ihn und behielt ihn
In der Burg als eine Geisel.

Aber Montezuma starb,
Und da war der Damm gebrochen,
Der die kecken Abenteurer
Schützte vor dem Zorn des Volkes.

Schrecklich jetzt begann die Brandung –
Wie ein wild empörtes Meer
Tosten, rasten immer näher
Die erzürnten Menschenwellen.

Tapfer schlugen zwar die Spanier
Jeden Sturm zurück. Doch täglich
Ward berennt die Burg aufs neue,
Und ermüdend war das Kampfspiel.

Nach dem Tod des Königs stockte
Auch der Lebensmittel Zufuhr;
Kürzer wurden die Rationen,
Die Gesichter wurden länger.

Und mit langen Angesichtern
Sahn sich an Hispaniens Söhne,
Und sie seufzten und sie dachten
An die traute Christenheimat,

An das teure Vaterland,
Wo die frommen Glocken läuten
Und am Herde friedlich brodelt
Eine Ollea Potrida,

Dick verschmoret mit Garbanzos,
Unter welchen, schalkhaft duftend,
Auch wohl kichernd, sich verbergen
Die geliebten Knoblauchwürstchen.

Einen Kriegsrat hielt der Feldherr,
Und der Rückzug ward beschlossen;
In der nächsten Tagesfrühe
Soll das Heer die Stadt verlassen.

Leicht gelang’s hineinzukommen
Einst durch List dem klugen Cortez,
Doch die Rückkehr nach dem Festland
Bot fatale Schwierigkeiten.

Mexiko, die Inselstadt,
Liegt in einem großen See,
In der Mitte, flutumrauscht:
Eine stolze Wasserfestung,

Mit dem Uferland verkehrend
Nur durch Schiffe, Flöße, Brücken,
Die auf Riesenpfählen ruhen;
Kleine Inseln bilden Furten.

Noch bevor die Sonne aufging,
Setzten sich in Marsch die Spanier;
Keine Trommel ward gerühret,
Kein Trompeter blies Reveille.

Wollten ihre Wirte nicht
Aus dem süßen Schlafe wecken –
(Hunderttausend Indianer
Lagerten in Mexiko).

Doch der Spanier machte diesmal
Ohne seinen Wirt die Rechnung;
Noch frühzeit’ger aufgestanden
Waren heut die Mexikaner.

Auf den Brücken, auf den Flößen,
Auf den Furten harrten sie,
Um den Abschiedstrunk alldorten
Ihren Gästen zu kredenzen.

Auf den Brücken, Flößen, Furten,
Hei! da gab’s ein toll Gelage!
Rot in Strömen floß das Blut,
Und die kecken Zecher rangen –

Rangen Leib an Leib gepreßt,
Und wir sehn auf mancher nackten
Indianerbrust den Abdruck
Span’scher Rüstungsarabesken.

Ein Erdrosseln war’s, ein Würgen,
Ein Gemetzel, das sich langsam,
Schaurig langsam, weiterwälzte,
Über Brücken, Flöße, Furten.

Die Indianer sangen, brüllten,
Doch die Spanier fochten schweigend;
Mußten Schritt für Schritt erobern
Einen Boden für die Flucht.

In gedrängten Engpaßkämpfen
Boten g’ringen Vorteil heute
Alteuropas strenge Kriegskunst,
Feuerschlünde, Harnisch, Pferde.

Viele Spanier waren gleichfalls
Schwer bepackt mit jenem Golde,
Das sie jüngst erpreßt, erbeutet –
Ach, die gelbe Sündenlast

Lähmte, hemmte sie im Kampfe,
Und das teuflische Metall
Ward nicht bloß der armen Seele
Sondern auch dem Leib verderblich.

Mittlerweile ward der See
Ganz bedeckt von Kähnen, Barken;
Schützen saßen drin und schossen
Nach den Brücken, Flößen, Furten.

Trafen freilich im Getümmel
Viele ihrer eignen Brüder,
Doch sie trafen auch gar manchen
Hochvortrefflichen Hidalgo.

Auf der dritten Brücke fiel
Junker Gaston, der an jenem
Tag die Fahne trug, worauf
Konterfeit die heil’ge Jungfrau.

Dieses Bildnis selber trafen
Die Geschosse der Indianer;
Sechs Geschosse blieben stecken
Just im Herzen – blanke Pfeile,

Ähnlich jenen güldnen Schwertern,
Die der Mater dolorosa
Schmerzenreiche Brust durchbohren
Bei Karfreitagsprozessionen.

