Gedichte Sängerliebe

Seit der hohe Gott der Lieder
Mußt in Liebesschmerz erbleichen,
Seit der Lorbeer seiner Schläfe
Unglücksel’ger Liebe Zeichen,
Wundert’s wen, daß ird’schen Sängern,
Die dasselbe Zeichen kränzet,
Selten in der Liebe Leben
Ein beglückter Stern erglänzet?
Daß sie ernst und düster blicken,
Ihre Saiten traurig tönen,
Daß von Lust sie wenig singen,
Aber viel von Schmerz und Sehnen?
Sängerliebe, tief und schmerzlich,
Laßt euch denn in ernsten Bildern
Aus den Tagen des Gesanges,
Aus der Zeit der Minne schildern!

1. Rudello

In den Talen der Provence
Ist der Minnesang entsprossen,
Kind des Frühlings und der Minne,
Holder, inniger Genossen.
Blütenglanz und süße Stimme
Konnt an ihm den Vater zeigen,
Herzensglut und tiefes Schmachten
War ihm von der Mutter eigen.
Selige Provencer Tale,
Üppig blühend wart ihr immer,
Aber eure reichste Blüte
War des Minneliedes Schimmer.
Jene tapfern, schmucken Ritter,
Welch ein edler Sängerorden!
Jene hochbeglückten Damen,
Wie sie schön gefeiert worden!
Vielgeehrt im Sängerchore
War Rudellos werter Name,
Vielgepriesen, vielbeneidet
Die von ihm besungne Dame.
Aber niemand mocht erkunden,
Wie sie hieße, wo sie lebte,
Die so herrlich, überirdisch
In Rudellos Liedern schwebte;
Denn nur in geheimen Nächten
Nahte sie dem Sänger leise,
Selbst den Boden nie berührend,
Spurlos, schwank, in Traumesweise.
Wollt er sie mit Armen fassen,
Schwand sie in die Wolken wieder,
Und aus Seufzern und aus Tränen
Wurden dann ihm süße Lieder.
Schiffer, Pilger, Kreuzesritter
Brachten dazumal die Märe,
Daß von Tripolis die Gräfin
Aller Frauen Krone wäre;
Und so oft Rudell es hörte,
Fühlt‘ er sich’s im Busen schlagen,
Und es trieb ihn nach dem Strande,
Wo die Schiffe fertig lagen.
Meer, unsichres, vielbewegtes,
Ohne Grund und ohne Schranken!
Wohl auf deiner regen Wüste
Mag die irre Sehnsucht schwanken.
Fern von Tripolis verschlagen,
Irrt die Barke mit dem Sänger;
Äußrem Sturm und innrem Drängen
Widersteht Rudell nicht länger.
Schwer erkranket liegt er nieder,
Aber ostwärts schaut er immer,
Bis sich hebt am letzten Rand
Ein Palast im Morgenschimmer.
Und der Himmel hat Erbarmen
Mit des kranken Sängers Flehen,
In den Port von Tripolis
Fliegt das Schiff mit günst’gem Wehen.
Kaum vernimmt die schöne Gräfin,
Daß so edler Gast gekommen,
Der allein um ihretwillen
Übers weite Meer geschwommen:
Alsobald mit ihren Frauen
Steigt sie nieder unerbeten,
Als Rudello, schwanken Ganges,
Eben das Gestad betreten.
Schon will sie die Hand ihm reichen,
Doch ihm dünkt, der Boden schwinde;
In des Führers Arme sinkt er,
Haucht sein Leben in die Winde.
Ihren Sänger ehrt die Herrin
Durch ein prächtiges Begängnis,
Und ein Grabmal von Porphyr
Lehrt sein trauriges Verhängnis.
Seine Lieder läßt sie schreiben
Allesamt mit goldnen Lettern,
Köstlich ausgezierte Decken
Gibt sie diesen teuren Blättern;
Liest darin so manche Stunde,
Ach! und oft mit heißen Tränen,
Bis auch sie ergriffen ist
Von dem unnennbaren Sehnen.
Von des Hofes lust’gem Glanz,
Aus der Freunde Kreis geschieden,
Suchet sie in Klostermauern
Ihrer armen Seele Frieden.

