Gedichte Rhapsodie

Der Herrn Poeten gibt es viel;
Zehn fehlen, einer trifft das Ziel.
Mein liebes Deutschland hast du denn
Drei Dichter auf einmal gesehn?
Es trägt in funfzig Jahren kaum
Ein Sprößchen unser Lorbeerbaum.
Doch greift darnach ein jeder Tor
Als käm’s auf allen Hecken vor.
Man sagt, was mag die Ursach sein
Von diesem wunderlichen Schrein?
Der Bär ja doch nicht fliegen will,
Das Pferd nicht will die Wand hinauf,
Der Hund ja gerne stehet still
Beim breiten Fluß in vollem Lauf.
Allein das arme Menschentier
Zankt sich mit der Natur herum,
Und wenn sie ruft: „Nicht weiter hier!“
So kehrt es darum doch nicht um.
Wo sein Genie nicht will, just dort
Will es, allein es kann nicht fort.

Wer herrschet über Reich und Land
Von hier aus bis nach Samarkand –
Bei der Gesetz-Kommission
Als Präses – auf der Russen Thron
Den Frieden zu Focsany macht –
– Und hat auf die Kometen acht,
Und sieht sie um eintausend Jahr
Auf seinem Blatt Papier vorher;
Der hat Genie, und braucht’s, fürwahr!
Allein der Dichter braucht noch mehr!

Der Junge von Zigeunerart
Der unterm Baum empfangen ward,
Und der auf einem Bauholz zart
Kam an das Licht der Welt hervor;
Der Fündling auf dem Mist – am Tor;
Der junge muntre Savoyard
Der künftig Schuh und Schornstein fegt,
Die Butte, die Muskete trägt;
Die jungen Herren allzumal
Die kommen, glaubet meinem Wort
Im Audienz – im Richtersaal
Auf Kanzel, Pult, und jedem Ort
Gewißlich eher alle fort,
Als wen in seinem Zorn Apoll
Zum Dichter schaffen will, und soll.

Nach eurer Ware fragt man nicht.
Wo kommt euch nun die Kundschaft her?
Und was man braucht, das habt ihr nicht,
Gesetzt man frag auch ohngefähr.
Für Kirche, Hof und Stadt und Land
Sind eure Schachteln alle leer
Und von euch Herren ist’s bekannt
Ihr sorget für die Zukunft schwer.
Ihr kriecht, stehlt, und betrügt nicht gern,
Euch mögen nicht die großen Herrn,
Von Staatsaffären schwatzt ihr nicht,
Und schmeichelt keinem ins Gesicht.
Drum sag ich euch: Ihr braucht weit mehr
Lernt immer etwas nebenher.

O eure Mühe lohnt man schlecht!
Da kommt mir just ein Gleichnis recht.
Ein junges Huhn zu mästen, ist
Ein Monat eine kurze Frist,
Und denn, wenn du’s gemästet hast,
So kommt ein wohlbeleibter Gast,
Ißt ihrer sechs auf einmal auf.
So geht’s im Dichterlebenslauf.
Wenn er nun angst – und lebenssatt
Bei zwanzig Tag geskribelt hat,
Und glaubt, für seine Müh und Pein
Er ernte Geld und Lorbeern ein,
So tritt ein Kritiker herein,
Und schlurft sein Werk behend und munter
Mit einer Tasse Tee hinunter.
Kein Mensch spricht mehr ein Wort davon,
Weg ist’s – Und gar vielleicht ging’s schon
Den Weg der Hühner mit. – Ein Sohn
Der deutschen Musen weiß nun nicht
Was er vermag, was ihm gebricht.
Wer sagt ihm nun was Gaukelei
Was wahre Dichterader sei?
Drum hört den alten Sünder an
Der euch ihr Jungen lehren kann.