Sterbend übergab Don Gaston
Seine Fahne dem Gonzalvo,
Der zu Tod getroffen gleichfalls
Bald dahinsank. – Jetzt ergriff

Cortez selbst das teure Banner,
Er, der Feldherr, und er trug es
Hoch zu Roß bis gegen Abend,
Wo die Schlacht ein Ende nahm.

Hundertsechzig Spanier fanden
Ihren Tod an jenem Tage;
Über achtzig fielen lebend
In die Hände der Indianer.

Schwer verwundet wurden viele,
Die erst später unterlagen.
Schier ein Dutzend Pferde wurde
Teils getötet, teils erbeutet.

Gegen Abend erst erreichten
Cortez und sein Herr das sichre
Uferland, ein Seegestade,
Karg bepflanzt mit Trauerweiden.

2

Nach des Kampfes Schreckenstag,
Kommt die Spuknacht des Triumphes;
Hunderttausend Freudenlampen
Lodern auf in Mexiko.

Hunderttausend Freudenlampen,
Waldharzfackeln, Pechkranzfeuer,
Werfen grell ihr Tageslicht
Auf Paläste, Götterhallen,

Gildenhäuser und zumal
Auf den Tempel Vitzliputzlis,
Götzenburg von rotem Backstein,
Seltsam mahnend an ägyptisch,

Babylonisch und assyrisch
Kolossalen Bauwerkmonstren,
Die wir schauen auf den Bildern
Unsers Briten Henri Martin.

Ja, das sind dieselben breiten
Rampentreppen, also breit,
Daß dort auf und nieder wallen
Viele tausend Mexikaner,

Während auf den Stufen lagern
Rottenweis die wilden Krieger,
Welche lustig bankettieren,
Hochberauscht von Sieg und Palmwein.

Diese Rampentreppen leiten,
Wie ein Zickzack, nach der Plattform,
Einem balustradenart’gen
Ungeheuern Tempeldach.

Dort auf seinem Thronaltar
Sitzt der große Vitzliputzli,
Mexikos blutdürst’ger Kriegsgott.
Ist ein böses Ungetüm,

Doch sein Äußres ist so putzig,
So verschnörkelt und so kindisch,
Daß er trotz des innern Grausens
Dennoch unsre Lachlust kitzelt –

Und bei seinem Anblick denken
Wir zu gleicher Zeit etwa
An den blassen Tod von Basel
Und an Brüssels Mankepiß.

An des Gottes Seite stehen
Rechts die Laien, links die Pfaffen;
Im Ornat von bunten Federn
Spreizt sich heut die Klerisei.

Auf des Altars Marmorstufen
Hockt ein hundertjährig Männlein,
Ohne Haar an Kinn und Schädel;
Trägt ein scharlach Kamisölchen.

Dieses ist der Opferpriester,
Und er wetzet seine Messer,
Wetzt sie lächelnd, und er schielet
Manchmal nach dem Gott hinauf.

Vitzliputzli scheint den Blick
Seines Dieners zu verstehen,
Zwinkert mit den Augenwimpern
Und bewegt sogar die Lippen.

Auf des Altars Stufen kauern
Auch die Tempelmusici,
Paukenschläger, Kuhhornbläser –
Ein Gerassel und Getute –

Ein Gerassel und Getute,
Und es stimmet ein des Chores
Mexikanisches Tedeum –
Ein Miaulen wie von Katzen –

Ein Miaulen wie von Katzen,
Doch von jener großen Sorte,
Welche Tigerkatzen heißen
Und statt Mäuse Menschen fressen!

Wenn der Nachtwind diese Töne
Hinwirft nach dem Seegestade,
Wird den Spaniern, die dort lagern,
Katzenjämmerlich zumute.

Traurig unter Trauerweiden,
Stehen diese dort noch immer,
Und sie starren nach der Stadt,
Die im dunkeln Seegewässer

Widerspiegelt, schier verhöhnend,
Alle Flammen ihrer Freude –
Stehen dort wie im Parterre
Eines großen Schauspielhauses,

Und des Vitzliputzli-Tempels
Helle Plattform ist die Bühne,
Wo zur Siegesfeier jetzt
Ein Mysterium tragiert wird.

„Menschenopfer“ heißt das Stück.
Uralt ist der Stoff, die Fabel;
In der christlichen Behandlung
Ist das Schauspiel nicht so gräßlich.

Denn dem Blute wurde Rotwein,
Und dem Leichnam, welcher vorkam,
Wurde eine harmlos dünne
Mehlbreispeis‘ transsubstituieret –

Diesmal aber, bei den Wilden,
War der Spaß sehr roh und ernsthaft
Aufgefaßt: man speiste Fleisch,
Und das Blut war Menschenblut.

