Gedichte Marathon

I

Zehntausend steigen von den Bergen nieder,
Die Blüte Hellas‘, sich dem Tod zu weihen.
Durch Morgendämmrung ziehen ihre Reihen.
Ein Wall von Erz ziehn hin des Heeres Glieder.

Die Lerchen singen ihre Morgenlieder,
Sie schwingen sich zum Himmel ohne Zahl.
Ihr helles Singen füllt das ganze Tal,
Sie steigen in dem Blauen auf und nieder.

Noch sind die Morgenwinde nicht erwacht.
In süßem Schlummer liegt noch weit die Welt,
Der Morgenstern steht noch in keuscher Pracht.

Euböa nur ist weithin schon erhellt.
Da rauscht die Sonne aus des Meeres Schacht
Und vor dem Heere liegen Zelt bei Zelt.

II

Voll brauner Zelte liegt der ganze Strand
Heuschrecken gleich, die auf die Felder fielen.
Und tausend Schiffe mit den schwarzen Kielen
Stehn, hochgezogen auf den Ufersand.

Sie sehn der Griechenpanzer Sonnenbrand:
Die Hörner gellen, alle Pfeifen spielen,
Sie quellen aus den Gassen schon zu vielen,
Die weite Ebene ist mit eins bemannt.

Eunuchen mit den hohen Stimmen schreien Ins
Ins Haremszelt nach dem Satrapenpaar.
Man führt herbei der Feldherrn Dromedar.

Sie treten vor. Die Königswürden leihen,
Tiaren glänzen von dem schwarzen Haar,
Indes die Tore Volk um Völker speien.

III

Langbärtge Perser ziehn in Heeres Mitten
Mit kurzen Schwertern und mit großen Bogen,
Die durch Ägyptens Wüstenein gezogen,
Die gegen Krösus einst am Halys stritten.

Die hagren Libyer mit den Eisensehnen
Auf Eilkamelen Afrikas beritten.
Die Skythen, die sich kurze Pfeile schnitten,
Ihr Haar in Zöpfen, wie der Pferde Mähnen.

Des Sudans Neger, fettig und beleibt,
Die Luft durchschreiend, brüllend wie ein Stier.
Das Volk von Babylon, das Henna reibt

Und sich die Stirn bemalt mit Weiberzier.
Der Vögte Geißel, die die Menge treibt
Und sausend niederfährt auf Mensch und Tier.

IV

Noch trunkne Thraker stürzen aus dem Zelt,
Dem Liber singen sie und dem Priap.
Streitwagen ziehen an dem Heer hinab,
Die Sicheln blinken wie im Erntefeld.

Der wilden Baktrer großes Schlachthorn gellt.
Die Inder führen Elefanten vor,
Die laut trompetend schwanken aus dem Tor,
Den Mann im Nacken, der den Stachel hält.

Von Rhodos Männer. Auf den Panzerringen,
Und auf dem Schild, das mit dem Schwert sie schlagen,
Des Sonnengottes Bildnis glänzt in Gold.

Die Kreter, die die Lederschleudern schwingen.
Die Lampsaker am Helm den Phallus tragen,
Abtrünnge Griechen in des Königs Sold.

V

Orgie des Bunten. Pracht der Morgenländer.
Stets wechselnd wogt es an des Meeres Strande,
In Rot und Weiß und Gold im Sonnenbrande.
Der Krieger Panzer, Leiber, und Gewänder.

Unendliches Geschrei und lautes Lärmen,
Wie Herden brüllen in den großen Ställen.
Die Klänge fallen und die Klänge schwellen,
Wie ein Orkan entsteigen sie den Schwärmen.

Die Opferstiere schrein, die Tod erleiden.
Die Priester, die Kybeles Brüsten dienen,
Verkünden Sieg aus ihren Eingeweiden.

Die Feldherrn thronen unter Baldachinen,
Und wo sie reiten, neigt das Volk sich beiden.
Es küßt nach Perserbrauch den Staub nach ihnen.

VI

In ernster Strenge angeborner Zucht
Die Männer von Athen zur Walstatt steigen.
Wie auf dem Ringplatz stumm zum Todesreigen,
Doch hallt der Grund von der Sandalen Wucht.

Erhabne Größe der Demokratien,
Das Recht Europas zieht mit euch zu Meere.
Das Heil der Nachwelt tragt ihr auf dem Speere:
Der freien Völker große Harmonien.

