Gedichte Ein Sommertagstraum

Im tiefen West der Schwaden grollte,
Es stand die Luft, ein siedend Meer,
An meines Fensters Vorhang rollte
Die Sonnenkugel, glüh und schwer,
Und wie ein Kranker, lang gestreckt,
Lag ich auf grünen Sofakissen,
Das Haupt von wüstem Schmerz zerrissen,
Die Stirne fieberhaft gefleckt.

Um mich Geschenke, die man heute
Zu meinem Wiegenfest gesandt,
Denare, Schriften, Meeres Beute,
Ich hab‘ mich schnöde abgewandt;
Zum Tode matt und schlafberaubt
Studiert ich der Gardine Bauschen,
Und horchte auf des Blutes Rauschen
Und Klingeln im betäubten Haupt.

Zuweilen dehnte sich ein Murren
Den Horizont entlang, es schlich
Am Hag ein Rieseln und ein Surren,
Wie flatternder Libelle Strich;
Betäubend zog Resedaduft
Durch des Balkones offne Türen,
In jeder Nerve war zu spüren
Die schwefelnde Gewitterluft.

Da plötzlich schien sich aufzurichten
Am Fensterrahm ein Schattenwall,
Und mählich schob die dunklen Schichten
Er näher an den glühen Ball.
Durch der Gardine Spalten zog
Ein frischer Hauch, ich schloß die Augen,
Um tiefer, tiefer einzusaugen,
Was leise spielend mich umflog.

Genau vernahm ich noch das Rucken
Des flatternden Papiers, das Licht
Der Stufe sah ich schmerzend zucken;
Ob ich entschlief? mich dünkt es nicht.
Doch schneller schien am Autograph
Das dürre Züngelchen zu wehen,
Ein glitzernd Aug‘ der Stein zu drehen,
Die Muschel dehnte sich im Schlaf.

Und, nächt’ger Mücke zu vergleichen,
Umsäuselte mich halber Klang,
Am Teppich schien es sacht zu streichen,
Und lief des Polsters Saum entlang,
Wie wenn im zitternden Papier
Der Fliege zarte Füßchen irren;
Und heller feiner aus dem Schwirren
Drang es wie Wortes Hauch zu mir:

Das Autograph

Pst! – St! – ja, ja,
Das mocht‘ eine Pracht noch heißen,
Als ich am Ärmel sah
Die goldenen Tressen gleißen!
Wie waren die Hände weiß und weich,
Wie funkelten die Demanten!
Wie schwammen drüber, so duftig, reich,
Die breiten Brüsseler Kanten!

Das waren Bilder und Lockenpracht,
Wie mähnige Leun in Rahmen!
Das Vasen! wo in der Galatracht
Spazierten schäfernde Damen!
Und, o, das war eine Blumensee,
Ein farbiges Blütengewimmel!
Das eine berauschende Äthernäh‘
Von heißem südlichen Himmel!

Pst! – St! – ich duckt‘ in meinem Fach,
Pst! – still – wie Vögel im Nest,
Und ward am Gitter die Brise wach,
Dann ruschelt‘ ich mit dem West.
O, o! der war auch ein Vagabund:
Von Bogen flog er zu Bogen,
Hat aus der Siegel Granatenmund
Säuselnde Küsse gesogen.

Pst! – drunten, hart an meiner Klaus‘
Ein Tisch auf güldenen Krallen;
Und wispelte ich zu weit hinaus,
Ich wär auf den Amor gefallen;
Der stand, einen Köcher in jeder Hand,
Wie sinnend auf lustige Finte,
Das Haupt gewendet vom stäubenden Sand,
Und spiegelte sich in der Dinte.

Sieh! drüben der Türen Paneele, breit,
Geschmückt mit schimmernden Leisten!
Wie hab‘ ich geflattert und mich gefreut,
Wenn leise knarrend sie gleißten!
Dann kam das Ding – ein Mann – ein Greis? –
Nie konnte ich satt mich schauen,
Daß seine Lockenkaskaden so weiß,
So glänzend schwarz seine Brauen!

Schrieb, schrieb, daß die Feder knirrt‘ und bog,
Lang lange schlängelnde Kette,
Und sachte über den Marmor zog
Und schleifte sich die Manschette.
Das summt‘ und säuselte mir wie Traum,
Wie surrender Bienen Lesen,
Als sei ich einst ein seidener Schaum,
Eine Spitzenmanschette gewesen.