Mein Sohn geh mit dir selbst zu Rat
Und findest du denn in der Tat,
Es drückt dich sonder Unterlaß
Inwendig so, zu schreiben, was;
Sitz erst, und forsch ohn alle Rast,
Wozu du Lieb und Lusten hast.
Zur Ilias? – zur Tragedie? –
Zum Epigramm -? Zur Komödie? –
Zu Shakespeares Staatsaktion? –
Zur Tugendklimprer Lautenton? –
Zum celtischen Posaunenschall? –
– Empfindsamreisender Gelall?
Und unsern Siebensachen all,
Womit man in der teuren Zeit
Das Publikum zu Markte schreit.
Steh auf bei frühem Lampenlicht,
Und rufe nach Poetenpflicht
Zuerst die Musen alle neun
Um ihre Hülf und Beistand an.
Setz dich und meditiere fein –
Dann schreib – so weit die Feder kann.
Streich aus, schreib drüber, korrigiere,
Setz zu, schneid ab, und inseriere,
Und will es gar an einem Ort
Mit der Erfindung nicht mehr fort,
So kratz dich hier, und kratz dich dort.

Ist nun das große Werk vollbracht,
So schreib es sauber – und gib acht,
Daß an gehör’gen Orten nicht
An langen Strichen es gebricht.
Dann das muß heutzutage sein,
Daß sie die Ware nicht verschrein.
Und schlägst du irgend hier und da
Nach Maßgab unsrer Kritika
Dem oder jenem ins Gesicht,
Vergiß das Unterstreichen nicht.
So riecht alsdenn ohn Unterlaß
Der dümmste Leser deinen Spaß,
Er kommentiert dir einen Sinn
Auch wohl, an den du immerhin
Sowenig als Homer gedacht,
Was Dacier aus ihm gemacht.

Ist’s nun zum Drucken hübsch bereit,
So schick es nur bei guter Zeit
Nach Leipzig zu Herrn Schwikerten;
Doch laß es keinen Menschen sehn.
Und dann wie so vergnügt siehst du’s
Im Leipz’ger Meßcatalogus!
Glaubt Schwikert, daß er’s drucken kann,
So bist du ja bezahlt. Wohlan!
Dir preist der Kolporteur vielleicht
Das liebe Söhnchen höchlich an,
Das du mit deinem Selbst gezeugt.

Gibt’s in dem Städtchen irgendwo
Von deutschen Witzlings ein Büro,
Wo à la Neker Mann und Weib
Fein kritisiert zum Zeitvertreib;
Geh hin, und setz dich weit vom Licht
Und höre, was man von dir spricht.
Und wenn man darob einig ist,
Daß du ein dummer Teufel bist,
Daß alles elend – jämmerlich –
So schluck es ein, und schüttle dich.
Sei still, wie ein Politikus,
Damit ja niemand auf dich fällt,
Und wenn der Herr ja sprechen muß,
So bell er, wie der andre bellt.
Nimm nicht des Schwächeren Partie!
Den Unbekannten treffen nie
Lob oder Tadel ungerecht.
Denn alle Tage sehen wir,
Den Namen bellt’s nur an das Tier
Vom hyperkritischen Geschlecht.
Gib ja den Herrn in allem recht,
Doch plauderst du, so bist du hin,
Und dein Kredit auf einmal all.
Herr Duns! grüßt man dich überall,
Solange du am Pranger stehst,
Bis dich ein andrer abgelöst.

Tritt nun dein Werkchen ballenweise
Inkognito die weite Reise
Als Emballage glücklich an,
So sei nur auch ein braver Mann
Der nicht beim ersten rauhen Wind
Sich hinsetzt, auf Kalender sinnt.
Von einem Hiebe fällt kein Baum.
Die Welt hat für uns alle Raum.
Gib bei dem zweiten Schritt nur acht,
Was die Kritik in Harn’sch gebracht.
Seh, wo es mit dem Gleichnis steckt,
Wie’s mit dem Stil, dem Dialekt,
Dem Spaß, Charakter, Malerei,
Im ganzen noch beschaffen sei? –
Wie’s mit den Epitheten ist?
Ob alles paßt, und alles schließt?
Sonst geht’s, ist das nicht recht bestellt,
Als wie, wann in der großen Welt
Ein Krüppel seinem kurzen Fuß
Durch einen Absatz helfen muß.
Es kommt mir auch alsdenn so vor,
Als wie zwei Hunde die im Moor
Zugleich an einer Kuppel ziehn,
Der eine her, der andre hin.
So hilft sich auch der Geograph
Bei unbekannten Ländern brav,
Wie zum Beweis bei Afrika,
Und hat er keine Städte da,
So setzt er Elefanten hin.

