Nach einer schwedischen Sage
1
Anna steht in sich versunken,
Blicket in den See hinein,
Weidet, eigner Schönheit trunken,
Sich an ihrem Widerschein.
Sie beginnt hinab zu reden:
Wunderholde Jungfrau, sprich,
Schönstes Bild im Lande Schweden,
Bin ich du? und bist du ich?
Nein, o nein, ich glaub es nimmer,
Wenn es auch die Welt mir schwört,
Daß so heller Rosenschimmer
Meinen Wangen angehört.
Dieser Mund, ist er der meine,
Den dies süße Lächeln bricht?
Seh ich doch, wie auch der deine
Fragend mir entgegenspricht.
Liebes Wasser, sag, erzähle,
Hast mein Auge du gemalt?
Oder ist des Himmels Seele,
Was dein Spiegel widerstrahlt?
Anna neigt vom grünen Strande
Sich in ihres Bildes Näh,
Streift vom Busen die Gewande,
Läßt ihn leuchten in den See.
Nach dem Bilde niederhangend,
Starrt sie zweifelnd und beglückt,
Und das Bild, ihr nachverlangend,
Starrt bewundernd und entzückt.
Fragt das Bild, im Wasser schwebend:
Anna, hab ich dich erreicht?
Fragt das Mädchen, freudig bebend:
Bin ich schöner noch vielleicht?
In den seligen Gebärden,
Die das Bild ihr abgelauscht,
Sieht sich Anna schöner werden,
Und die Jungfrau steht berauscht.
„Wenn so schön ich immer bliebe!
Muß dies Bild denn auch vergehn?“
Ruft sie, eitler Eigenliebe,
Horch! die Winde sausend wehn!
Rauschend wird ihr Bild zertrümmert
Im empörten Wellenschaum;
Und das Mädchen sieht bekümmert
Sich darin vergehn wie Traum.
Und im Walde knarrt es knickend,
Und am Ufer schwankt das Rohr,
Aus den Weiden, freundlich nickend,
Huscht ein altes Weib hervor.
Alte spricht, und weint verstohlen:
„Wie dein Bild im Wind zerfuhr,
Würden deine Kinder holen
Deiner Schönheit letzte Spur.
Denn die Schönheit ihrer Mutter
Ist der Kinder liebster Fraß,
Ist der Kinder feinstes Futter;
Schöne Jungfrau, merk dir das!
Wag es nur und kehre wieder
Nach dem ersten Wochenweh,
Komm und spiegle deine Glieder
Dann im peinlich klaren See.
Komm und schau dann mit Entsetzen
Deine Brüste, junges Blut,
Gleich gezognen Fischernetzen
Zitternd schwimmen in der Flut.
O dann frage deinen Schatten:
Wangen, seid ihr mein, so bleich?
Augen mein, ihr hohlen, matten?
Weinen wirst du in den Teich.
Kommt ein Mann, um dich zu freien,
Eile du zu mir geschwind:
Und ich will den Leib dir feien,
Daß du nie empfängst ein Kind.“
Anna spricht mit dunklen Schauern:
„Wenn du mir zu helfen meinst,
Daß die Schönheit mir mag dauern,
Mütterlein, so komm ich einst.“
2
Vor dem Fenster steht der Ritter
Singt bei Nacht mit süßem Laut,
Schlägt dazu die helle Zither:
„Willst du heißen meine Braut?
Hab ein Schloß und finstre Wälder,
Berge, hab ich, reich an Erz,
Muntre Herden, goldne Felder,
Und nach dir ein krankes Herz!
Schmücke dir mit Edelsteinen,
Gold und Perlen Hals und Hand,
Liebchen, schmücke dich mit meinen
Narben aus dem heilgen Land.
Morgen wird die Sonne steigen;
Strahlt herauf die Sonne klar,
Soll sie meinen Wuchs dir zeigen
Und dir leuchten zum Altar.
Hier an diesem Rosensprosse
Häng ich dir mein Ringlein auf!“
Sangs und schwang sich auf zu Rosse,
Sprengt‘ davon im flüchtgen Lauf. –
„Willst du meinen Finger tauschen,
Ringlein, mit dem Rosenreis?“
Anna nimmts, die Hecken rauschen,
Und im Dickicht naht es leis.