Diesmal war es gar das Vollblut
Von Altchristen, das sich nie,
Nie vermischt hat mit dem Blute
Der Moresken und der Juden.

Freu dich, Vitzliputzli, freu dich,
Heute gibt es Spanierblut,
Und am warmen Dufte wirst du
Gierig laben deine Nase.

Heute werden dir geschlachtet
Achtzig Spanier, stolze Braten
Für die Tafel deiner Priester,
Die sich an dem Fleisch erquicken.

Denn der Priester ist ein Mensch,
Und der Mensch, der arme Fresser,
Kann nicht bloß vom Riechen leben
Und vom Dufte, wie die Götter.

Horch! die Todespauke dröhnt schon,
Und es kreischt das böse Kuhhorn!
Sie verkünden, daß heraufsteigt
Jetzt der Zug der Sterbemänner.

Achtzig Spanier, schmählich nackend,
Ihre Hände auf dem Rücken
Festgebunden, schleppt und schleift man
Hoch hinauf die Tempeltreppe.

Vor dem Vitzliputzli-Bilde
Zwingt man sie, das Knie zu beugen
Und zu tanzen Possentänze,
Und man zwingt sie durch Torturen,

Die so grausam und entsetzlich,
Daß der Angstschrei der Gequälten
Überheulet das gesamte
Kannibalencharivari. –

Armes Publikum am See!
Cortez und die Kriegsgefährten,
Sie vernahmen und erkannten
Ihrer Freunde Angstrufstimmen –

Auf der Bühne, grellbeleuchtet,
Sahen sie auch ganz genau
Die Gestalten und die Mienen –
Sahn das Messer, sahn das Blut –

Und sie nahmen ab die Helme
Von den Häuptern, knieten nieder,
Stimmten an den Psalm der Toten,
Und sie sangen: „De profundis!“

Unter jenen, welche starben,
War auch Raimond de Mendoza,
Sohn der schönen Abbatissin,
Cortez‘ erste Jugendliebe.

Als er auf der Brust des Jünglings
Jenes Medaillon gewahrte,
Das der Mutter Bildnis einschloß,
Weinte Cortez helle Tränen –

Doch er wischt‘ sie ab vom Auge
Mit dem harten Büffelhandschuh,
Seufzte tief und sang im Chore
Mit den andern: „Miserere!“

3

Blasser schimmern schon die Sterne,
Und die Morgennebel steigen
Aus der Seeflut, wie Gespenster,
Mit hinschleppend weißen Laken.

Fest und Lichter sind erloschen
Auf dem Dach des Götzentempels,
Wo am blutgetränkten Estrich
Schnarchend liegen Pfaff‘ und Laie.

Nur die rote Jacke wacht.
Bei dem Schein der letzten Lampe,
Süßlich grinsend, grimmig schäkernd,
Spricht der Priester zu dem Gotte:

„Vitzliputzli, Putzlivitzli,
Liebstes Göttchen Vitzliputzli!
Hast dich heute amüsieret,
Hast gerochen Wohlgerüche!

Heute gab es Spanierblut –
Oh, das dampfte so app’titlich,
Und dein feines Leckernäschen
Sog den Duft ein, wollustglänzend.

Morgen opfern wir die Pferde,
Wiehernd edle Ungetüme,
Die des Windes Geister zeugten,
Buhlschaft treibend mit der Seekuh.

Willst du artig sein, so schlacht ich
Dir auch meine beiden Enkel,
Hübsche Bübchen, süßes Blut,
Meines Alters einz’ge Freude.

Aber artig mußt du sein,
Mußt uns neue Siege schenken –
Laß uns siegen, liebes Göttchen,
Putzlivitzli, Vitzliputzli!

O verderbe unsre Feinde,
Diese Fremden, die aus fernen
Und noch unentdeckten Ländern
Zu uns kamen übers Weltmeer –

Warum ließen sie die Heimat?
Trieb sie Hunger oder Blutschuld?
Bleib im Land und nähr dich redlich,
Ist ein sinnig altes Sprüchwort.

Was ist ihr Begehr? Sie stecken
Unser Gold in ihre Taschen,
Und sie wollen, daß wir droben
Einst im Himmel glücklich werden!

Anfangs glaubten wir, sie wären
Wesen von der höchsten Gattung,
Sonnensöhne, die unsterblich
Und bewehrt mit Blitz und Donner.

Aber Menschen sind sie, tötbar
Wie wir andre, und mein Messer
Hat erprobet heute nacht
Ihre Menschensterblichkeit.