2. Durand

Nach dem hohen Schloß von Balbi
Zieht Durand mit seinem Spiele;
Voll die Brust von süßen Liedern,
Naht er schon dem frohen Ziele.
Dort ja wird ein holdes Fräulein,
Wann die Saiten lieblich rauschen,
Augen senkend, zart erglühend,
Innig atmend niederlauschen.
In des Hofes Lindenschatten
Hat er schon sein Spiel begonnen,
Singt er schon mit klarer Stimme,
Was er Süßestes ersonnen.
Von dem Söller, von den Fenstern
Sieht er Blumen freundlich nicken,
Doch die Herrin seiner Lieder
Kann sein Auge nicht erblicken.
Und es geht ein Mann vorüber,
Der sich traurig zu ihm wendet:
„Störe nicht die Ruh der Toten!
Fräulein Blanka hat vollendet.“
Doch Durand, der junge Sänger,
Hat darauf kein Wort gesprochen,
Ach, sein Aug ist schon erloschen,
Ach, sein Herz ist schon gebrochen.
Drüben in der Burgkapelle,
Wo unzähl’ge Kerzen glänzen,
Wo das tote Fräulein ruht,
Hold geschmückt mit Blumenkränzen,
Dort ergreifet alles Volk
Schreck und Staunen, freudig Beben,
Denn von ihrem Totenlager
Sieht man Blanka sich erheben.
Aus des Scheintods tiefem Schlummer
Ist sie blühend auferstanden,
Tritt im Sterbekleid hervor
Wie in bräutlichen Gewanden.
Noch, wie ihr geschehn, nicht wissend,
Wie von Träumen noch umschlungen,
Fragt sie zärtlich, sehnsuchtsvoll:
„Hat nicht hier Durand gesungen?“
Ja, gesungen hat Durand,
Aber nie mehr wird er singen,
Auferweckt hat er die Tote,
Ihn wird niemand wiederbringen.
Schon im Lande der Verklärten
Wacht er auf, und mit Verlangen
Sucht er seine süße Freundin,
Die er wähnt vorangegangen.
Aller Himmel lichte Räume
Sieht er herrlich sich verbreiten;
Blanka! Blanka! ruft er sehnlich
Durch die öden Seligkeiten.

