Gedichte Jugendandacht

1

Daß des verlornen Himmels es gedächte,
Schlagen ans Herz des Frühlings linde Wellen,
Wie ew’ger Wonnen schüchternes Vermuten.
Geheimer Glanz der lauen Sommernächte,
Du grüner Wald, verführend Lied der Quellen,
Des Morgens Pracht, stillblühnde Abendgluten,
Ihr fragt: wo Schmerz und Lust so lange ruhten,
Die süß das Herz verdunkeln und es hellen?
Wie tut ihr zaubrisch auf die alten Wunden,
Daß losgebunden in das Licht sie bluten!
O sel’ge Zeit entfloßner Himmelbläue,
Der ersten Andacht solch inbrünst’ger Liebe,
Die ewig wollte knien vor der Einen!
Demütig in der Glorie des Maien
Hob sie den Schleier oft, laß offen bliebe
Der Augen Himmel, in das Land zu scheinen.
Und stand ich still, und mußt ich herzlich weinen;
In ihrem Blick gereinigt alle Triebe:
Da war nur Wonne, was ich mußte klagen,
Im Angesicht der Stillen, Ewigreinen
Kein Schmerz, als solcher Liebe Lieb ertragen!

2

Wie in einer Blume himmelblauen
Grund, wo schlummernd träumen stille Regenbogen,
Ist mein Leben ein unendlich Schauen,
Klar durchs ganze Herz ein süßes Bild gezogen.

Stille saß ich, sah die Jahre fliegen,
Bin im Innersten dein treues Kind geblieben;
Aus dem duft’gen Kelche aufgestiegen,
Ach! wann lohnst du endlich auch mein treues Lieben!

3

Was wollen mir vertraun die blauen Weiten,
Des Landes Glanz, die Wirrung süßer Lieder,
Mir ist so wohl, so bang! Seid ihr es wieder
Der frommen Kindheit stille Blumenzeiten?

Wohl weiß ich’s – dieser Farben heimlich Spreiten
Deckt einer Jungfrau strahlend reine Glieder;
Es wogt der große Schleier auf und nieder,
Sie schlummert drunten fort seit Ewigkeiten.

Mir ist in solchen linden, blauen Tagen,
Als müßten alle Farben auferstehen,
Aus blauer Fern sie endlich zu mir gehen.

So wart ich still, schau in den Frühling milde,
Das ganze Herz weint nach dem süßen Bilde,
Vor Freud, vor Schmerz? – ich weiß es nicht zu sagen.

4

Viel Lenze waren lange schon vergangen,
Vorüber zogen wunderbare Lieder,
Die Sterne gingen ewig auf und nieder,
Die selbst vor großer Sehnsucht golden klangen.

Und wie so tausend Stimmen ferne sangen,
Als riefen mich von hinnen sel’ge Brüder,
Fühlt ich die alten Schmerzen immer wieder,
Seit deine Blicke, Jungfrau, mich bezwangen.

Da war’s, als ob sich still dein Auge hübe,
Langst sehnsuchtsvoll nach mir mit offnen Armen,
Fühlst selbst den Schmerz, den du mir süß gegeben. –

Umfangen fühl ich innigst mich erwarmen,
Berührt mit goldnen Strahlen mich das Leben,
Ach! daß ich ewig dir am Herzen bliebe!

5

Wann Lenzesstrahlen golden niederrinnen,
Sieht man die Scharen losgebunden ziehen,
Im Waldrevier, dem neu der Schmuck geliehen,
Die lust’ge Jagd nach Lieb und Scherz beginnen.

Den Sänger will der Frühling gar umspinnen,
Er, der Geliebteste, darf nicht entfliehen,
Fühlt rings ein Lied durch alle Farben ziehen,
Das ihn so lockend nimmer läßt von hinnen.

Gefangen so, sitzt er viel sel’ge Jahre;
Des Einsamen spottet des Pöbels Scherzen,
Der aller Glorie möchte Lieb entkleiden.

