Gedichte Die Kirschenpflückerin

An Gleim

Hedewig
Seht doch, wie sinnig sie geht, die freundliche schöne Rebecka;
Wie sie die nickenden Ähren durch ausgebreitete Finger
Laufen läßt, und selbst den Regenbogen nicht ansieht,
Der von dem Buchenwalde zum blauen Seee sich ausdehnt.
Über der Schulter die Hark, und auf dem Arme das Körbchen,
Voll von blauen Tremsen darin, und Feuerblumen und Schwertel,
Rade, Vergißmeinnicht und düftereichen Kamillen,
Wär ich ein Mann und jung, ich könnte mich wahrlich verlieben.
Aber der Wangen Röte, mein Engel, ist mit Erlaubnis
Wohl nur Widerschein von dem roten Futter des Strohhuts.

Rebecka
Spötterin, sage, wo bist du? Dort unter den lomberschen Nüssen?
Oder im Lindenbaum, in der hohen künstlichen Laube?
Piep eins, Hedewig.

Hedewig
Piep!

Rebecka
O Himmel, sie sitzt, wie ein Eichhorn,
Oben im Kirschenbaum! Nun wart, ich will dich bezahlen.

Hedewig
Gehe doch vorn durchs Haus, der Zaun ist zu hoch und zu dornicht.
Du zerdrückst mir den Hopfen, durchrankt mit blühender Winde.
Seht, wie die Katze klettert! Ha recht! da hängt ihr der Rock fest.
Nimm dich in acht, Rebecka, du brennst dir die Knie in den Nesseln.

Rebecka
Sei mir gegrüßt, mein Kind. Was vor herrliche spanische Kirschen
Hast du, so groß und so voll! Es glänzt recht gegen die Sonne.
Wirf mir ein Büschel herunter, den Durst zu löschen. Ich kehrte
Auf der Wiese mein Heu, und ein Regenschauer vertrieb mich.
Sonderbar! von der Brücke bis hier ist kein Tropfen gefallen.

Hedewig
Dirne, was hast du vor? Du Bösewicht, laß mir die Leiter!

Rebecka
Sitze mir nun, wie einst der Tod im bezauberten Birnbaum!
Bis du den Schabernack mir gebüßet, den du im Frühling
Auf der Bleiche des Nachts in der strohernen Hütte mir antatst.
Gegen den Morgen schlief ich, und nach der bösen Gewohnheit,
Die ich als Kind von meiner geschwätzigen Patin geerbet,
Sprach ich im Traum. Da fragtest du mich: Hat Adolf, dein Bruder,
Seine Hedewig lieb? – Von Herzen! – Ist sie denn wirklich
Schön? – Ein Gesicht wie ein Apfel, und blaue schelmische Augen! –
Aber ihr Haar ist borstig und fuchsrot, wie man erzählet? –
Fui! kastanienbraun und lang und weicher als Seide! –
Liebst du nicht auch, Rebecka? – Vielleicht. – Wie heißt dein Geliebter? –
Oh! das sagt man nicht gern! Matthias heißt mein Geliebter.
So betrogst du mich, Schelm; und wohl noch manches Geheimnis
Hätt‘ ich armes Ding dir erzählt: als Lustig mit einmal
Bellte. Da sprang ich hinaus, und suchte den Dieb bei der Leinwand.
Aber er schalt nur den Mond, der aus den Wolken hervorkam;
Und du lachtest, und sprachst: Matthias heißt mein Geliebter!
Siehst du? Ich weiß noch alles, und jetzo sollst du mir büßen.

Hedewig
Sage, was soll ich denn tun, mein Engel?

Rebecka
Singe das Lied mir…
Hu! wie erschrak ich! Da fiel ein Königsapfel vom Baume.
Ist er schon mürb? O weh! es sitzt eine Wespe darinnen!…
Singe das Lied, das Adolf vom grünen Sumpfe gedichtet!
Neulich belauscht‘ ich ihn; es klang ganz artig im Maibusch.