Schwarz verhangen Mond und Sterne
Durch den Blütenstrauch herein
Wiegt sich eine Blendlaterne,
Wie Johanniskäferschein.
Freundlich nickend, bleich verdüstert,
Steht das Mütterlein vom See,
Weint verstohlen, und sie flüstert:
„Schöne Jungfrau, weh dir, weh!
Von den Rosen hier empfangen
Hast du’s Ringlein, und es droht
Bald den Rosen deiner Wangen
Dieses Ringlein bleichen Tod.
Folge mir!“ – Sie schreiten beide
Weite Strecken stumm und sacht
Über eine öde Heide
In der stummen dunklen Nacht.
Und an einer Windmühl stille
Hält das alte Zauberweib:
„Bräutchen, ists dein fester Wille,
Daß unfruchtbar sei dein Leib?
Willst?“ – „Ich will es!“ und sie schleichen
Jetzt die Mühlentrepp empor,
Feiernd stehn die Flügelspeichen,
Taghell tritt der Mond hervor.
Braune Weizenkörner sieben
Aus dem Sack die Alte greift,
Und das Ringlein ihres Lieben
Sie der Braut vom Finger streift.
„Wenn nicht meine Zauber wären“,
– Spricht das Mütterlein vom See, –
„Würdest sieben du gebären
In der schmerzenreichen Eh.“
Durch das Ringlein wirft hinunter
Sie ein Korn zum runden Stein:
Plötzlich wird die Mühle munter,
Brausend fällt ein Windstoß drein;
Und die Mühle mahlt im Winde,
Schaudernd hört die junge Braut
Leise, wie von einem Kinde,
Wimmern einen kurzen Laut.
Drauf todstill in alle Weite,
Anna hört ihr Herz allein,
Und die Alte wirft das zweite
Weizenkorn hinab zum Stein:
Wieder mahlt die Mühl im Winde,
Schmerzend hört die junge Braut
Leise, wie von einem Kinde,
Wimmern einen kurzen Laut.
Alte wirft das dritte, vierte,
Fünfte Korn, noch zwei hinein:
Jedmal sich der Windstoß rührte,
Und zerreibend lief der Stein.
Siebenmal hat es gewimmert,
Hat ein Weh durchzuckt die Maid.
Wieder Ruh – der Vollmond schimmert
Nieder auf die stille Heid.
Mütterlein jetzt freudig kichert,
Steckt das Ringlein ihr zurück:
„Nie ergreift dich, bist gesichert,
Jammervolles Mutterglück!“
Heim, zuvor den Morgenstunden,
Eilt nun Anna, fürcht’t sich schier;
Schüchtern blickt sie um – verschwunden
Ist die Alte hinter ihr.
3
Schautet ihr das Bräutchen schwärmen
Auf der Heid im Mondenstrahl,
Würdet ihr im Schloß nicht lärmen,
Rüsten nicht das Hochzeitsmahl.
Dreier Tage galts ein Jagen,
Scholl das Horn in Wald und Kluft,
Mancher Keuler ward erschlagen,
Vögel stürzten aus der Luft.
Und der Hirsch, der Stolz der Schluchten,
Liegt mit zwanzig Enden kalt,
Liegt, als hätt er auf den Fluchten
Mitgerissen ein Stück Wald.
Denn zur Ehre seines Festes
Rief der Ritter in den Forst:
„Lieber Wald! heraus dein Bestes,
Schönstes an Geweih und Borst!“
Früh am Morgen in dem Schlosse
Werden hundert Gäste laut,
Mit dem Ritter, hoch zu Rosse,
Holen sie die schöne Braut.
Anna glänzt im Brautgeschmeide,
Strahlt in Schönheit wunderbar,
Daß das Volk aufschreit vor Freude,
Wo vorüberzieht die Schar.
Kein so schönes Weib begegnet
Heut der Sonne auf der Welt;
Und der Priester, wie er segnet,
Vor Erstaunen innehält.
Erich, dem zur Pflicht des Weibes
Sie der Priester angetraut,
In die Schönheit ihres Leibes,
Seinen offnen Himmel, schaut.