Geht’s nun noch nicht nach deinem Sinn,
So wirf nicht gleich die Feder hin,
Quäl dich nicht um den Ruhm zu Tod,
Sei klug, und schreibe für das Brot.
Wag dich an Hof mit leisem Tritt,
Bei Hof gehn alle Verse mit.
Verfolge nur den großen Herrn,
Dem Bettler gibt er immer gern.

Ererbt der Prinz sein Königreich,
So erbt er alle Tugend gleich.
Er ist gerecht, genädig, klug,
Und bleibt’s bis in den Tod genug.
Die Tugend welkt, das Laster blüht,
Sobald man ihn im Sarge sieht,
Was ihm im Leben wie man pflegt
An Tugend falsch ward aufgeprägt,
Das wird beim Grabe widerlegt.
Der Gott wird, wenn man läuten hört
Zum Teufel in der Höll verkehrt.

Drum laß die toten Fürsten gehn,
Und halt dich an die Lebenden.
Mach dir von allen Tugenden
Die schönsten Kollektaneen,
Und bild daraus das reichste Ganze,
Leg sie in einem Blumenkranze
Zu des Monarchen Füßen hin.
Er wird, solang dein Kränzchen grünt,
Sie gern in seine Nase ziehn,
Und glauben, daß er sie verdient,
Und daß in Gold und Hermelin
Sich alle Eigenschaften ziehn.
Dein Kranz, wenn der im Grabe ruht,
Ist für den folgenden noch gut.

Doch findst du dich auch hier zu schwach,
So folge meinem Beispiel nach
Und werfe dich zum Kenner auf,
Laß deiner Galle freien Lauf!
Und schimpfe, wie ein alter Mann,
Wenn er nichts mehr genießen kann.
Denn zum Besichtigen, zur Hut,
Ist immer der Verschnittne gut,
Für den bei der Zirkasserin
Genuß und Liebreiz niemal blühn,
Der aber die Kritik versteht,
Und eh der Kauf zu Ende geht
Vor seinen Herrn die Fehler späht.

Greif große Leute mutig an,
Denn Hobbes, der gelehrte Mann
Zeigt, daß von Kindesbeinen an
Kein Mensch den andern leiden kann.
Auch dies wohl zu bemerken ist,
Daß jedes Tier das andre frißt.
Der Walfisch frißt nach altem Brauch
Die Heringswelt in seinen Bauch;
Der Wolf das Lamm, der Fuchs das Huhn.
Beim Dichtervolk da ist es nun
Gerad die umgekehrte Welt,
Der Kleine auf den Großen fällt!
Wer sitzt, wo niemals ein Insekt
Mit krit’scher Nase hingeschmeckt
Ganz oben auf des Pindus Höhn,
Der necket nie, er wird geneckt.
Ihn lassen nicht die Kleinen gehn
Zerfleischen ihn mit Ohnmachtswut
Wie ihnen der noch Kleinre tut.
Wie Swammerdam uns klar beweist
Daß jeder Wurm den andern beißt,
Der um ein Haarbreit größer mißt,
So wie es auch bewiesen ist:
Der Floh, der an dem Menschen frißt,
Hat kleinre Flöh, die fressen ihn,
So geht’s in infinitum hin.
Und jeder kleinere Poet
Beißt immer den, der vor ihm geht.

Sodann gib dich dem Feind zu Trutz
In eines großen Mannes Schutz,
Schmauch ihn mit deinem Weihrauch ein,
So wird er dir genädig sein.
Doch nimm dich mit den Schmeichelein
In deinen Briefen wohl in acht
Damit nicht einmal über Nacht
Nach des gelehrten Mannes Tod,
Die hinterlaßne Frau, aus Not
Gar alle Briefe drucken läßt.
Da gibt es denn ein Hexenfest,
Zum Teufel geht die Ewigkeit
Und mit dein bißchen Ehrlichkeit!


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Gedichte Rhapsodie - Merck