Gedichte An die Stille

Dort im waldumkränzten Schattentale
Schlürft ich, schlummernd unterm Rosenstrauch,
Trunkenheit aus deiner Götterschale,
Angeweht von deinem Liebeshauch.
Sieh, es brennt an deines Jünglings Wange
Heiß und glühend noch Begeisterung,
Voll ist mir das Herz vom Lobgesange,
Und der Fittig heischet Adlerschwung.

Stieg ich kühnen Sinns zum Hades nieder,
Wo kein Sterblicher dich noch ersah,
Schwänge sich das mutige Gefieder
Zum Orion auf, so wärst du da;
Wie ins weite Meer die Ströme gleiten,
Stürzen dir die Zeiten alle zu,
In dem Schoß der alten Ewigkeiten,
In des Chaos Tiefen wohntest du.

In der Wüste dürrem Schreckgefilde,
Wo der Hungertod des Wallers harrt,
In der Stürme Land, wo schwarz und wilde
Das Gebirg im kalten Panzer starrt,
In der Sommernacht, in Morgenlüften,
In den Hainen weht dein Schwestergruß,
Über schauerlichen Schlummergrüften
Stärkt die Lieblinge dein Götterkuß.

Ruhe fächelst du der Heldenseele
In der Halle, wann die Schlacht beginnt,
Hauchst Begeistrung in der Felsenhöhle,
Wo um Mitternacht der Denker sinnt,
Schlummer träufst du auf die düstre Zelle,
Daß der Dulder seines Grams vergißt,
Lächelst traulich aus der Schattenquelle,
Wo den ersten Kuß das Mädchen küßt.

Ha! dir träuft die wonnetrunkne Zähre
Und Entzückung strömt in mein Gebein,
Millionen bauen dir Altäre,
Zürne nicht! auch dieses Herz ist dein!
Dort im Tale will ich Wonne trinken,
Wiederkehren in die Schattenkluft,
Bis der Göttin Arme trauter winken,
Bis die Braut zum stillen Bunde ruft.

Keine Lauscher nahn der Schlummerstätte,
Kühl und schattig ists im Leichentuch,
Abgeschüttelt ist die Sklavenkette,
Maigesäusel wird Gewitterfluch;
Schöner rauscht die träge Flut der Zeiten,
Rings umdüstert von der Sorgen Schwarm;
Wie ein Traum verfliegen Ewigkeiten,
Schläft der Jüngling seiner Braut im Arm.


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Gedichte An die Stille - Hölderlin