Anna freut sich all des Glanzes,
Ihres Ritters freut sie sich,
Ihres grünen Myrtenkranzes,
Ihrer selbst herzinniglich.
Bald beginnt ein festlich Schmausen,
Geigenschall und Hörnerklang,
Lebehoch! und Tanzesbrausen,
Becherklirren, Spiel und Sang.
Aber als die Nacht gekommen:
Dicht in ihres Ohres Näh
Hört die schöne Braut, beklommen,
Rauschen den bekannten See.
Trüb ihr alle Kerzen flimmern,
Und die Luft wird ihr so schwül,
Durchs Getös das leise Wimmern
Hört sie von der Heidemühl.
4
Sieben Jahre sind verflossen,
Spurlos wie die Flut ins Meer,
Seit der Ehbund ward geschlossen,
Heute ist die Jahreskehr.
Anna wird im Land besungen
Als die allerschönste Frau;
Sie empfängt die Huldigungen,
Wie die Rose ihren Tau.
Keines von den süßen Liedern
Mag ein Blick gerührter Huld,
Mag ein süßes Wort erwidern;
Anna trägt nur eine Schuld.
Oftmals bei geschloßnem Riegel
Ist sie unbelauscht allein,
Stürzt ihr Aug sich in den Spiegel,
Schwelgt in ihrem Widerschein.
Gerne mag sich Anna zieren,
Reich geschmückt am Spiegel stehn;
Bis sie fühlt geheimes Frieren,
Wenn sie lang hineingesehn.
Klirrt und rauscht dann Gold und Seide,
Dünkt ihr oft, es werde wach
Jener bange Laut der Heide,
Der manchmal ihr wehte nach.
Anna ist so schön geblieben,
Wie als Braut einst am Altar;
Erich trauert, daß sein Lieben
Und sein Leben unfruchtbar.
Schweigend reiten sie zum Schlosse
Heim von einer Kindestauf;
Als ihr leuchtender Genosse
Zieht der volle Mond herauf.
Erich reitet in Gedanken
Hinter seinem Weibe fort,
Sieht des Waldes Schatten wanken
Unstät wechselnd hier und dort.
Als sie weiter traben beide,
In Gedanken, ohne Laut,
Als sie kommen auf die Heide,
Wo sie einst geirrt als Braut:
Sieht er ihres Pferdes Schatten
Um die Reiterin verkürzt,
Und das Bild erschreckt den Gatten,
Ob sein Weib vom Roß gestürzt?
Nein, sie sitzt! „Gott sei uns gnädig!“
Ruft er aus – „Verfluchtes Weib!
Nur dein Roß, als ging‘ es ledig,
Keinen Schatten wirft dein Leib!“
Aber Anna treibt den Zelter,
Zitternd vor dem Mondenstrahl,
Vor dem himmlischen Vergelter,
Und dem zürnenden Gemahl.
Jetzo stürzt sie bang zu Füßen
Ihrem Herrn im Schlafgemach,
Sie bekennt in Tränengüssen,
Flehend, was sie einst verbrach.
Schaudernd hörte er ihre Kunde;
Süßer sonst als Blumenduft,
Trifft der Hauch aus ihrem Munde
Jetzo ihn wie Grabesluft.
Erich schaut im Mondenlichte,
Leuchtend durch den Fensterspalt,
Ihr frisch blühend Angesichte,
Ihre bräutliche Gestalt.
„Unweib!“ ruft er mit Entsetzen –
„Wäre deine Schönheit hin!
Mit den unterschlagnen Schätzen,
Gräßliche Betrügerin!
Eile fort aus meiner Kammer!
Eile fort aus meinem Haus!
Fahre hin in Not und Jammer!
Fluchend stoß ich dich hinaus!
Dir so wenig wird vergeben,
Wie aus dieser Diele je
Frische Rosen sich erheben!
Weh, verfluchtes Weib, dir, weh!“
5
Anna liegt im Wald verlassen,
Klagt den Bäumen nicht ihr Los;
Schweigend drückt sie nur die nassen
Augen in das weiche Moos.
Im Gebüsch der Winde Sausen
Weckt der Reue wilden Schrei,
Und des Baches Wellen brausen
An der Sünderin vorbei.
