Gedichte Epigramme. Venedig 1790

1

Sauber hast du dein Volk erlöst durch Wunder und Leiden,
Nazarener! Wohin soll es, dein Häufchen, wohin?
Leben sollen sie doch und Kinder zeugen doch christlich;
Leider dem früheren Reiz dienet die schädliche Hand.
Will der Jüngling dem Übel entgehn, sich selbst nicht verderben,
Bringet Lais ihm nur brennende Qualen für Lust.
Komm noch einmal herab, du Gott der Schöpfung, und leide,
Komm, erlöse dein Volk von dem gedoppelten Weh!
Tu ein Wunder und rein’ge die Quellen der Freud und des Lebens:
Paulus will ich dir sein, Stephanus, wie du’s gebeutst.

2

„Heraus mit dem Teile des Herrn! heraus mit dem Teile des Gottes!“
Rief ein unglücklich Geschöpf, blind für hysterischer Wut,
Als, die heiligen Reste Gründonnerstag abends zu zeigen,
In Sankt Markus ein Schelm über der Bühne sich wies.
Armes Mädchen, was soll dir ein Teil des gekreuzigten Gottes?
Rufe den heilsamern Teil jenes von Lampsakus her.

3

Wundern kann es mich nicht, daß unser Herr Christus mit…
Gern und mit Sündern gelebt: geht’s mir doch eben auch so.

4

„Warum willst du den Christen des Glaubens selige Wonne
Grausam rauben?“ – Nicht ich, niemand vermag es zu tun.
Steht doch deutlich geschrieben: „Die Heiden toben vergeblich.“
Seht, ich erfülle die Schrift, lest und erbaut euch an mir.

5

Krebse mit nacktem Hintern, die leere Muscheln sich suchten,
Sie bewohnen und sie wähnen ihr eigenes Haus,
Sind mir seltne Geschöpfe, sie sind so klug als bedürftig;
Manches kam mir in Sinn, als ich am Ufer sie sah.
„Christ und Mensch ist eins!“ sagt Lavater. Richtig! Die Christen
Decken die nackende Scham weislich mit Menschenvernunft.

6

In ein Puppenspiel hatt ich mich Knabe verliebet,
Lange zog es mich an, bis ich es endlich zerschlug.
So griff Lavater jung nach der gekreuzigten Puppe:
Herz‘ er betrogen sie noch, wenn ihm der Atem entgeht!

7

Guten schreibt er, das glaub ich! die Menschen müssen wohl gut sein,
Die das alberne Zeug lesen und glauben an ihn.
Weisen denkt er zu schreiben, die Weisen mag ich nicht kennen:
Ist das Weisheit, bei Gott! bin ich mit Freuden ein Tor.

8

Dich betrügt der Staatsmann, der Pfaffe, der Lehrer der Sitten,
Und dies Kleeblatt, wie tief betest du, Pöbel, es an.
Leider läßt sich noch kaum was Rechtes denken und sagen,
Das nicht grimmig den Staat, Götter und Sitten verletzt.

9

Was auch Helden getan, was Kluge gelehrt, es verachtet’s
Wähnender christlicher Stolz neben den Wundern des Herrn.
Und doch schmückt er sich selbst und seinen nackten Erlöser
Mit dem Besten heraus, was uns der Heide verließ.
So versammelt der Pfaffe die edlen, leuchtenden Kerzen
Um das gestempelte Brot, das er zum Gott sich geweiht.

10

Viele folgten dir gläubig und haben des irdischen Lebens
Rechte Wege verfehlt, wie es dir selber erging.
Folgen mag ich dir nicht; ich möchte dem Ende der Tage
Als ein vernünftiger Mann, als ein vergnügter mich nahn.
Heute gehorch ich dir doch und wähle den Pfad ins Gebirge,
Diesmal schwärmst du wohl nicht, König der Juden, leb wohl.

11

„Offen steht das Grab! Welch herrlich Wunder! Der Herr ist
Auferstanden!“ – Wer’s glaubt! Schelmen, ihr trugt ihn ja weg.

12

Was vom Christentum gilt, gilt von den Stoikern:
Freien Menschen geziemet es nicht, Christ oder Stoiker sein.

13

„Juden und Heiden hinaus!“ so duldet der christliche Schwärmer.
„Christ und Heide verflucht!“ murmelt ein jüdischer Bart.
„Mit den Christen an Spieß und mit den Juden ins Feuer!“
Singet ein türkisches Kind Christen und Juden zum Spott.
Welcher ist der Klügste? Entscheide! Aber sind diese
Narren in deinem Palast, Gottheit, so geh ich vorbei.

14

Höllengespenster seid ihr und keine Christen, ihr Schreier,
Die ihr den lieblichen Schlaf mir von den Augen verscheucht.
Warum macht der Pfaffe so viele tausend Gebärden
Und verscheuchet euch nicht wieder zur Hölle zurück?

15

Wenn ein verständiger Koch ein artig Gastmahl bereitet,
Mischt er unter die Kost vieles und vieles zugleich.
So genießet auch ihr dies Büchlein, und kaum unterscheidet
Alles ihr, was ihr genießt. Nun, es bekomm euch nur wohl.

