Gedichte Erster Gesang

Die beyden Freunde, die voll Edelmuth
Sich gegen ein gewaltig Heer Athens,
Mit kleiner Macht, beherzt vertheidigten,
Besing ich. Muse sey dem Vorsatz hold!
Begeistre mich, auf daß der ehrne Klang
Des Kriegs, aus iedem Ton erschall! Auf daß
Mein Lied der großen That nicht unwerth sey!

Kaum starb der griechsche Held, für dessen Muth
Der Orient erbebt, als sich Athen
Erkühnete, gereitzt durch Eigennutz,
Vom Macedonschen Reich, Thessalien
Zu sich zu reißen, und ein furchtbar Heer
Versammelt‘ und es dem Leosthenes
Vertraute. Wie ein Strom, im frühen Lentz,
Von Regengüssen und geschmoltznem Schnee
Geschwollen, rauscht, und aus den Ufern dringt,
Die Flur zum Meere macht und Wohnungen
Des Landmanns, Bäum und Stein fortrollt und tobt,
Daß Fels und Wald erschrickt und drüber klagt;
So rauscht die wilde Schaar Athens daher,
Verheert und überschwemmt Thessalien.

Antipater6 zog sich mit seiner Macht
Aus Lamia7 zurück, dem kühnen Feind
Im freyen Feld die Stirn zu biethen. Nur
Blieb Cißides als Haupt von wenig Volck
In einem festen Schloß bey Lamia;
Und Paches gab darinn nach ihm Befehl,
Den gleiche Tugend ihm zum Freund gemacht.

„Ihr Macedonier!“ Sprach Cißides
Zur kleinen Schaar, die um die Mau’r bereits
Den fernen Feind mit Blicken tödtete,
„Ihr Macedonier! Zeigt ietzt, daß ihr
Verdienetet von Alexandern einst
Gebothe zu empfahn. Sein Heldengeist
Sieht vom Olymp auf alles, was ihr thut.
Den, der fürs Vaterland den Tod nicht scheut
Erwartet sein Olymp und ewger Ruhm,
Wie ewge Schande den, dem Muth gebricht.
Die Menge nicht, nur Muth macht Heere starck,
Und nur durch ihn bezwangt ihr sonst die Welt.
Athen ist nicht die Welt. Es wird, es wird
Sich neigen für Antipater und uns!
Durch uns geschwächt erliegt Leosthenes,
Und durch Verlust von seinem halben Heer
Erkauf er unser Schloß! Erinnert euch,
O Macedonier! stets wer ihr seyd!
Und fechtet noch, auf Knien, wenn ihr fallt!“
So sagt er; Und ein laut Gemurmel, wie
Vor nahem Sturm im regen Meer entsteht,
Durchlief die Schaar. Ein Krieger, der mit Blut
Den Ganges färben half, dem edler Stoltz
Im ofnen Angesicht voll Narben saß,
Erhub die Stimm und sprach zum Cißides:
„Mißtrauen hat das Heer, das dir gehorcht,“
Noch nie verdient, und doch zeigt was du sagst
Mißtraun und Sorgen an. Derselbe Geist
Der Tapferkeit beseelt uns noch, der uns
In Asien beseelte. Jeder denckt
In Nächten, die, für Ehrbegierd erhitzt,
Er oft durchwacht, an nichts als seine Pflicht,
Und seinen künftgen Ruhm. Sein Leben hat
Ein jeder gegens Wohl des Vaterlands
Und gegen seinen Ruhm verrechnet. Wird
Von Helden was geredt; horcht jeder auf,
Und glaubt es geh ihn an. Mehr Zuversicht!
Mehr Zuversicht zu uns, o Cißides!
Von Schande sprich uns nicht, und Feigheit nicht!
Bis auf den letzten Mann wird sich dein Volck
Vertheidigen; und hat die Schickung mich
Zum letzten ausersehn, so fecht ich noch,
Bis mit dem Blut das Leben von mir fließt.

