Gedichte Samstagsidyll

Lasst uns auch so ein Schauspiel geben!
Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,
Goethe

Es war ein Tag wie’s ihrer viele giebt,
Wenn falb der Sommer in den Herbst zerstiebt;
Verstummt schon schien der Vögel buntes Völkchen
Und grau am Himmel standen kleine Wölkchen.
Nur ab und zu schwamm’s fernher durch die Luft
Noch weich wie ein verirrter Rosenduft,
Und wie ein Lenzlockruf, nur herbstlich stiller,
Klang hie und da ein später Vogeltriller.
Auf lauen Windes Flügeln kam’s und schwand
Und reichte wiederkehrend sich die Hand,
Wie wenn zwei Herzen durch ein letztes Grüssen
Sich noch des Scheidens bittres Weh versüssen.

Doch also war’s nur draussen fern im Hag,
Durch die Fabrikstadt schlich der Werkeltag.
Das schwarzberusste Schurzfell um die Lenden,
War er bemüht die Woche zu beenden;
Er liess das Eisen wie ein Licht erglühn
Und mehr als hundert Essen Funken sprühn,
Und, unbekümmert um den eignen Jammer,
Schwang er den centnerschweren Schmiedehammer.
Hier war’s ein Eisenwagen, dort ein Schiff,
Der Schornstein rauchte und der Dampfhahn pfiff,
Die Räder rollten ewig um im Kreise
Und alles drehte sich im alten Gleise.

Nur du und ich, wir beide waren frei
Und wussten nichts von Werktagssclaverei;
Wir jauchzten auf, die Noth in uns begrabend,
Und machten schon Nachmittags Feierabend.
Denn hatte jeder nicht mit Lust und Kraft
Die Woche über pflichtgetreu geschafft?
Die Nähmaschine hattest du getrieben
Und ich gedacht, gedichtet und geschrieben.
Doch nun war ich des „trocknen Tones satt“
Und schrieb energisch: „Punkt!“ aufs letzte Blatt
Und stieg dann flink, mir selber zur Belohnung,
In deine zierliche Mansardenwohnung.
Ich klopfte an – ein neckisches: Herein!
Und durch das Fenster brach der Sonnenschein;
Ein Lichtmeer war’s, drin Welle schwamm auf Welle,
Ich aber stand geblendet auf der Schwelle.

O immer, trat ich in dein trautes Heim,
Schrieb’s mir ins Herz sich wie ein neuer Reim;
Doch war’s mit seinen farbigen Gardinen
So hell und freundlich mir noch nie erschienen.
Zum Schmaus gedeckt war schon dein kleiner Tisch,
Grau hinterm Spiegel stak ein Flederwisch.
Doch, unbekümmert um die neuste Mode,
Stand dicht dabei die ältliche Kommode
Und unter einem Kreuz von Elfenbein
Das Bild von deinem todten Mütterlein.
Wie tief im Traum sah lächelnd es hernieder
Auf ein zerlesnes Buch: „das Buch der Lieder“!
Vom Blumenbrett, das sich um Fenster bog,
Um alles das ein süsses Duften flog.
Und dort ja hingen auch die beiden Schilder,
Verzeih! ich meine deine Landschaftsbilder!
Denn du hast Recht: die reine Phantasie
Und farbenschillernd wie ein Kolibri!
Rechts hing der Watzmann, links der Gamsgarkogel
Und zwischen beiden ein Kanarienvogel.
Du selber aber, häubchenüberdeckt,
Ein weisses Schürzchen vor die Brust gesteckt,
Du schobst nun grad mit hausfraulicher Miene
Den Spiritus in deine Kochmaschine.
Ein kurzer Aufblick dann, ein leiser Schrei,
Und eins und eins, wie immer, waren zwei!

Drauf, wie ich mich schon oft liess unterjochen,
Sollt ich auch heute mit dir Kaffee kochen.
Ich lärmte, doch was half mir mein Protest?
Ein kussersticktes Lachen war der Rest!
Und als ein vielgewandter junger Dichter
Hielt ich galant dir nun den Kaffeetrichter.
Natürlich ging das „noch einmal so gut“,
Sieh hier das Lied: „Was man aus Liebe thut!“
Wir schmeckten, wechselnd prüfend, mit den Zungen
Und endlich war der grosse Wurf gelungen.
Zwar war das Tischzeug nur von grobem Zwilch,
Doch fehlte weder Zucker drauf noch Milch
Und dampfend füllten nun die braunen Massen
Die goldumränderten Geburtstagstassen.
Des Tränkleins Wirkung aber kommt und geht,
Bis sich das Zünglein wie ein Mühlrad dreht:
Was Stift und Tinte, Häkelzeug und Maschen!
Wir waren heut zwei rechte Plaudertaschen!
Du schwärmtest von dem neusten Ausverkauf,
Ich aber schlug ein kleines Büchlein auf
Und las dir Lieder vor von Lingg und Keller
Und übersah auch nicht den Kuchenteller.