Menschen sind sie und nicht schöner
Als wir andre, manche drunter
Sind so häßlich wie die Affen;
Wie bei diesen sind behaart

Die Gesichter, und es heißt,
Manche trügen in den Hosen
Auch verborgne Affenschwänze –
Wer kein Aff‘, braucht keine Hosen.

Auch moralisch häßlich sind sie,
Wissen nichts von Pietät,
Und es heißt, daß sie sogar
Ihre eignen Götter fräßen!

O vertilge diese ruchlos
Böse Brut, die Götterfresser –
Vitzliputzli, Putzlivitzli,
Laß uns siegen, Vitzliputzli!“ –

Also sprach zum Gott der Priester,
Und des Gottes Antwort tönt
Seufzend, röchelnd, wie der Nachtwind,
Welcher koset mit dem Seeschilf:

„Rotjack‘, Rotjack‘, blut’ger Schlächter,
Hast geschlachtet viele Tausend,
Bohre jetzt das Opfermesser
In den eignen alten Leib.

Aus dem aufgeschlitzten Leib
Schlüpft alsdann hervor die Seele;
Über Kiesel, über Wurzel
Trippelt sie zum Laubfroschteiche.

Dorten hocket meine Muhme
Rattenkön’gin – sie wird sagen:
›Guten Morgen, nackte Seele,
Wie ergeht es meinem Neffen?

Vitzliputzelt er vergnügt
In dem honigsüßen Goldlicht?
Wedelt ihm das Glück die Fliegen
Und die Sorgen von der Stirne?

Oder kratzt ihn Katzlagara,
Die verhaßte Unheilsgöttin
Mit den schwarzen Eisenpfoten,
Die in Otterngift getränket?‹

Nackte Seele, gib zur Antwort:
›Vitzliputzli läßt dich grüßen,
Und er wünscht dir Pestilenz
In den Bauch, Vermaledeite!

Denn du rietest ihm zum Kriege,
Und dein Rat, es war ein Abgrund –
In Erfüllung geht die böse,
Uralt böse Prophezeiung.

Von des Reiches Untergang
Durch die furchtbar bärt’gen Männer,
Die auf hölzernem Gevögel
Hergeflogen aus dem Osten.

Auch ein altes Sprüchwort gibt es:
Weiberwille, Gotteswille –
Doppelt ist der Gotteswille,
Wenn das Weib die Muttergottes.

Diese ist es, die mir zürnet,
Sie, die stolze Himmelsfürstin,
Eine Jungfrau sonder Makel,
Zauberkundig, wundertätig.

Sie beschützt das Spaniervolk,
Und wir müssen untergehen,
Ich, der ärmste aller Götter,
Und mein armes Mexiko.‹

Nach vollbrachtem Auftrag, Rotjack‘,
Krieche deine nackte Seele
In ein Sandloch – Schlafe wohl!
Daß du nicht mein Unglück schauest!

Dieser Tempel stürzt zusammen,
Und ich selber, ich versinke
In dem Qualm – nur Rauch und Trümmer –
Keiner wird mich wiedersehen.

Doch ich sterbe nicht; wir Götter
Werden alt wie Papageien,
Und wir mausern nur und wechseln
Auch wie diese das Gefieder.

Nach der Heimat meiner Feinde,
Die Europa ist geheißen,
Will ich flüchten, dort beginn ich
Eine neue Karriere.

Ich verteufle mich, der Gott
Wird jetzund ein Gottseibeiuns;
Als der Feinde böser Feind,
Kann ich dorten wirken, schaffen.

Quälen will ich dort die Feinde,
Mit Phantomen sie erschrecken –
Vorgeschmack der Hölle, Schwefel
Sollen sie beständig riechen.

Ihre Weisen, ihre Narren
Will ich ködern und verlocken;
Ihre Tugend will ich kitzeln,
Bis sie lacht wie ein Metze.

Ja, ein Teufel will ich werden,
Und als Kameraden grüß ich
Satanas und Belial,
Astaroth und Beelzebub.

Dich zumal begrüß ich, Lilis,
Sündenmutter, glatte Schlange!
Lehr mich deine Grausamkeiten
Und die schöne Kunst der Lüge!

Mein geliebtes Mexiko,
Nimmermehr kann ich es retten,
Aber rächen will ich furchtbar
Mein geliebtes Mexiko.“

Zweites Buch
Lamentationen

Das Glück ist eine leichte Dirne,
Und weilt nicht gern am selben Ort;
Sie streicht das Haar dir von der Stirne
Und küßt dich rasch und flattert fort.

Frau Unglück hat im Gegenteile
Dich liebefest ans Herz gedrückt;
Sie sagt, sie habe keine Eile,
Setzt sich zu dir ans Bett und strickt.


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Gedichte Vitzliputzli - Heine