Der Feldherr sprach: O Freunde! nie hat mich
Ein Schatten von Mißtrauen gegen euch
Und euren Muth, gequält, und ich bin stoltz,
Daß solch ein Heer mir anvertrauet ist.
Ehr und Unsterblichkeit ist unser Theil;
Denn unsre Thaten wird einst das Gerücht
Auf ewgen Fittigen von einen Pol
Zum andern tragen, und es wird einmal
Gestirn nach uns benannt, und unser Ruhm
Wird funckeln ewiglich am Horizont.“

Wenn, vom Orcan gepeitscht, des Meeres Fluth,
Die mit den sinckenden Gewölcken sich,
Hoch in der finstern Luft, zu mischen schien,
Gleich Berg und Felsen im Erdbeben, fällt,
Und wieder steigt und fällt, daß alles heult,
Und alles Donner wird, und schnell Neptun
Den mächtigen Trident mit starckem Arm
Aus Wasserbergen hebt; wie dann der Sturm
Verstummt, die Flügel nicht mehr regt, und Meer
Und Himmel ruhig wird, daß Phöbus lacht,
Und jeder Strahl von ihm im Meere blitzt:
So legte sich der Schaar Unwille schnell
Nachdem der Feldherr dieß zu ihr gesagt,
Und Hofnung flößte Lust den Tapfern ein.

Indessen nahte sich der kühne Feind,
Und Mann und Roß trat aus dem Staub hervor.8
Ein unabsehlich Heer, das Bogen, Pfeil
Und lange Spieße, Schild‘, und Schwerdter trug,
Zog einen Kreis ums Schloß im wilden Lerm.
Und eine weiße Stadt von Zeltern, stieg
Schnell aus der Erd. Im Meere sehen so
Beym Mondenschein die lichten Wellen aus –

Mit Pfeilen und Ballisten9 war der Feind
Nicht zu erreichen, drum faßt Cißides
Kühn den Entschluß, ihn in der nahen Nacht
Zu überfallen, und den Schlaf in Todt
Ihm zu verwandeln. Bald sank sie herab
Vom Himmel, diese Nacht. Und Paches nahm
Zweyhundert Krieger aus der dunkeln Burg
Und überfiel in Eil den müden Feind,
Den gleichsam Schlaf von Bley belästigte.

Wie ein gewaltger Sturm den Hayn ergreift
Auf Eichen Eichen stürzt, und eine Bahn
Sich durch die Wohnung der Dryaden macht;
So machte Paches auch sich eine Bahn
Durchs Feindes Lager, würgt und tödtete
Erst die entschlafne Wacht, dann eilt er fort,
Und tränkte Schwerdt und Spieß mit vielem Blut,
Und machte jedes Zelt zur Todtengruft,
Bis, durch der Sterbenden Geschrey erweckt,
Das weite Lager zu den Waffen griff.
Schnell zündet‘ er die öden Zelter an.
Das Feuer lief durch ihre Reihn – Und schnell
Lief jedermann nach seinem leichten Haus,
Entweder es zu löschen, oder auch
Es einzureißen, wenns vom Feur noch nicht
Ergriffen war. Indessen zog, vergnügt
Und unverfolgt, sich Paches in die Burg,
Und sah draus, selbst erstaunt, am Morgen, was
Sein Schwerdt und die Gewalt des Feuers verübt.