Der Republiken Los in den Phalangen,
Der Haß der Freien gegen die Despoten.
Ihr kämpft für Recht, das macht euch frei von Bangen.

Dem Morgen zu! Der Völkerfreiheit Boten,
Unsterblichkeit auf ewig zu erlangen,
Wenn Abend ruht auf eurer Schlachtreihn Toten.

VII

Der Pfeile Wolken fliegen mit dem Winde,
Die runden Schilde von den Pfeilen starren.
Die Steine sausen, alle Schleudern knarren
Und der Ballisten ächzende Gewinde.

Die beiden Heere aufeinanderprallen.
Sie beißen sich wie Hunde in sich ein.
Der Tod hält Schlachtfest in den weiten Reihn,
Die blutbeströmt sich ineinanderkrallen.

Die Sichelwagen mähen durch die Flur
Der Leiber hin, sie wirbeln Glieder auf.
Gassen voll Toter reißt der Wagen Spur.

Wenn sie der Lenker mit dem Stachel stach,
Die Elefanten brüllen allzuhauf,
Und stampfen blinden Wütens alles brach.

VIII

Der Griechen Mitte wankt schon in der Schlacht,
Die schwache Tiefe weicht vor den Barbaren,
Die, einem Sturmbock gleich, mit allen Scharen
Im Keile stürmen, riesger Übermacht.

Vor manches Griechen Augen wird es Nacht.
Ins Knie sinkt der, helmlos, den Streichen offen
Das bare Haupt. Der stürzt, ins Herz getroffen,
Da eine Lanze durch den Panzer kracht.

Sie schleudern Brände von der Tiere Türmen.
Die Neger schlagen drein mit erznen Keulen.
Die wilden Skythen mit den Rossen stürmen.

Wie Fluten brechen durch der Deiche Haft,
So bricht das Schlachtvolk durch mit Schrein und Heulen,
Zerreißt der Griechenkette stolze Kraft.

IX

Laß reißen. Denn die Flügel fassen Bahn,
Wie Adler klafternd über dunklem Grunde.
Hör. Hör. Sie stimmen an mit lautem Munde
Den Kriegsgesang, den hallenden Päan.

Die Götter steigen in das Schlachtgetümmel,
Aus Griechenreihn des Phöbus Pfeile sausen.
Und Ares‘ Stimme füllt mit lautem Brausen
Des Meeres Tiefen, Erd und weiten Himmel.

Wie eine Löwenmähne ragt sein Haupt.
Er schlachtet mit dem Schwerte in den Horden.
Da fliehn die ersten, ihres Muts beraubt.

Da stürzen viele zu der Schiffe Borden.
Doch Ares mäht noch, blutig und bestaubt,
Und führt die Griechen an zu wildem Morden.

X

Wie dichte Wolken liegen Dunst und Hauch
Des heißen Mittags auf der Ebnen Weiten.
Die Sonnenstrahlen wie durch Nebel gleiten,
Schwarz wälzt sich hin verbrannter Felder Rauch.

Der Toten Blut und Wunden faulend stinken.
Die Sterbenden, die Durst wahnsinnig macht,
Kriechen auf Vieren durchs Gewühl der Schlacht
Zu den schon Toten, um ihr Blut zu trinken.

Hier haben zwei im Staube sich gefunden.
Ein Perser und ein Grieche. Halb schon tot,
Der in der Brust, der in dem Bauch die Wunden.

Der stärkre Perser drosselt den Hellenen.
Dann läßt er des Erstickten Blut sich munden.
Das wie ein Bach tritt aus des Bauches Venen.

XI

Nun stirbt auch er, vom bittren Los bezwungen.
Auf seine Beute stürzt ihn Todes Macht.
Verliebten gleich in süßer Liebesnacht,
Im Tode halten sie sich eng umschlungen.

Unzählge Geier schweben auf der Schlacht,
Auf jeden Fels der Berge hingeschwungen.
Sie spähen sorgsam in die Niederungen.
Des Schauspiels Wächter halten stumm sie Wacht.

Wie sich die Menge drängt in die Arenen,
So fliegen neue stets von Meer und Land.
Schon grau von ihnen sind der Berge Lehnen.

Von Asiens Küste kamen sie zum Feste,
Da sie den Blutgeruch im Wind erkannt,
Der großen Tafeln fürchterliche Gäste.

XII

Die Perser, die den Sieg erstritten meinen,
Ruhn in der Ebne nach des Kampfes Toben.
Kein Feind vor ihnen, alle sind zerstoben.
Tot sind sie alle, tot in Sand und Steinen.