16

Sagt, wem geb ich dies Büchlein? Der Fürstin, die mir’s gegeben,
Die uns Italien noch jetzt in Germanien schafft.

17

„Wagst du, deutsch zu schreiben unziemliche Sachen?“ – Mein Guter,
Deutsch dem kleinen Bezirk leider ist Griechisch der Welt.

18

Aus zu eklem Geschmack verbrannte Nauger Martialen.
Wirfst du das Silber hinweg, weil es nicht Gold ist? Pedant!

19

Mehr hat Horaz nicht gewollt, er fand es! Weniger wollen
Kann man mit größerm Verdienst, und man erhält auch nicht das.

20

Wie der Mensch das Pfuschen so liebt! Fast glaub ich dem Mythus,
Der mir erzählet, ich sei selbst ein verpfuschtes Geschöpf.

21

Das Gemeine lockt jeden. Siehst du in Kürze von vielen
Etwas geschehen, sogleich denke nur: Dies ist gemein.

22

„Wären der Welt die Augen zu öffnen!“ – Das könnte geschehen!
Besser, du suchest dir selbst und du erfindest dein Teil.

23

Helden, herrlich zu sein, beschädigen Tausende.
Tadelt Nicht den Dichter, der auch wie ein Eroberer denkt.

24

Wenn du schelten willst, so wolle kein Heiliger scheinen,
Denn ein rechtlicher Mann schweigt und verzeihet uns gern.

25

Unglückselige Frösche, die ihr Venedig bewohnet!
Springt ihr zum Wasser heraus, springt ihr auf hartes Gestein.

26

Einen zierlichen Käfig erblickt ich: hinter dem Gitter
Regten sich emsig und rasch Mädchen des süßen Gesangs.
Mädchen wissen sonst nur uns zu ermüden – Venedig,
Heil dir, daß du sie auch, uns zu erquicken, ernährst.

27

Alle Weiber sind Ware; mehr oder weniger kostet
Sie den begierigen Mann, der sich zum Handel entschließt.
Glücklich ist die Beständige, die den Beständigen findet,
Einmal nur sich verkauft und auch nur einmal gekauft wird.

28

„Hat dich Hymen geflohn? Hast du ihn gemieden?“ – Was sag ich?
Hymen! köstlich ist er, aber zu ernsthaft für mich.
Aus dem Ehbett darf man nicht schwätzen, und Dichter sind schwatzhaft;
Freie Liebe, sie läßt frei uns die Zunge, den Mut.

29

„Jungfer!“ ruf ich das Mädchen, „ist, Jungfer, der Herr nicht zu Hause?“
Aber sie hört nicht, der Ruf schlägt ihr am Ohre nicht an.

30

Vier gefällige Kinder hast du zum Gaukeln erzogen,
Alter Gaukler, und schickst nun sie zum Sammlen umher.
„Meine Güter trag ich bei mir!“ so sagte der Weise;
„Meine Güter“, sagst du, „hab ich mir selber gemacht.“

31

Amerikanerin nennst du das Töchterchen, alter Phantaste.
Glücklicher! hast du sie nicht hier in Europa gemacht?

32

„Ich empfehle mich euch! Seid wacker!“ sagst du und reichest
Mir das Tellerchen dar, lächelst und dankest gar schön.
Ach, empfohlen bist du genug, und wärst du nur älter,
Wacker wollten wir sein, wach bis zum Krähen des Hahns.

33

Zürnet nicht, ihr Frauen, daß wir das Mädchen bewundern:
Ihr genießet des Nachts, was sie am Abend erregt.

34

Was ich am meisten besorge: Bettina wird immer geschickter,
Immer beweglicher wird jegliches Gliedchen an ihr;
Endlich bringt sie das Züngelchen noch ins zierliche F…,
Spielt mit dem artigen Selbst, achtet die Männer nicht viel.

35

Auszuspannen befiehlt der Vater die zierlichen Schenkel,
Kindisch der liebliche Teil… den Teppich herab.
Ach, wer einst zuerst dich liebet, er findet die Blüte
Schon verschwunden, sie nahm frühe das Handwerk hinweg.

36

„Kaffee wollen wir trinken, mein Fremder!“ – Da meint sie branlieren;
Hab ich doch, Freunde, mit Recht immer den Kaffee gehaßt.

37

„Seid Ihr ein Fremder, mein Herr? bewohnt Ihr Venedig?“ so fragten
Zwei Lazerten, die mich in die Spelunke gelockt.
Ratet! – „Ihr seid ein Franzos! ein Napolitaner!“ Sie schwatzten
Hin und wieder, und schnell schlürften sie Kaffee hinein.
„Tun wir etwas!“ sagte die Schönste, sie setzte die Tasse
Nieder, ich fühlte sogleich ihre geschäftige Hand.
Sacht ergriff ich und hielte sie fest; da streckte die zweite
Zierliche Fingerchen aus, und ich verwehrt es auch ihr.
„Ach, es ist ein Fremder!“ so riefen sie beide; sie scherzten,
Baten Geschenke sich aus, die ich, doch sparsam, verlieh.
Drauf bezeichneten sie mir die entferntere Wohnung
Und zu dem wärmeren Spiel spätere Stunden der Nacht.
Kannten diese Geschöpfe sogleich den Fremden am Weigern,
O so wißt ihr, warum blaß der Venetier schleicht.

