Gedichte Die schwarze Fahne

Gruss an Gottfried Benn

I

Bruder Mensch
Luder Mensch
Wohin
Hebst du deine Hände?
Zum Ende?
Zum Beginn?

Du weisst
Den Geist
Der ewig kreist.

Er bellt
In Welt
Und Wiese wie
Ein wunder Hund, ein wilder Wolf.
Er hängt als Segel überm Golf.

Er macht
Ohn Macht
Die ewige Nacht.
Er pflag
Ohn Plag
Der Ruh im Tag.
Er war
All Jahr.
Er wird
Dein Hirt.

Er ist
Ohn Frist
Ohn Lust und List.
Er ist die Flamme des Gerichts

Im donnernden Gesang des Lichts
Im dunklen Spiegel des Gesichts:
Das Nichts
Das Nichts
Das Nichts
Das Nichts.

II

Die Menschheit ist ein leeres Wort.
Mein Mensch ist viele Meilen fort.
Er liebet mich. Ich liebe ihn.
Die Wolken ziehn. Die Falter fliehn.
Ein Mond steigt unter Rosen auf.
Nie hört sein Mund zu kosen auf.

III

Der Glaube an die Utopie
Ist eine
Reine
Mimikry.
Und Mimi schrie
Des Nachts
Im Traum.
Nun lachts
Am Wiesenwickensaum,
Dort, wo du, Venus, ehern brennst:
Das silberfarbene Gespenst.

IV

Heut
In der Frühe
Heulte der grosse Hund
Und
Der Himmel dampfte wie Brühe.
Geläut
Ging durch die Ähren
Ein Magd
Erbrach ein Kind.
Das klagt:
Wir wissen nicht, was wir wären
Nur:
Ruhr
Schwären
Geburt Geboren Gebären –
Was wir sind.

V

Das Elend hat mich ganz zerfranst.
Die Irre tanzt, die Girre tanzt.
Ein kleiner Mann mit blauem Hut
Ist meiner armen Armut gut.
Er geht heraus, er geht herein.
Wind weht aus dem Zypressenhain,
Und aus der Höhe fällt der Tag.
Begreif es, wers begreifen mag.
Das Treibeis trieb. Im Blut der Trieb.
Sag:
Hast du mich noch immer lieb?
Schaumschimmerlieb –
Noch immer lieb?

VI

Zuweilen
Geht der Tod durch dich
Heimlich hindurch.
Zum Beispiel: wenn du bei einer Frau liegst.
Du ahnst es nicht
Aber sie
Verschwärmte Schwester des Schwarzen
Wird unruhig
Reisst dich rauh
An ihre zarte Brust.
Du fühlst
Vielleicht beglückt
Ein zweites Herz in der Polarnacht schlagen.

VII

Soll ich unter gehn
Will ich munter gehn,
Niemand soll mein Bruder sein.
Türe fliegt im Wind
Und ein kleines Kind
Wird bei seiner grossen Mutter sein.

Alles Leid: geschah.
Zeit: war einmal da.
Raum: zerbrach,
Und Wasser frass die Furt.
Ich bin nichts und hold
In mich eingerollt
Wart ich auf die Stunde der Geburt.

VIII

Die Anarchie ist unser Glück.
Ich reiss vom Leib mir Stück für Stück.

Zuerst den Rock, danach das Hemd –
Wie war ich vor mir selber fremd.

Ich reiss die Augen aus der Stirn,
Sie sollen nicht das Licht verwirrn.

Ich zerr an Darm und Samenstrang:
Kein neuer Mensch mein Untergang.

Ich reisse mir die Haut herab,
Es fällt der Plunder von mir ab.

Ich stehe nackt vor Tod und Grab.

IX

Ich hörte wie ein Silberbart schrie:
Es lebe die heilige Demokratie.

Da trieb ein Wrack im fahlen Fluss:
Hie Spartakus.

Und eine Wolke ist verweht:
Es lebe des Kaisers Majestäs.

Da sprang mit Panthersprung zur Tribüne
Ein dürrer, ein magrer, ein hagrer Hüne.

Auf seiner Stirne lag ein Schein
Ein Veilchenschein ein Heiligenschein.

Es gibt nur
Eine wahre klare Diktatur.