3. Der Kastellan von Couci

Wie der Kastellan von Couci
Schnell die Hand zum Herzen drückte,
Als die Dame von Faiel
Er zum erstenmal erblickte!
Seit demselben Augenblicke
Drang durch alle seine Lieder,
Unter allen Weisen stets
Jener erste Herzschlag wieder.
Aber wenig mocht ihm frommen
All die süße Liederklage,
Nimmer darf er dieses hoffen,
Daß sein Herz an ihrem schlage.
Wenn sie auch mit zartem Sinn
Eines schönen Lieds sich freute,
Streng und stille ging sie immer
An des stolzen Gatten Seite.
Da beschließt der Kastellan,
Seine Brust in Stahl zu hüllen
Und mit drauf geheft’tem Kreuz
Seines Herzens Schlag zu stillen.
Als er schon im heil’gen Lande
Manchen heißen Tag gestritten,
Fährt ein Pfeil durch Kreuz und Panzer,
Trifft ihm noch das Herze mitten.
„Hörst du mich, getreuer Knappe?
Wann dies Herz nun ausgeschlagen,
Zu der Dame von Faiel
Sollt du es hinübertragen!“
In geweihter, kühler Erde
Wird der edle Leib begraben;
Nur das Herz, das müde Herz,
Soll noch keine Ruhe haben.
Schon in einer goldnen Urne
Liegt es, wohl einbalsamieret,
Und zu Schiffe steigt der Diener,
Der es sorgsam mit sich führet.
Stürme brausen, Wogen schlagen,
Blitze zucken, Maste splittern,
Ängstlich klopfen alle Herzen,
Eines nur ist ohne Zittern.
Golden strahlt die Sonne wieder,
Frankreichs Küste glänzet drüben,
Freudig schlagen alle Herzen,
Eines nur ist still geblieben.
Schon im Walde von Faiel
Schreitet rasch der Urne Träger,
Plötzlich schallt ein lustig Horn
Samt dem Rufe wilder Jäger.
Aus den Büschen rauscht ein Hirsch,
Dem ein Pfeil im Herzen stecket,
Bäumt sich auf und stürzt und liegt
Vor dem Knappen hingestrecket.
Sieh! der Ritter von Faiel,
Der das Wild ins Herz geschossen,
Sprengt heran mit Jagdgefolg
Und der Knapp ist rings umschlossen.
Nach dem blanken Goldgefäß
Tasten gleich des Ritters Knechte,
Doch der Knappe tritt zurück,
Spricht mit vorgehaltner Rechte:
„Dies ist eines Sängers Herz,
Herz von einem frommen Streiter;
Herz des Kastellans von Couci,
Laßt dies Herz im Frieden weiter!
Scheidend hat er mir geboten:
Wann dies Herz nun ausgeschlagen,
Zu der Dame von Faiel
Soll‘ ich es hinübertragen.“
„Jene Dame kenn ich wohl!“
Spricht der ritterliche Jäger,
Und entreißt die goldne Urne
Hastig dem erschrocknen Träger;
Nimmt sie unter seinen Mantel,
Reitet fort in finstrem Grolle,
Hält so eng das tote Herz
An das heiße, rachevolle.
Als er auf sein Schloß gekommen,
Müssen sich die Köche schürzen,
Müssen gleich den Hirsch bereiten
Und ein seltnes Herze würzen.
Dann, mit Blumen reich bestecket,
Bringt man es auf goldner Schale,
Als der Ritter von Faiel
Mit der Dame sitzt am Mahle.
Zierlich reicht er es der Schönen,
Sprechend mit verliebtem Scherze:
„Was ich immer mag erjagen,
Euch gehört davon das Herze.“
Wie die Dame kaum genossen,
Hat sie also weinen müssen,
Daß sie zu vergehen schien
In den heißen Tränengüssen.
Doch der Ritter von Faiel
Spricht zu ihr mit wildem Lachen:
„Sagt man doch von Taubenherzen,
Daß sie melancholisch machen:
Wieviel mehr, geliebte Dame,
Das, womit ich Euch bewirte!
Herz des Kastellans von Couci,
Der so zärtlich Lieder girrte.“
Als der Ritter dies gesprochen,
Dieses und noch andres Schlimme,
Da erhebt die Dame sich,
Spricht mit feierlicher Stimme:
„Großes Unrecht tatet Ihr,
Euer war ich ohne Wanken,
Aber solch ein Herz genießen
Wendet leichtlich die Gedanken.
Manches tritt mir vor die Seele,
Was vorlängst die Lieder sangen,
Der mir lebend fremd geblieben,
Hat als Toter mich befangen.
Ja, ich bin dem Tod geweihet,
Jedes Mahl ist mir verwehret,
Nicht geziemt mir andre Speise,
Seit mich dieses Herz genähret.
Aber Euch wünsch ich zum Letzten
Milden Spruch des ew’gen Richters.“ –
Dieses alles ist geschehen
Mit dem Herzen eines Dichters.

