Gedichte Der alte Gondolier

1833

Es sonnt sich auf den Stufen
Der seebespülten Schwelle
Ein Greis am Rand der Welle,
In weißer Locken Zier:
Und gerne steht dem Fremdling,
Der müßig wandelt, Rede
Auf seiner Fragen jede
Der alte Gondolier.

Er spricht: Ich habe rüstig
Lagun und Meer befahren;
Doch hab ich nun seit Jahren
Kein Ruder eingetaucht:
Es hangt die morsche Gondel
An Stricken in der Halle,
Wo Alles im Verfalle,
Wo Alles ungebraucht.

Es ist der Herr des Hauses
Nach fernen Himmelstrichen
Seit langer Zeit entwichen,
Für unsre Bitten taub;
Der Gute zog von hinnen
Am Tag, als Bonaparte
Der Republik Standarte
Ließ werfen in den Staub.

Er stand in besten Jahren,
Als er von uns geschieden;
Doch, lebt er noch hienieden,
So ist’s ein greiser Mann.
Er sprach: Und soll ich dienen,
So sei’s in fremden Ländern:
Hier soll mit Ordensbändern
Mich schmücken kein Tyrann!

Wir blieben, ach, und schauten,
Wie Kirchenraub und Schande
Beging die schnöde Bande
Nach schnellgebrochnem Eid!
Wir sahn, wie jene Wilden
Den Bucentaur zerschlugen,
Und unsre Seelen trugen
Ein unerhörtes Leid!

Wir sahn den Markuslöwen
Zum fernen Strand entführen,
Wir sahn, wie man mit Schwüren
Und mit Besiegten scherzt!
Wir sahn zerstört von Frevlern,
Was würdig schien der Dauer,
Wir sahn an Tor und Mauer
Die Wappen ausgemerzt.

Doch leb ich und betrachte
Die teure Stadt noch immer,
Erquick im Morgenschimmer
Die Glieder schwach und alt.
Von meines Herrn Palaste
Vermocht ich nicht zu weichen,
Auch läßt er gern mir reichen
Den kleinen Unterhalt.

Da denk ich meiner Jugend,
Und wie ich als Matrose
Gefolgt der Windesrose
Bei Sturm und Sonnenstrahl;
Und wie blockierte Tunis
Und jene Türkenrotte,
Mit seiner schönen Flotte,
Venedigs Admiral.

O holder Tag, als Emos
Heimzug die Fluten teilte,
Und ihm entgegen eilte
Der Doge Paul Renier!
Gedenk ich jener Zeiten,
Wird meine Seele milder:
Es fliegen jene Bilder
Wie Engel um mich her!


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