Ein jeder lebt nach dem Diktat
Das der da oben
Der da unten
Er legt die Lunten
Ihn lasst uns loben
Gegeben hat.

Es gibt nur eine Partei:
Der Sterbenden
Es gibt nur eine Partei:
Der Verderbenden

Der Arges Erbenden
Weh-mut Werbenden.

Ein Schleier vor aller Blicke hing.
Sternenstille. Kein Atemzug ging.

Er hob die Hand. Die war verdorrt.
Es meldete sich niemand zum Wort.

X

Nummer 1 trägt eine Radfahrermütze.
Nummer 2 hat die Krätze.
Nummer 3 erinnert sich an seine dritte Braut.
Nummer 4 weint.

Der Wärter rasselt mit den Schlüsseln.
Öffnet keine Pforte.
Oben im ovalen Fenster
Hängt der Himmel wie eine Scheibe Brot.

Hunger Hunger nach dem Himmel
Hunger Hunger nach der Scheibe
Brot und nach der Sonnenscheibe.

Nach dem Schreiten
Weiten Schreiten
In die Weiten.
Hunger Hunger nach dem kleinsten Lächeln
Einer verfallenen Frau.

Hier ist kein Ausgang
Und kein Ende.
Paragraphen
Trafen
Tödlich.
Vor den Augen saust es rötlich.
An den Mauern trommeln Stümpfe ohne Hände.

XI

In manchen Nächten tanzen die Skelette
Am Friedhof. Auf den Kreuzen sitzen Frauen
Und lassen sich von fleischlosen Kavalieren
Um die Wette
Auf Herz und Nieren
Prüfen und bis ins Innerste ihres Herzens schauen.
Da aber ist nichts als leerer Raum:
Bloss
Der Himmel hängt darin wie ein dunkelblauer Traum,
Und die Sterne wandeln zwischen den Rippen gelb und gross,
Und der Mond liegt wie ein goldener Embryo in ihrem hohlen Schoss.

XII

Wir wollen aus allen Fenstern schwarze Fahnen hissen.
Wer darf noch von einer Hoffnung wissen?
Uns will keine Sonne, kein Mond mehr bescheinen.
An den Strassenecken stehen Hunde, die p…..,
Und Menschen, die weinen.

Und ein Hund springt auf einen andern Hund
Und Mann auf Mann: wie gleichgültig ist das alles:
Gut und böse, Nord und Süd.
Nur dass uns Erlösung für eine Sekunde blüht
Aus dem ewigen Dalles,
Dem ewigen Nichts,

Dem ewigen Ohne-Grund,
Dem Dunkel des Lichts.

Wen erpichts,
Hinter den Vorhang zu schauen,
Wo die fahrigen Mimen sich abschminken,
Alte Mädchen mit verrosteten Haarnadeln ihre Kahlköpfe krauen,
Der Bariton und die Souffleuse sich in die Arme sinken?
Wo es die Naive dem Helden zärtlich mit dem Munde macht?
Gute Nacht!

XIII

Nächtliches Fieber

Ich huste durch die Nächte hohl und heiss.
Die Stunde klingt. Es glänzt der Schweiss.

Ich bin durch seltne Hässlichkeit verschönt.
Ein Kabarett entfaltet sich und tönt.

Im Kahne schaukelt sich mein Kahlkopf kess.
Wenn mich ein Mädchen sähe, weinte es.

Mein Auge brennt. Die Arme flügeln leis.
In meinem Schnabel hängt ein Ölbaumreis.

XIV

Ironische Landschaft

Die schwarzen Augen dieser Frühlingsnacht –
Mir ist, als ob ich dort ein blondes Reh seh.
Der Mond hängt eine Mandel gelb und kracht.
Es riecht die Luft wie scharfer Chesterkäse.

Ich türme wie ein Kirchturm übers Feld.
Mir wird vor meinen eignen Füssen graulich.
Nun stehe ich, vom hohen Licht erhellt.
Und eine Hand erhebt sich weiss und fraulich.

XV

Ach Gott, wir sind ja ganz und gar, vertattert,
Der eine Abend ist dem andern gleich.
Und jedes Auto rattert
Uns in dasselbe Himmelreich.

Da gehen Mädchen auf rasiertem Rasen,
Da steht wohl eine Bank, man setzt sich hin.
Die Militärmusiker blasen
Mir jene Stelle, wo ich sterblich bin.