Pst! – stille, – sieh, ein andrer! – sieh!
Wie schütteln des Schreibers Locken!
Er beugt und schlenkert sich bis ans Knie,
Schlürft und schleicht wie auf Socken.
Ha! es zupft mich, – ich falle, ich falle! –
Da liege ich hülflos gebreitet,
Und über mich die dintige Galle
Wie Würmer krimmelt und gleitet
Licht! Leben! durch die Fasern gießt
Gleich Ichor sich der Menschengeist;
Wie’s droben tönt, die Spalte fließt,
Gedankenwelle schwillt und kreist.
„Viva!“ – ein König wird gegrüßt, –
Es fault im Mark, die Rinde gleißt. –
Und Schiffe, schwer von Proviant,
Ziehn übers Meer vom Nordenstrand.

Ich zittre, zittre, jenes Fremden Auge,
Lichtblau und klar, ist über mich gebeugt;
Ob es den Geist mir aus den Fasern sauge?
Ich weiß es nicht, sein Blinzen sinkt und steigt,
Ein Auge scharf wie Scheidewassers Lauge! –
Er streicht die Brauen, faßt die Feder leicht, –
Nun schlängelt er, – nun drunten steht es da:
„Theodor‘ il primo, re di Corsica.“
Pst! still! – der König spricht, Denar, halt Ruh!
Was schaukelst dich, was klimperst du?

Der Denar

O! über deinen König! ganz dir gleich,
Du glattgeschlagner Lumpen, o, sein Reich
Das Inselchen, des kärglichen Tribut
Lukull in eine Silberschüssel lud,
Gebannt in eine Perle Cäsars Hand
In der Ägypterfürstin Locken wand.
Du, zitternd vor Satrapenblicke, fahl
Wärst du zerstäubt vor seiner Augen Strahl,
Wenn langsam übers Forum, im Triumph
Das Viergespann ihn rollte; hörst du dumpf,
Wie halberwachten Donner oder Spülen
Der Brandung, Pöbelwoge ziehn und wühlen,
Um die Quadriga summend, wie im Nahn
Prüft seine Stimme murrend der Orkan?
„Heil, Cäsar, Heil!“ um seine kahle Stirn
Ragt Lorbeer, wie die Ficht‘ um Klippenfirn;
Er lächelt, und aus seinem Lächeln fließet
Ein leise schläfernd Gift, o Roma, dir,
Sein halbgeschloß’nes Auge Fäden schießet,
Ein unzerreißbar Netz. – Gebückt und stier,
Zerzausten Haares, vor den Rossen klirrt
Endloser Gallierzug, die Fesseln schleifen,
Und aus der Pöbelwelle gellt und schwirrt
Gezisch, Gejubel, Zymbelklang und Pfeifen.
Denare fliegen aus des Siegers Hand,
Ha, wie es krabbelt im Arenasand! –
Der Imperator nickt und klingelt fort.
Noch lieg‘ ich unberührt im Byssusbeutel, –
Was steigt so schwarz am Kapitole dort?
Es dunkelt, dunkelt; – über Cäsars Scheitel
Ein Riesenaar mit Flügelrauschen steigt,
Die Sonne schwindet, – doch ein Leuchten streicht
Um der Liktoren Beile, – wieder itzt –
Sie zucken, schwenken sich – es blitzt! – es blitzt!

Die Erzstufe

Ja, Blitze, Blitze! der Schwaden drängt
Giftiges Gas am Risse hinaus,
Auf einem Blitze bin ich gesprengt
Aus meinem funkelnden Kellerhaus.
O, wie war ich zerbrochen und krank,
Wie rieselt’s mir über die blanke Haut,
Wenn langsam schwellend der Tropfen sank,
Des Zuges Schneide mich angegraut!

Kennst du den Bergmönch, den braunen Schelm,
Dem auf der Schulter das Antlitz kreist?
Schwan und rauh wie ein rostiger Helm,
Wie die Grubenlampe sein Auge gleißt.
O, er ist böse, tückisch und schlimm!
Mit dem Gezähe hackt er am Spalt,
Bis das schwefelnde Wetter im Grimm
Gegen die weichende Rinde schwallt.

