Gedichte Auf dem Meer

(Bei einer Ueberfahrt nach Copenhagen im Feuerjahr 1842.)

Allheilig Meer! Es donnern deine Klänge
Mir so gewaltig in’s erschreckte Ohr,
Als brächen die verhalt’nen Fluchgesänge
Begrabener Titanen draus hervor.

Sie stürzten sich hinab in deine Wogen,
Sie wollten sterben; aber um den Tod
Hat deine falsche Tiefe sie betrogen,
Sie tragen noch des Lebens öde Noth.

Sie wissen’s jetzt: man kann nicht einzeln sterben;
So lange noch ein Zwerg auf Erden lebt,
Wird sich kein Gott den ganzen Tod erwerben,
Ob er im Meer, im Aetna sich begräbt.

Sie sehen jetzt die blöden Menschen kauern
Um ihres großen Daseins Aschenrest;
Da grollen sie: soll das denn ewig dauern?
Wie lange hält der Wurm die Wärme fest!

Uns kreis’te doch das Ganze in den Adern,
Das jetzt zu Tropfen tausendfach zerrann;
Wir mußten dennoch mit den Göttern hadern,
Jetzt haben Legionen g’nug daran!

So grollen sie im Aetna und im Grunde
Des Meers, und nicken langsam wieder ein;
Doch nach Jahrhunderten ruft eine Stunde
Sie abermals zurück in’s öde Sein.

Dann wähnen sie: nun ist die Welt am Ende,
Und dies Erwachen ist das letzte Weh!
Dann wirft der Eine seine Feuerbrände,
Dann ras’t der And’re in dem Schooß der See.

Ich ahnt‘ es längst! Die grollenden Titanen
Sind aus dem Schlummer wieder aufgestört,
Und haben, an die alte Nacht zu mahnen,
Jedwedes Element der Welt empört.

War’s Empedokles, der die Stadt der Elbe
Mit seiner Aetnafackel angesteckt?
Und ist’s ein And’rer, oder ist’s derselbe,
Der zürnend jetzt den alten Meergeist weckt?

Wohlauf! Zurückgeschlagen sind die Flammen!
Schwellt denn in Eins, ihr Meere, fern und nah‘,
Knüpft Wogentanz und Sternentanz zusammen,
Wie Aeschylos es im Prometheus sah.


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Gedichte Auf dem Meer - Hebbel