Gedichte Lenau

6

Ragend steht der blinde Führer
Ziska dort auf seinem Wagen,
Mit der Donnerstimme herrschend,
Wie die heiße Schlacht zu schlagen.

Steht ein Hauptmann ihm zur Linken
Und ein andrer ihm zur Rechten,
Schildern ihm den Ort getreulich,
Wo es gilt, den Kampf zu fechten.

Lager, Zahl und Zug der Feinde
Melden sie, daß er befehle;
Alles schaut er klar im Strahle
Seiner lichten Feldherrnseele.

In den Tagen, eh der Pfeilschuß
Ihm geraubt das Augenlicht,
Blickt‘ er scharf dem Vaterlande
Ins geliebte Angesicht;

All die Wälder, Ström und Buchten,
Talgewind‘ und Bergesrücken
Eilt‘ er damals, dem Gedächtnis
Unauslöschlich einzudrücken.

Und der Genius der Rache
Weiß im Finstern zu erspähen
Jedes Grundstück, wo am besten
Feindesleichen hinzusäen.

Dunkelt auch um Ziskas Körper
Tiefe, schimmerlose Nacht,
Gängelt er doch mit dem Geiste
Leicht sein wildes Kind, die Schlacht.

Hüben lenkt die Nacht des Leibes,
Drüben Geistesnacht die Krieger;
Noch in keiner Schlacht bezwungen,
Bleibt auch heute Ziska Sieger.

Ha! wie lauscht dem Kampf der Blinde!
Er erkennt im Sturm der Luft
Jede Waffe an der Stimme,
Wie herbei den Tod sie ruft.

Wildharmonisch seinem Ohre
Rauscht das Ringen zweier Heere,
Waffen, Schlachtruf, Ziskas Leiblied,
Und im Hinsturz Mann und Mähre.

Freudig hört er, wie die Knechte
Sigismunds hinüberfahren,
All die sächsischen Geschwader
Samt den ungrischen Husaren.

Und dem wilden blinden Ziska
Geht im Heldenrausch der Ohren
Doch die klare Feldherrnruhe
Seines Geistes nie verloren.

7

Durstig zieht die Karawane
Durch die Wüste, sucht die Quelle;
Horch! da rauscht auf grüner Matte
Die ersehnte, frische, helle!

Nach dem süßen Brunnenklange
Stürzen alle froh und eilig,
Doch sie sollen hier nicht trinken,
Denn es ist der Brunnen heilig.

Auserwählte Männer nahmen
Die Oase sich zu eigen,
Niemand sonst, wie heiß er schmachte,
Darf zum Quell die Lippen neigen.

Wächter stehen vor der Quelle
Reichen, gottvergoßnen Wonnen;
Doch der Wüstendurst ist mächtig,
Schwerter klirren um den Bronnen.

Und mit kampferhöhtem Durste
Stürzen an den Quell die Sieger,
Und sie trinken gierig, hastig,
Wie das Blut der heiße Tiger.

Mancher, schon vom Schwert getroffen,
Schlürft noch einen vollen Zug,
Um die Seele zu erfrischen
Auf den weiten Scheideflug.

Tigerhaft gereizten Durstes
Schmachten Ziskas Kampfgenossen
Nach dem Kelch des Abendmahles,
Den die Priester streng verschlossen.

Furchtbar rufen sie den Priestern:
„Habt ihr Christi Werk auf Erden,
Uns das Sakrament verstümmelt,
Sollt ihr selbst verstümmelt werden!“

Jauchzend schwingen sie die Kelche
Nach der Schlacht auf offner Wiese,
Mancher sterbend riecht im Weine
Blumen schon vom Paradiese.

Mit dem Blut des Liebevollsten
Will des Hasses Glut sich laben;
Drüben aber werden Tote
Von Verstümmelten begraben.

Wenn der lang und schwer Bedrückte
Freiheit sucht, so haßt der Wilde
Und zerbricht, wie andre Schranken,
Auch das eignen Herzens Milde.

8

O wie ward der Tod ein andrer,
Als die Griechen ihn geschildert!
Aus dem milden Götterboten
Ist zum Schreckbild er verwildert.

Als ein Genius, der die Reise
Sterblichen verkünden soll,
Seine Hand zur Wange haltend
Stand der Tod gedankenvoll;

Oder zeigte, mildsymbolisch,
Daß die Erdenlust zu Ende,
Löschend die gestürzte Fackel,
Kreuzt‘ er drüber seine Hände.

Leise trat sein Fuß die Psyche;
Wie der Freund dem Freund ein Zeichen
Leise gibt, vom Festgelage
Ohne Störung fortzuschleichen.

Schlaf und Tod als Zwillingsbrüder
Standen oft auf einem Bilde;
Beiden, ach, so weit Verschiednen
Gleiche Bildung gab die Milde.

Zweifelhaft erschien der Genius,
Fragen sollte der Beschauer:
Ists der Schlaf und die Erholung?
Ists das Sterben und die Trauer?

Nur zuweilen ward gesondert,
Und das herbre Bildnis trug,
Daß der Blick den Tod erkenne,
Falter, Kranz und Aschenkrug.