Leosthenes ergrimmt. Im Lager kam
Kaum der Ballisten Last beschwerlich an,
Und Katapulte10, Thürm11 und was die Wuth
Zum Untergang der Menschen ausgedacht;
Als er dem Schlosse sich in Gräben12, und
Verdecken13 näherte. Nichts wird versäumt
Was fähig war, es mit Gefahr und Todt
Zu füllen. Eisen fiel wie Regen drein.
Der Felsenstücke Last, von dem Ballist
Geschleudert, sauset‘, (und durchkreuzte sich,
Irrsternen gleich, im Raum der finstern Luft)
Und jeden, den sie traf, begrub sie tief.
Und vom Geschrey der Stürmenden erklang
Des Himmels Bühne weit, wie sie erklingt
Vom tausendstimmigen Sturmwinde, wie
Der Wald in Lybien ertönt, wenn Löw
Und Tyger, und manch wütend Thier ins Netz
Der schreynden Jäger fällt, und heult und brüllt;
Der Widerhall brüllt von den Felsen auch,
Und jede Höle brüllt. – Doch Cißides
Blieb ruhig und ward nicht betäubt vom Lerm,
Und überschüttet‘ auch mit Todt den Feind.
Gleichsam ein Wolkenbruch von Steinen fiel
Aufs Heer Athens. Der mächtge Katapult
Durchbohrte Brustwehr und den Feind zugleich
Mit langen Pfeilen, wie des Blitzes Strahl,
Und Spießen. Eine Erndt Erschlagener
Lag auf dem Felde weit verbreitet. Selbst
Des Feindes Widder, die den Grund der Mau’r
Erschütterten, (wie Harz und Schwefel, in
Der Erd entbrannt, die Felsen beben macht,
Und spaltet) und die Mauerbohre, Thürm,
Sammt der gewaltigen Phalangen14 Wuth,
Auch Schaaren, die gehoben in die Luft
Durch Hebel, auf Gerüsten15 stürmeten,
Erschreckten nicht die Macedonier.
Das Ungewitter, das vom Schlosse fiel,
Zerschlug, und schleuderte zum Grund den Feind.
So schlug die wüthenden Giganten Zevs,
Als sie den Himmel zu bekriegen, Berg
Auf Berg gethürmt. Sein Blitz warf sie herab,
Verbrannt und blutig lag die tolle Schaar
Umher, und maß der Berge Höh verkehrt. – –

Doch blieb auch mancher Held des Cißides;
Die Todten lagen in der Burg, gehäuft,
Wie Halmen, die die Sichel hat gefällt.
Den tapfern Parmeo16 durchbort ein Pfeil;
Simotes auch. Dem Zelon, der allein
Ein Heer an Muth und Geiste war, zerschlug
Ein Felsstück beide Bein‘. Er lebte lang‘
Ein grausam Leben, und verbiß den Schmerz
Voll Großmuth. Endlich fand sein Bruder ihn
Im Kampf mit Schmerz und Todt, und schlug, erblaßt,
Die Hände über sich zusammen. Selbst
Dem Tode für Entsetzen nah, verband
Er den Geliebtesten. Ein Thränenbach
Floß ihm vom Aug. – – Ach Bruder, endige
„Mein Leben! Endig‘ es, o du, um den
Es mir allein gefiel, sprach Zelon. Nimm
Mein unnütz Gold von mir, das du, und nicht
Der Feind verdient – Allein der Bruder weint,“
Und gieng davon. Verlässest du mich auch?
Rief Zelon, „Gönnst du mir langsamen Todt?“
„Sonst treuster Freund, gönnst du mir, daß ich noch
Den Schmerzen und der Schwachheit unterlieg‘
Und winsel‘ und nicht sterbe wie ein Held?
Grausamer geh! und rühme dich nur nie,
Daß du mein Bruder warst! – Der Bruder kehrt“
Zurück, umarmet den Verwundeten,
Auf dessen Lippen mit den seinigen
Er lang‘ erstarret lag, indessen daß
Mit Schmerzen und mit Jammer Zelon rang.
Zuletzt setzt er den Bogen auf die Brust
Dem Flehenden, mit weggewandtem Blick.
Mitleidig fuhr der Pfeil ihm durch das Herz,
Und endigt‘ ihm die Qvaal. Und jammernd floh
Der edle Mörder, der freundschaftliche,
Zur Maur, um auch den Todt fürs Vaterland
Dem Bruder gleich zu sterben, aber ließ,
Zu groß zum Eigennutz, der Leich ihr Gold.


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Gedichte Erster Gesang - Kleist