4. Don Massias

Don Massias aus Galicien,
Mit dem Namen: der Verliebte,

Saß im Turm zu Arjonilla,
Klagend um die Treugeliebte.
Einen Grafen, reich und mächtig,
Gab man jüngst ihr zum Genossen,
Und den vielgetreuen Sänger
Hält man ferngebannt, verschlossen.
Traurig sang er oft am Gitter,
Machte jeden Wandrer lauschen,
Teure Blätter, liederreiche,
Ließ er oft vom Fenster rauschen.
Ob es Wandrer fortgesungen,
Ob es Winde hingetragen:
Wohl vernahm die Heißgeliebte
Ihres treuen Sängers Klagen.
Ihr Gemahl, argwöhnisch spähend,
Hatt es alles gut beachtet:
„Muß ich vor dem Sänger beben,
Selbst wann er im Kerker schmachtet?“
Einsmals schwang er sich zu Pferde,
Wohlgewaffnet wie zum Sturme,
Sprengte nach Granadas Grenze
Und zu Arjonillas Turme.
Don Massias, der Verliebte,
Stand gerade dort am Gitter,
Sang so glühend seine Liebe,
Schlug so zierlich seine Zither.
Jener hub sich in den Bügeln,
Wutvoll seine Lanze schwingend;
Don Massias ist durchbohret,
Wie ein Schwan verschied er singend.
Und der Graf, des Siegs versichert,
Kehret nach Galicien wieder.
Eitler Wahn! es starb der Sänger,
Doch es leben seine Lieder;
Die durch alle span’schen Reiche
Tönevoll, geflügelt ziehen,
Andern sind sie Philomelen,
Jenem nur sind sie Harpyien.
Plötzlich oft vom Freudenmahle
Haben sie ihn aufgeschrecket,
Aus dem mitternächt’gen Schlummer
Wird er peinlich oft erwecket:
In den Gärten, in den Straßen
Hört er Zithern hin und wieder,
Und wie Geisterstimmen tönen
Des Massias Liebeslieder.

5. Dante

War’s ein Tor der Stadt Florenz
Oder war’s ein Tor der Himmel,
Draus am klarsten Frühlingsmorgen
Zog so festliches Gewimmel?
Kinder, hold wie Engelscharen,
Reich geschmückt mit Blumenkränzen,
Zogen in das Rosental
Zu den frohen Festestänzen.
Unter einem Lorbeerbaume
Stand, damals neunjährig, Dante,
Der im lieblichsten der Mädchen
Seinen Engel gleich erkannte.
Rauschten nicht des Lorbeers Zweige,
Von der Frühlingsluft erschüttert?
Klang nicht Dantes junge Seele,
Von der Liebe Hauch durchzittert?
Ja, ihm ist in jener Stunde
Des Gesanges Quell entsprungen;
In Sonetten, in Kanzonen
Ist die Lieb ihm früh erklungen.
Als, zur Jungfrau hold erwachsen,
Jene wieder ihm begegnet,
Steht auch seine Dichtung schon
Wie ein Baum, der Blüten regnet.
Aus dem Tore von Florenz
Zogen dichte Scharen wieder,
Aber langsam, trauervoll,
Bei dem Klange dumpfer Lieder.
Unter jenem schwarzen Tuch,
Mit dem weißen Kreuz geschmücket,
Trägt man Beatricen hin,
Die der Tod so früh gepflücket.
Dante saß in seiner Kammer
Einsam, still, im Abendlichte,
Hörte fern die Glocken tönen
Und verhüllte sein Gesichte.
In der Wälder tiefste Schatten
Stieg der edle Sänger nieder,
Gleich den fernen Totenglocken
Tönten fortan seine Lieder.
Aber in der wildsten Öde,
Wo er ging mit bangem Stöhnen,
Kam zu ihm ein Abgesandter
Von der hingeschiednen Schönen;
Der ihn führt‘ an treuer Hand
Durch der Hölle tiefste Schluchten,
Wo sein ird’scher Schmerz verstummte
Bei dem Anblick der Verfluchten.
Bald zum sel’gen Licht empor
Kam er auf den dunkeln Wegen,
Aus des Paradieses Pforte
Trat die Freundin ihm entgegen.
Hoch und höher schwebten beide
Durch des Himmels Glanz und Wonnen,
Sie, aufblickend, ungeblendet,
Zu der Sonne aller Sonnen;
Er, die Augen hingewendet
Nach der Freundin Angesichte,
Das, verklärt, ihn schauen ließ
Abglanz von dem ew’gen Lichte.
Einem göttlichen Gedicht
Hat er alles einverleibet
Mit so ew’gen Feuerzügen,
Wie der Blitz in Felsen schreibet.
Ja, mit Fug wird dieser Sänger
Als der Göttliche verehret,
Dante, welchem ird’sche Liebe
Sich zu himmlischer verkläret.


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