Anna darf um Trost nicht lauschen
Zur Natur im Trostgewand,
Zwischen ihnen flatternd rauschen
Hört sie das zerrißne Band.
Und die Menschen schaudernd kehren
Ab das Herz von Annas Not;
Ihre Buße nur zu nähren,
Reichen sie das Bettelbrot.
Sieben Jahre sind es heute,
Seit ihr Gatte sie verstieß,
Seit sie, Reu und Kummers Beute,
Klagend seine Burg verließ.
Heute sind es sieben Jahre,
Daß sein Fluch sie fortgeschnellt,
Daß sie mit gelöstem Haare
Büßend weinte durch die Welt.
Mutterleid, das wonnereiche,
Hat ihr Antlitz nie versehrt,
Aber bis zur Totenbleiche
Hat der Jammer es verheert.
Als sie aufblickt von der Erde,
Naht im Strahl des Abendlichts
Ihr ein Greis, mit Freundsgebärde,
Mitleidvollen Angesichts.
„Anna, hebe dich vom Grunde!
Komm, du hast genug geweint;
Des Erbarmens milde Stunde
Deinem Kummer auch erscheint.
Folge mir zur Waldkapelle!“
Spricht der alte Eremit,
Als des Abends letzte Helle
Von den Wipfeln sich verzieht.
Dunkel wird es, dunkler immer,
Kaum manchmal durch Baum und Strauch
Zweifelt eines Sternes Flimmer,
Stiller, kühler wird es auch.
Und sie wandeln und sie schweigen,
Finster wird es ganz und gar,
Auf des Walds gewundnen Steigen
Leuchtet ihr sein weißes Haar.
In des Waldes tiefsten Schauern
Kommen sie an die Kapell;
Grabesstill sind ihre Mauern,
Doch erleuchtet ist sie hell.
Zu der traurigsten der Frauen
Spricht der Alte: „Tritt hinein!
Die du drinnen wirst erschauen,
Bitte, daß sie dir verzeihn!“
Anna zögernd und verzagend
In die Waldkapelle tritt,
Von den öden Wänden klagend
Hallt zurück ihr scheuer Schritt.
Niemand hier; doch lispelnd nennen
Ihren Namen hört sie klar;
Sieben Kerzen sieht sie brennen
Ohne Leuchter am Altar.
Hellen Schimmer auszuspenden,
Hängt die Lampe ohne Schnur;
Bilder haften an den Wänden,
Dämmernde Umrisse nur.
Und die Staffeln abgebrochen
Zum Altar; zerrißnes Tuch;
Keine Messe wird gesprochen
Aus dem unbeschriebnen Buch.
Sieben leichte Lichtgestalten
Jetzt an ihr vorüberziehn
Und mit stummem Händefalten
Vor dem Altar niederknien.
Anna sich mit zitternd leisen
Schritten den Gestalten naht:
„Meine ungebornen Waisen!
Ach, verzeiht ihr, was ich tat?
Grausam frevelnd ausgestoßen
Hab ich euer keimend Herz,
Von den Freuden ausgeschlossen,
Von dem trauten Erdenschmerz!“
Und sie nicken, ihr vergebend,
Lächelnd zugewandt, doch stumm;
Und der Alte, näher schwebend,
Schlingt die Arme ihr herum.
Anna sinkt zu Boden nieder,
Ihr entgleiten Schmerz und Not,
Und sie klagt und weint nicht wieder;
Der Einsiedel war der Tod.
Und zur Stund ein sanftes Tosen
Erich aus dem Schlafe weckt:
Ha! er sieht mit frischen Rosen
Seine Diele überdeckt.
Anna bleich und todeshager,
Grüßend ihm vorüberging,
Und sie legt ihm auf sein Lager
Leise seinen goldnen Ring.
Als sein totes Weib dem Ritter
Samt den Rosen wieder schwand
Nimmt er die bestaubte Zither
Endlich einmal von der Wand,
Und er singt ein Lied, das alte,
Aber nicht im alten Laut,
Wie es vor dem Fenster hallte
Anna einst, der schönen Braut.
„Hab ein Schloß und finstre Wälder,
Berge hab ich, reich an Erz,
Muntre Herden, goldne Felder,
Und nach dir ein krankes Herz!“