38

Gib mir statt „Der Sch….“ ein ander Wort, o Priapus,
Denn ich Deutscher, ich bin übel als Dichter geplagt.
Griechisch nennt ich dich phallos das klänge doch prächtig den Ohren,
Und lateinisch ist auch mentula leidlich ein Wort.
Mentula käme von mens, der Sch…. ist etwas von hinten,
Und nach hinten war mir niemals ein froher Genuß.

39

Camper der Jüngere trug in Rom die Lehre des Vaters
Von den Tieren uns vor, wie die Natur sie erschuf,
Bäuche nahm und gab, dann Hälse, Pfoten und Schwänze:
Alles gebrochenes Deutsch so wie geerbter Begriff.
Endlich sagt‘ er: „Vierfüßiges Tier, wir haben’s vollendet,
Und es bleibet uns nur, Freunde, das Vöglen zurück!“
Armer Camper, du hast ihn gebüßt, den Irrtum der Sprache!
Denn acht Tage darnach lagst du und schlucktest Merkur.

40

Knaben liebt ich wohl auch, doch lieber sind mir die Mädchen;
Hab ich als Mädchen sie satt, dient sie als Knabe mir noch.

41

Köstliche Ringe besitz ich! Gegrabne, fürtreffliche Steine
Hoher Gedanken und Stils fasset ein lauteres Gold.
Teurer bezahlt man die Ringe, geschmückt mit feurigen Steinen,
Blinken hast du sie oft über dem Spieltisch gesehn.
Aber ein Ringelchen kenn ich, das hat sich anders gewaschen,
Das Hans Carvel einmal traurig im Alter besaß.
Unklug schob er den kleinsten der zehen Finger ins Ringchen,
Nur der größte gehört, würdig, der eilfte, hinein.

42

Alle sagen mir, Kind, daß du mich betriegest:
O betriege mich nur immer und immer so fort.

43

Welche Hoffnung ich habe? Nur eine, die heut mich beschäftigt:
Morgen mein Liebchen zu sehn, das ich acht Tage nicht sah.

44

Alles, was ihr wollt, ich bin euch wie immer gewärtig,
Freunde; doch leider! allein schlafen, ich halt es nicht aus.

45

Nackend willst du nicht neben mir liegen, du süße Geliebte,
Schamhaft hältst du dich noch mir im Gewande verhüllt.
Sag mir: begehr ich dein Kleid? begehr ich den lieblichen Körper?
Nun, die Scham ist ein Kleid! Zwischen Verliebten hinweg!

46

Lange sucht ich ein Weib mir, ich suchte, da fand ich nur Dirnen;
Endlich erhascht ich dich mir, Dirnchen, da fand ich ein Weib.

47

Eine Liebe wünscht ich und konnte sie niemals gewinnen.
Wünschen läßt sich noch wohl, aber verdienen nicht gleich.

48

Fürchte nicht, liebliches Mädchen, die Schlange, die dir begegnet!
Eva kannte sie schon; frage den Pfarrer, mein Kind.

49

Ob erfüllt sei, was Moses und was die Propheten gesprochen,
An dem heiligen Christ, Freunde, das weiß ich nicht recht.
Aber das weiß ich: erfüllt sind Wünsche, Sehnsucht und Träume,
Wenn das liebliche Kind süß mir am Busen entschläft.

50

Weit und schön ist die Welt, doch o wie dank ich dem Himmel,
Daß ein Gärtchen, beschränkt, zierlich, mein eigen gehört.
Bringet mich wieder nach Hause! was hat ein Gärtner zu reisen?
Ehre bringt’s ihm und Glück, wenn er sein Gärtchen versorgt.

51

Ach, sie neiget das Haupt, die holde Knospe! wer gießet
Eilig erquickendes Naß neben die Wurzel ihr hin?
Daß sie froh sich entfalte, die schönen Stunden der Blüte
Nicht zu frühe vergehn, endlich auch reife die Frucht.
Aber auch mir – mir sinket das Haupt von Sorgen und Mühe.
Liebes Mädchen! Ein Glas schäumenden Weines herbei.

52

Immer glaubt ich gut[mütig?], von anderen etwas zu lernen;
Vierzig Jahr war ich alt, da mich der Irrtum verließ.
Töricht war ich immer, daß andre zu lehren ich glaubte.
Lehre jeden du selbst, Schicksal, wie er es bedarf.

53

Immer hab ich dich, heilige Sonne, mit Freude verehret,
Wenn du aus trübem Gewölk oder nach Nebel mir kamst,
Niemals aber so fröhlich als im Venetischen Pfuhle[?],
Wenn du nach Regen erscheinst, freudig die Gondel dir dampft.


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