Die Neger hacken mit den Bronzebeilen
Die Hände ab den Toten in dem Staube,
Und füllen Ledersäcke mit dem Raube.
Ihr Zanken schallt herum beim Beuteteilen.

Die Schnüre brechen von den Trankamphoren
Die Thraker schon. Sie lagern sich im Schatten.
Die Skythen lösen sich die blutgen Sporen.

Die Elefanten kauen in dem Sande.
Die Griechensöldner häufen Staub den Toten,
Daß ihre Seele käm zu Hades‘ Strande.

XIII

Da stürzt ein Wächter mit Geschrei herein
In Lagers Ruhe. „Zu den Waffen, auf.“
Und alle sehn erschreckt auf seinen Lauf,
Der schreiend eilt schon fern durch ihre Reihn.

Sie stehen auf, sie legen ihre Hand
Vor ihre Augen. Doch sie sehen nicht.
Der Rauch der Felder beißt sie ins Gesicht.
Sie sehen nichts als Rauch und Felderbrand.

Auf eines Thrakers Schultern wird gehoben
Ein kleiner Skythe, daß er weiter sähe.
Er schaut ins Land von seiner Warte oben.

Die andern drängen sich in ihre Nähe.
Ein großer Kreis hat sich um sie geschoben
Und wartet schweigend, was er wohl erspähe.

XIV

Minuten gehn. Es schaut der Steppensohn
Ins Rauchmeer weit, das ihm das Land verhüllt.
Da blinkt es auf. Da: Waffen. Speer und Schild.
„Die Griechen sind’s. Sie sind am Lager schon.“

Er schreit’s hinaus. Da trifft ein Pfeil zum Lohn
Den Schreier in den Mund. Er stürzt herab
Und findet in dem Sand ein schnelles Grab.
Der Staub verstopft ihm seine Kehle schon.

Die andern stürzen schreiend zu den Waffen,
Sie reißen sich die Waffen aus den Händen,
Die Schleudrer suchen Bogen zu erraffen,

Die Bogner Schleudern. Die die Keulen tragen,
Sie reißen Schwerter andern von den Lenden.
Die waffenlose Menge stürmt die Wagen.

XV

Zu spät. Die Griechen schlachten sie wie Schafe.
Wie Wasser springt aus den geborstnen Schläuchen,
So stürzt ihr Blut aus Hals und Kopf und Bäuchen.
Sie sinken reihenweis zum letzten Schlafe.

Den Griechen steigt das Blut bis zu den Knien.
Sie gleiten aus fast auf den glatten Leichen.
Wie Schnitter mähen sie mit großen Streichen.
Kein Widerstand. Ein Rennen, Hasten, Fliehen.

Wie vor den Bremsen Rinder querfeldein,
Besinnungslos, gejagt von wilder Hast.
„Zu Schiff. Zu Schiff“, hallt laut ihr wildes Schrein.

Durch Hecken, Gräben, Sümpfe und Morast.
Die Hintern hauen auf die Vordern ein
Und werfen von sich Helm und Schildeslast.

XVI

Der Lager Tore fassen nicht die Menge.
Die Fliehnden pressen sich an Tores Schwellen.
Die Leiber türmen auf sich zu den Wällen,
Wie eine Woge brausend durch die Enge.

Auf den Erdrückten, die zu tausend fallen,
Stürzt nach die Flucht, hin durch die Lagergassen.
Die Zelte stürzen nieder vor den Massen,
Die wie Lawinen wachsend hin sich ballen.

Die Kranken treten tot sie in den Betten.
Die Fraun und Kinder stößt sie in den Kot.
Nur ein Gedanke: sich zum Schiff zu retten.

Die Menge wälzt herab sich zu dem Strande,
Was in den Weg ihr kommt, das tritt sie tot.
Ins Wasser stürzt sie, wie ein Strom vom Lande.

XVII

Die Schiffe gleiten rauschend in die Bucht,
Von hundert Schultern in das Meer geschoben.
Die Menge drängt sich an den Borden oben.
Die Schiffe sinken tief von Last und Wucht.

Die Segel schwanken auf von den Verdecken,
Zu hundert ziehn sie auf sie an den Seilen.
Die Ankerketten kappen sie mit Beilen.
Mit Stangen stoßen ab sie von den Hecken.