Doch er grüßt fröhlich alle, wie sie fahren,
Und mutig sagt er zu den süßen Schmerzen:
„Gern sterb ich bald, wollt ihr von mir je scheiden!“

6

Wann frisch die buntgewirkten Schleier wallen,
Weit in das Land die Lerchen mich verführen,
Da kann ich’s tief im Herzen wieder spüren,
Wie mich die Eine liebt und ruft vor allen.

Wenn Nachtigalln aus grünen Hallen schallen,
Wen möchten nicht die tiefen Töne rühren;
Wen nicht das süße Herzeleid verführen,
Im Liebesschlagen tot vom Baum zu fallen? –

So sag auch ich bei jedem Frühlingsglanze:
Du süße Laute! laß uns beide sterben,
Beklagt vom Widerhallen zarter Töne,

Kann unser Lied auch nie den Lohn erwerben,
Daß hier mit eignem, frischem Blumenkranze
Uns endlich kröne nun die Wunderschöne! –

7

Der Schäfer spricht, wenn er frühmorgens weidet:
„Dort drüben wohnt sie hinter Berg‘ und Flüssen!“
Doch seine Wunden deckt sie gern mit Küssen,
Wann lauschend Licht am stillen Abend scheidet.

Ob neu der Morgenschmuck die Erde kleidet,
Ob Nachtigallen Nacht und Stern‘ begrüßen,
Stets fern und nah bleibt meine Lieb der Süßen,
Die in dem Lenz mich ewig sucht und meidet. –

Doch hör ich wunderbare Stimmen sprechen:
„Die Perlen, die du treu geweint im Schmerze,
Sie wird sie sorglich all zusammenbinden,

Mit eigner Kette so dich süß umwinden,
Hinaufziehn dich an Mund und blühend Herze –
Was Himmel schloß, mag nicht der Himmel brechen.“

8

Wenn du am Felsenhange standst alleine,
Unten im Walde Vögel seltsam sangen
Und Hörner aus der Ferne irrend klangen,
Als ob die Heimat drüben nach dir weine,

War’s niemals da, als rief die Eine, Deine?
Lockt dich kein Weh, kein brünstiges Verlangen
Nach andrer Zeit, die lange schon vergangen,
Auf ewig einzugehn in grüne Scheine?

Gebirge dunkelblau steigt aus der Ferne,
Und von den Gipfeln führt des Bundes Bogen
Als Brücke weit in unbekannte Lande.

Geheimnisvoll gehn oben goldne Sterne,
Unten erbraust viel Land in dunklen Wogen –
Was zögerst du am unbekannten Rande?

9

Es wendet zürnend sich von mir die Eine,
Versenkt die Ferne mit den Wunderlichtern.
Es stockt der Tanz – ich stehe plötzlich nüchtern,
Musik läßt treulos mich so ganz alleine.

Da spricht der Abgrund dunkel: Bist nun meine;
Zieht mich hinab an bleiernen Gewichtern,
Sieht stumm mich an aus steinernen Gesichtern,
Das Herz wird selber zum kristallnen Steine.

Dann ist’s, als ob es dürstend Schmerzen sauge
Aus lang vergeßner Zeit Erinnerungen,
Und kann sich rühren nicht, von Frost bezwungen.

Versteinert schweigen muß der Wehmut Welle,
Wie willig auch, schmölz ihn ein wärmend Auge,
Kristall zerfließen wollt als Tränenquelle.

10

Durchs Leben schleichen feindlich fremde Stunden,
Wo Ängsten aus der Brust hinunterlauschen,
Verworrne Worte mit dem Abgrund tauschen,
Drin bodenlose Nacht nur ward erfunden.

Wohl ist des Dichters Seele stumm verbunden
Mit Mächten, die am Volk vorüberrauschen;
Sehnsucht muß wachsen an der Tiefe Rauschen
Nach hellerm Licht und nach des Himmels Kunden.

O Herr! du kennst allein den treuen Willen,
Befrei ihn von der Kerkerluft des Bösen,
Laß nicht die eigne Brust mich feig zerschlagen!

Und wie ich schreibe hier, den Schmerz zu stillen,
Fühl ich den Engel schon die Riegel lösen,
Und kann vor Glanze nicht mehr weiterklagen.


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Gedichte Jugendandacht - Eichendorff