Hedewig
Nein wahrhaftig, Rebecka; ich werde mich selbst nicht besingen!
Lieber die ganze Nacht auf diesem Baume geharret!

Rebecka
Gut. Hier liegen ja Birnen und Äpfel im Grase.

Hedewig
Zum Kuckuck!
Dirne, du wirfst ja für toll! Heida! ein Puff auf den Rücken!
Au! noch einer am Fuß! Mir saust’s um die Ohren wie Hagel!
Jammer, da purzelt der Korb mit allen Kirschen hinunter!
Friede! ich will ja singen, du unbarmherziger Wütrich!

Rebecka
Willst du? mich deucht, die Gegend ist recht einladend zum Singen:
Oben im grünen Baume, die Nachtigall wählt ihn nicht schöner!
In dem rötlichen Glanz der untergehenden Sonne;
Und rings zirpen die Grillen, die Bienen sumsen im Schauer,
Frösche röcheln im Sumpf, und im Weizen locket die Wachtel.
Sing!

Hedewig
Nun ja, wenn ich muß! Du sollst mich aber nicht ansehn,
Auch nicht lachen.

Rebecka
Ich sammle indes die Kirschen. Nur hurtig!
Langes Quälen ist bitterer Tod! Wozu das Geräusper?

Hedewig
Beschattet von der Pappelweide
Am grünbeschilften Sumpf
Saß Hedewig im roten Kleide,
Und strickt‘ am kleinen Strumpf;
Sie strickt‘, und sang mit süßem Ton
Ein Lied, ich weiß nicht mehr wovon.

Rebecka
Schön! Nur ein wenig lauter; denn hier belauscht uns ja niemand.
Recht herzbrechende Stellen erlaub ich dir leise zu singen.

Hedewig
Da ging ich an dem Bach zu fischen
Mit meiner Angel hin,
Und hörte hinter Erlenbüschen
Die schöne Nachbarin.
Ich ließ die Angel an dem Bach,
Und ging dem lieben Mädchen nach.

So einsam, Mädchen? Darf ich stören?
Hier sitzt man kühl und frisch. –
„O gern! Ich suchte Heidelbeeren
In dieses Tals Gebüsch.
Allein die Mittagssonne sticht,
Auch lohnet es die Mühe nicht.“

Ich setzte mich mit bangem Mute,
Mir lief’s durch Mark und Bein;
Und neben meinem Fuße ruhte
Ihr Füßchen zart und klein,
Auf Gras und Blumen hingestreckt,
Und bis zum Zwickel nur bedeckt.

Wir zitterten wie Maienblätter,
Und wußten nicht warum;
Wir stammelten von Saat und Wetter,
Und saßen wieder stumm,
Und horchten auf die Melodien,
Die Kibitz und Rohrdommel schrien.

Jetzt kühner, stört‘ ich sie im Stricken,
Und nahm ihr Knaul vom Schoß;
Doch herzhaft schlug sie mit dem Sticken
Auf meine Finger los:
Und als sie hiermit nichts gewann,
Da setzte sie die Zähnchen an.

O sieh, wie durch das Laub, mein Liebchen,
Die Sonne dich bestrahlt,
Und bald den Mund, bald Wang und Grübchen
Mit glühndem Purpur malt!
Auf deinem Antlitz hüpft die Glut,
Wie Abendrot auf sanfter Flut.

Sie lächelte; ihr Busen strebte
Mit Ungestüm empor,
Und aus den heißen Lippen bebte
Ein leises Ach hervor.
Ich nahte mich, und Mund an Mund
Versiegelten wir unsern Bund.

Rebecka
Ist es nun aus?

Hedewig
Ja, Hexe!

Rebecka
Ich meint‘, es wäre noch länger.
Nun so komm herunter, und küsse mich.

Hedewig
Freilich, das fehlt noch!
Wie das Gesicht mir glüht! Ich geh, und klag es Matthias,
Daß er ebenso glühend die roten Wangen dir küsse!


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