So sassen wir, zwei grosse Kinder, da,
Bis roth der Abend durch die Scheiben sah
Und tappten dann hinab die dunklen Stiegen,
Um noch ein Stündlein vor das Thor zu fliegen.

Dort, wo das Wasser sich am Stadtwall bricht,
Lag bunt der Park im letzten Abendlicht
Und liess die Wipfel sich in Purpur tränken
Und Kinder spielten auf den Rasenbänken.
Vom nahen Thorthurm kam das Spätgeläut,
Mir schien’s, es klang noch nie so schön wie heut;
Wir lugten lauschend durch die Laubverhänge
Und schritten flüsternd durch die Buchengänge.
Zu Füssen knirschte uns der gelbe Kies
Und alles schien uns wie im Paradies;
Doch als die Glocken dann gemach verklangen,
Kam leisen Schritts die Dämmrung angegangen.

Da hieltst du still und hauchtest mir ins Ohr:
„O, weisst du noch, dort drüben vor dem Thor?“
Ob ich es weiss! Wie Lenz will’s mich umwehen,
Dort war’s ja, wo wir uns zuerst gesehen!
Und hier, wo waldversteckt das Wasser rauscht,
Hier haben wir den ersten Kuss getauscht!
O Maitag, Sonnenschein und Blüthenregnen,
Noch heut muss ich euch tausendfältig segnen!
Es war doch eine schöne, schöne Zeit,
Und denk ich dran, so wird das Herz mir weit!
Man fühlt’s, auch ohne dass man’s gleich bedichtet:
Der liebe Gott hat’s doch gut eingerichtet!
Doch still! Was brauchts schon der Erinnerung?
Wir sind ja beide noch so jung, so jung!
Es lacht das Glück aus deinem rothen Munde:
„Uns winkt ja noch so manche goldne Stunde!“

„Gewiss!“ fielst du hier lächelnd ein, „und wie?
Zum Beispiel morgen eine Landpartie!
Erinnerst du dich noch, wie du vor Wochen
Mir einen Ausflug ins Gebirg versprochen?
Mein Onkel dort, der Wirth zum weissen Schwan,
Wohnt ja ganz nahe an der Eisenbahn!
Ich weiss, er freut sich, wenn wir ihn besuchen,
Und Tantchen gar backt einen Extrakuchen!
Und dann – o Gott – die wunderschöne Luft,
Wald, Wiese, Sonnenschein und Kräuterduft,
Und über sich nichts, nichts als Himmelsbläue –
Nein, nein! du weisst nicht, wie ich mich schon freue!“
Da sprach ich: „Topp, du kleiner Niegenug!
Wir fahren morgen mit dem ersten Zug.
Als Musikant mach ich eins gern mal Pause…
Doch es wird kühl hier, komm, wir gehn nach Hause!“

Und wieder thorwärts wandten wir uns um
Und wurden still und wussten nicht warum.
Im Fluss das Wasser rann nur noch von ferne
Und durch das Laubdach blitzten schon die Sterne.
Ein feuchter Nachtwind durch die Wipfel strich,
Du aber schmiegtest fester dich an mich,
Und wie das Schlusswort einer schönen Dichtung
That sich nun wieder vor uns auf die Lichtung.

Dort hob die Stadt sich schwarz und ungewiss
Vom Horizont ab wie ein Schattenriss,
Nur hie und da warf fernher aus dem Dunkel
Ein Fenster noch sein rothes Lichtgefunkel.
Es war so schön, so wunderschön zu sehn,
Und schweigend blieben wir noch einmal stehn,
Denn nun trat auch der Mond aus seinen Hallen
Und liess sein Silber auf die Dächer fallen,
Und drüben von der Vorstadt her erklang
Noch windverweht ein frommer Nachtgesang.

Du sahst mich an und wusstest nichts zu sagen,
Doch fühlt ich dein Herz warm an mein Herz schlagen
Und sprach zu dir und war bewegt wie nie:
„Nun weisst auch du, mein Herz, was Poesie!
Sie speist die Armen und sie stärkt die Schwachen,
Sie kann die Erde uns zum Himmel machen,
Sie kost im Zephyr und sie harft im Föhn –
Nicht wahr, mein Herz, das Leben ist doch schön?“


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