Dort den Charos sieht der Grieche
Noch in späten, rauhern Zeiten
Mit der dunkeln Schar der Seinen
Über das Gebirge reiten;

Ihm voraus die Jungen wandern,
Alte kommen nachgeschlichen;
Und gereiht am Sattel sitzen
Zarte Kinder, frühverblichen. –

Heiter kam er noch als Fiedler,
Sein Gesinde trat den Reigen,
Und zu Lust und Tanz von hinnen
Rief sein Pfeifen, helles Geigen. – –

Thanatos, ach, ward ein Krieger,
Auf die Opfer Speere schwingend;
Ein Athlet, auf glattem Boden
Jeden Helden niederringend;

Thanatos, der edle Genius,
Ist zum Sensenmann verbauert,
Mäht den Menschen, einen Grashalm,
Der zur Erde niederschauert.

Fischer, mit dem leisen Köder,
Angelt er im Meer der Luft;
Legt uns Schlingen als ein Vogler,
Der mit falschen Stimmen ruft.

Nur noch feindlich naht der Wilde,
Drohend, ins Verderben lockend,
Auch dem Menschen wie ein Kobold,
Irrwisch auf dem Halse hockend.

Gräßlich naht uns mit der Sense,
Schreck – und Vorbild, das Gerippe;
Für ein mildes Lächeln hat es
Keine Wange, keine Lippe. –

So in wechselnden Gestalten
Macht der Tod die Erdenrunde;
Heute aber geht im Heere
Sigismunds die Schreckenskunde:

„Weil den Ziska, schlachtermüdet,
Leichter Schlummer überkommen,
Hat der Tod, ihn zu ersetzen,
Seine Rüstung umgenommen;

Denn unwiderstehlich jeden,
Der ihm naht im Schlachtgebraus,
Winkt der schwarze Helmbusch Ziskas
In die ewge Nacht hinaus.“

9

Finster sitzt, abseit vom Heere,
Ein Hussit im Walde dort,
Einsam in des Baches Rauschen
Murmelt er sein Trauerwort.

Waschend in der Flut die Waffen,
Ruft er: „Heule, Bächlein, heule!
Ziska liegt im Zelte sterbend,
Schwingt nicht Lanze mehr, noch Keule!

Ziska liegt in seinem Zelte,
Sterbend liegt er auf dem Grunde;
Doch es ist kein Weibgeborner,
Der ihm schlug die Todeswunde.

Ha! wie kamen sie geritten,
Einen Kampf mit ihm zu wagen,
Hoch auf schwarzen, weißen Rossen;
Alle hat er sie erschlagen.

Ja, der Tod, der andre Männer
Niederschmettert und zerschellt,
Hat dem Ziska, dem Gewaltgen,
Feig und tückisch nachgestellt.

Heule, Bächlein, heult ihr Wälder,
Aller Welt den Schmerz zu melden,
Böhmen und der ganze Erdkreis
Sind verwaist des größten Helden.“ –

Ziska tröstet die Betrübten,
Die an seinem Lager trauern:
„Brüder, heute werd ich sterben;
Doch die Taten werden dauern.

Denn es wird in späten Tagen
Unsern Leid – und Kampfgenossen
Stärkend aus Hussitengräbern
Trost und grüner Mut entsprossen.

Darum sollt ihr meinem Tode
Stark, nicht trüb und weich erscheinen;
Habt ihr nicht gelernt von Ziska,
Keinen Toten zu beweinen?

Seid gehorsam, wackre Brüder,
Meinem letzten Tagsbefehle:
Nehmt mein Sterben, nehmt mein Scheiden
Hin mit heitrer Kriegerseele.

Hochzeit ist in diesem Zelte,
Mit der Pest bin ich getraut;
Furchtbar war Johannes Ziska,
Furchtbar auch ist seine Braut.

Mit der Rache heißen Träumen
Hat kein Weib mein Bett geteilt,
Sie allein, von deren Kusse
Nimmer wird mein Herz geheilt.

Daß ein Teil von mir noch immer
In der Schlacht den Mut euch wecke,
Spannet lustig auf die Trommel
Meines Leibes kalte Decke.

Ha! schon hör ich Schlachten brausen;
Fliehend geben sie die Sporen,
Da den Feinden mein Vermächtnis
Schrecken trommelt in die Ohren.“

Also sprach er, wieder sinkt er
In den Traum der Fieberhitze,
Tummelt mitten in der Feldschlacht
Seine Keul und Lanzenspitze.

Alle, die sein Arm getötet,
Tötet er im neuen Strauß,
Alle, die schon längst im Grabe,
Müssen noch einmal heraus.

Ja! heraus! heraus! Husaren!
Panzerdicke deutsche Reiter!
Ziska kolbt euch eure Tage
Kürzer und die Köpfe breiter.

Reichen Schnee zur Erde nieder
Ließ der Himmel Böhmens fallen,
Daß der Feinde Blut in grellem
Abstich möge drüber wallen.

Ziska bohrt die Lanzenspitze
Tief den Feinden ins Gedärme,
Daß vom Frost des harten Winters
Sich das Eisen gütlich wärme.

Der beglückte Wahn des Traumes
Gab ihm seine Augen wieder,
All die Pfaffen, Fürstenknechte
Schaut er klar und haut sie nieder.

Also träumt er, also kämpft er,
Bis die letzte Kraft geschwunden,
In der Schlacht ein Held verscheidend,
Unversehrt, unüberwunden.



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