Was weiss ich denn, als dass ich Kinder kriege,
Bald hier, bald da, wie es der Zufall will?
Es knarrt noch jede Stiege
Das nämlich dämliche Idyll.

Bei manchen Eltern setzt es fröhlich Hiebe,
Geht ihre kleine Dirne auf den Kies.
Was nützt es, wenn ich tausend Frauen liebe,
Und meiner Mutter Schoss mich von sich stiess…?

XVI

Früh um vier auf dem Nachhauseweg

Ich springe aus einem fremden Bett
Der Schweinebraten heute war ziemlich fett
Es rumort im Darm
Ich muss gehn
Ich glaube ich hielt den Mond im Arm
Er zelebrierte eine Hyazinthe im Maul
Bleib doch noch, Paul –
Auf Wiedersehn.

Was soll werden?
Weisst du das?
Friede auf Erden
Glück und Glas
Die letzte Untergrundbahn hab ich versäumt
Eine Autohaltestelle ist auch nicht in der Nähe
Auf der Nürnbergerstrasse wandeln zwei Rehe
Eine Droschke träumt
Von sich
Sie fuhr übern Strich
Dann untern Strich
Kobolz
Ins Feuilleton
Bon
Das Pferd ist aus Holz
Der Mann aus Stein
Bald wird es morgen sein.

Olga
Und Wolga
Reimt sich
Erster Kuss
Letzter Kuss
Ebenfalls.
Man brach in der Loge zu den drei Weltkugeln einigen Flaschen den Hals
Und einer Dame im Nerz
Das Gipsherz
(Gegen Blut empfand sie ein gewisses Odium)
Ich rezitierte auf einem Podium
Auf dem eine Guillotine stand:
Was ist des Deutschen Vaterland?
Aus einer benachbarten Kaschemme
Holte der Meister vom Stuhl mir persönlich eine Bemme.
Da sage einer noch, dass der Bürger seine Dichter hungern lässt
Es war ein phänomenales Fest.

Man hat mir am Wittenbergplatz
Meinen Wintermantel gestohlen (Applaus)
Dazu einen Kinderlatz

Und meine Brille.
Was immer geschieht: es geschieht Gottes Wille.
Durch meine Brille sieht die Welt wie ein frisch gebornes Ferkel so rosig aus.

Der ersten Strassenbahn Gebimmel.
Der Himmel
Glänzt wie ein Rasierspiegel
Herrgott hab ich Stoppeln am Kinn
Und wie widerlich ich im grossen ganzen bin
Selbsterkenntnis ist der erste Schritt –
Na Kleener, kommste mit?
Die Sterne fallen wie Schnee
Der Stern dort mein Herz zuckt rötlich
Und jener: mein Nabel?
Fabel-
Haft – oder ists die grosse Zeh?
Ich langweile mich tödlich
Getreu bis zum Grab
Schieb ab, kleine Dirne,
Es leuchten die Firne
Schieb ab, schieb ab –
Die Kinder wie Ratten in den feuchten Kellern krepieren
Die Mütter in ihren dünnen Hemden frieren
Keine Kohle
Kein Brot
Keine Sohle
Kein Tod

Ein halbes Leben
Ein halbes Sterben
Gott im Himmel ich kann nicht vergeben –
Rachitische Braut
Aus deiner ledernen Haut
Wollen wir dir deine Hochzeitsschuhe gerben
Denn deine letzten Pantinen
Hat dir mit heitersten Mienen
Dein zweiter Kerl geklaut.

Es ist scheusslich kalt
In der Passage ist eine alte Frau erfroren
Sie hat auf die Steinfliesen ein blindes Kind geboren
Die Sitte nahm es mit: Kleines Biest
Sei froh dass du die Friedrichstrasse nicht siehst
Wie ein Vogel hat sich das Kind an den Schutzmann gekrallt
Aber der liebe Gott geht in einem angewärmten Schafpelz durch den Wald.
Er ist der liebe gute alte Mann
Dem man nicht böse werden kann
Er kommt wie der lahme
Revierförster angesackt
Achtung: Grossaufnahme
Letzter Akt
Monumentalfilm: Die Schöpfung (Die Schröpfung)
Titel: Gelobt sei dein Namen
In Ewigkeit Amen.


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