Es füllen Raum und Deck sich mit dem Trosse.
Eunuchen, Sklaven, Priester und Soldaten.
Ein Rennen, Schreien, wahnsinnig Gebaren.

Ein Kampf und ziellos Durcheinanderfahren.
Die Elefanten durch die Fluten waten.
Die Schiffe stoßen wütend die Kolosse.

XVIII

Die Schiffe schwanken vor der Wilden Stoß.
Das Wasser tritt durch Löcher, die sie schlugen.
Die Schiffe krachen schon in allen Fugen.
Die Bänke liegen ihren Stößen bloß.

Die Ruder brechen sie wie trocknes Kraut.
Mit ihren Rüsseln auf das Deck sie langen,
Sich aus den Massen einen Mann zu fangen.
Sie heben hoch ihn und sein Schrein gellt laut.

Man wirft nach ihnen Stricke mit den Schlingen.
Man haut mit Äxten nach den großen Zähnen.
Man wirft Harpunen, und das Meer wird Blut.

Zwei Inder kühn sich von den Borden schwingen.
Sie hauen durch der Hinterfüße Sehnen.
Die Ungeheuer stürzen in die Flut.

XIX

Die Schiffe schwimmen durch der Riesen Leichen
Aufs Meer hinaus. Die Segel faßt der Wind.
Sie blähen auf sich, und die Rudrer sind
Im Raum geschäftig, durch die Flut zu streichen.

Das Volk sitzt wie die Fliegen matt im Rumpf,
An Deck, und Mast. Sie schauen vor sich hin.
An nichts zu denken, ist ihr einzger Sinn.
Trübsinnig, krank, verwundet, faul und stumpf.

Die Feldherrn hocken traurig in den Ecken.
Wer grad vorbeigeht, speit sie ins Gesicht.
Sie merken’s kaum. Sie denken nur der Speichen

Des Rads, auf das sie bald die Glieder strecken.
Sie brüten, wie den König sie erweichen.
Sie wissen, ach, dem Tod entgehn sie nicht.

XX

Die Griechen halten am befreiten Strand.
Sie sehn die Fahrt der Schiffe vor den Winden,
Sie sehn sie langsam in das Graue schwinden,
Wo Meer und Himmel läuft in eine Wand.

Sie schauen auf, und sehn den Genius thronen
Der Freiheit Hellas‘ und der Nachwelt Zeiten,
Die Götter sehn sie nach den Hallen schreiten,
Vom Schlachtfeld kehrend, wo im Licht sie wohnen.

Greis, Mann und Knabe halten sich umschlungen,
Vom Glanz geblendet, von den Himmels-Strahlen.
Den Göttern Dank, die Asien bezwungen.

Ein frommes Weihelied entsteigt den Talen,
In tausend Stimmen wird es fortgesungen.
Und Pheidippides bindet die Sandalen.

XXI

Der Tag flieht westwärts, und der Abend sinkt.
Von Osten naht die Nacht. Die Sterne steigen
Von Meer und Inseln in dem kühlen Reigen.
Des Meeres Welle leis am Ufer singt.

Die Griechen schlummern traumlos bei den Toten.
Da tut der Grund sich auf: Der Bote winkt
Im Abgrund stehend. Und wie Wolken schwingt
Der Schatten Heer sich auf und folgt dem Boten.

Die Erde schließt sich hinter ihrem Zug.
Sie folgen ihrem stummen Führer blind,
Der Tiefe zu, der trauervolle Spuk.

Durch Schächte lichtlos flattern sie geschwind.
Durch Kluft und Höhlen geht der stumme Flug
Zum Acheron, der kalt und dunkel rinnt.

XXII

Viel Kammern, Gänge, Nester, dunkle Orte,
Dem Bienenstock in hohlem Baume gleich,
Sind in der Finsternis, in Hades‘ Reich.
Die Welle führt sie durch die dunklen Porte.

Sie landen an und treten durch die Pforte
In Hades‘ Dunkel, in den weiten Saal.
Die Schatten wogen um sie ohne Zahl.
In Reihe treten sie, des Zugs Eskorte.

Die toten Krieger nahen Hades‘ Throne.
Sie sehn sein Riesenhaupt in Nacht sich heben
Und Wolkenmeere ziehn um seine Krone.

Sie nahn den Höfen, da sie wohnen sollen.
Und scharweis sie durch ihre Tore schweben,
Dem Rauch gleich quellend in die dunklen Stollen.


1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars (1 votes, average: 5,00 out of 5)

Gedichte Marathon - Heym