Steiger bete! du armer Knapp‘,
Dem in der Hütte das Kindlein zart,
Betet! betet! eh ihr hinab,
Eh zum letzten Male vor Ort ihr fahrt.
Sieben Nächte hab‘ ich gesehn
Wie eine Walze rollen den Nacken,
Und die Augen funkeln und drehn,
Und das Gezähe schürfen und hacken.

Dort, dort hinter dem reichen Gang
Lauert der giftige Brodem; da
Wo der Kobold den Hammer schwang,
Wo ich am Bruche ihn schnuppern sah.
Gleich dem Molche von Dunste trunken
Schwoll und wackelt‘ der Gnom am Grund,
Und des Gases knisternde Funken
Zogen in seinen saugenden Schlund.

Bete, Steiger, den Morgenpsalm
Einmal noch, und dein „Walt’s Gott“,
Deinen Segen gen Wetters Qualm,
Gäh‘ Verscheiden und Teufelsrott‘.
Schau noch einmal ins Angesicht
Deinem Töchterchen, deinem Weib,
Und dann zünde das Grubenlicht.
„Gott die Seele, dem Schacht der Leib!“

Sie sind vor Ort, die Lämpchen rund
Wie Irrwischflämmchen aufgestellt.
Die Winde keucht, es rollt der Hund,
Der Hammer pickt, die Stufe fällt,
An Bleigewürfel, Glimmerspat
Zerrinnend, malt der kleine Strahl
In seiner Glorie schwimmend Rad
Sich Regenbogen und Opal.

Die Winde keucht, es rollt der Hund. –
Hörst du des Schwadens Sausen nicht?
Wie Hagel bröckelt es zum Grund –
Der Hammer pickt, die Stufe bricht; –
Weh, weh! es zündet, flammt hinein!

Hinweg! es schmettert aus der Höh‘!
Felsblöcke, zuckendes Gebein!
Wo bin ich? bin ich? – auf der See?
Und welch Geriesel – immer immerzu,
Wie Regentropfen, regnet’s?

Die Muschel

Su, susu,
O, schlaf im schimmernden Bade,
Hörst du sie plätschern und rauschen,
Meine hüpfende blanke Najade?
Ihres Haares seidenen Tang
Über der Schultern Perlenschaum;
Horch! sie singt den Wellengesang,
Süß wie Vögelein, zart wie Traum:

„Webe, woge, Welle, wie
Westes Säuselmelodie,
Wie die Schwalbe übers Meer
Zwitschernd streicht von Süden her,
Wie des Himmels Wolken tauen
Segen auf des Eilands Auen,
Wie die Muschel knirrt am Strand,
Von der Düne rieselt Sand.

Woge, Welle, sachte, sacht,
Daß der Triton nicht erwacht.
In der Hand das plumpe Horn
Schlummert er, am Strudelborn.
In der Muschelhalle liegt er,
Seine grünen Zöpfe wiegt er;
Riesle, Woge, Sand und Kies,
In des Bartes zottig Vlies.

Leise, leise, Wellenkreis,
Wie des Liebsten Ruder leis
Streift dein leuchtend Glas entlang
Zu dem nächtlich süßen Gang;
Wenn das Boot, im Strauch geborgen,
Tändelt, schaukelt, bis zum Morgen.
In der Kammer flimmert Licht;
Ruhig, Kiesel, knistert nicht!“

Das Lied verhaucht, wie Echo am Gestade,
Und leiser, leiser wiegt sich die Najade,
Beginnt ihr strömend Flockenhaar zu breiten,
Läßt vom Korallenkamm die Tropfen gleiten,
Und sachte strehlend schwimmt sie, wie ein Hauch,
Im Strahl der dämmert durch den Nebelrauch;
Wie glänzt ihr Regenbogenschleier! – o,
Die Sonne steigt, – das Meer beginnt zu zittern, –
Ein Silbernetz von Myriaden Flittern!
Mein Auge zündet sich – wo bin ich? – wo?

Tief atmend saß ich auf, aus Westen
Bohrte der schräge Sonnenstrahl,
Es tropft‘ und rieselt‘ von den Ästen,
Die Lerche stieg im Äthersaal;
Vom blanken Erzgewürfel traf
Mein Aug‘ ein Leuchten, schmerzlich flirrend,
Und in des Zuges Hauche schwirrend
Am Boden lag das Autograph.

So hab‘ ich Donner, Blitz und Regenschauer
Verträumt, in einer Sommerstunde Dauer.


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Gedichte Ein Sommertagstraum - Droste-Hülshoff