Gedichte Die Marionetten

Nachtstück

Erster Gesang

Der Gang zum Eremiten

Grau düstre Felsen sah ich trotzig ragen
Aus eines Tales stillen Finsternissen,
Als wollten kühn den Himmel sie verjagen,
Dem sie den Schleier vom Gesicht gerissen.
Abgründe, ihre Riesengräber, lauern
In sicherer Geduld zu ihren Füßen.
Kein Vogelsang, kein Bach, kein Waldesschauern;
Kein Klageton entfährt dem finstern Tale;
Nur stummes, unermeßlich wildes Trauern.
Einsam verkümmert steht der Strauch, der kahle,
Hat Regen nur und Sturm und Frost erlebt,
Stirbt ungeliebt vom süßen Sonnenstrahle.
An seinen Ästen, windgefächelt, bebt
Die Wolle eines Lamms in stummer Klage,
Und des zerrißnen Blut am Boden klebt.
Dort fliegt mit leisem, sattem Flügelschlage
Ein Geier seinem Felsenhorste zu.
Auf grüner Trift, erquickt vom Sommertage,
Schuldloses Lamm, wie fröhlich irrtest du
Mit deiner Weide friedlichen Genossen,
Indes auf dich aus heitrer Lüfte Ruh
Vormordend Geierblicke niederschossen!
Der Geier, stürzend sich in seinen Blick,
Kommt plötzlich auf das Lamm herabgestoßen
Und reißt es fort aus seinem Jugendglück.
Hoch über Wälder, Tale, Felsenriffe
Fliegt er damit in seine Nacht zurück.
Es zittert, wimmert; doch mit festrem Griffe
Umklammert ers, ob sich am Angstgeschrei
Die scharfe Gier des Mörders schärfer schliffe. –
Nun drang ich tiefer, an dem Strauch vorbei,
Und wilder immer ward des Tales Grund,
Die dunkle Wiege der Melancholei.
Da bricht aus dornumstarrtem Felsenmund
Ein Quell hervor, die bange Ruh zu stören,
Und braust hinunter in den offnen Schlund.
Unheimlich ist und grausenvoll zu hören
Das hohle Tosen in den Steinverliesen,
Wo murmelnd Nacht und Tod sich Treue schwören.
Wie, trauernd nach verlernen Paradiesen,
Des Freundes Haupt ans Herz des Freundes fällt,
Umarmen sich die ernsten Felsenriesen.
Und weiter drang ich, – dämmerlich erhellt
War mir die Schlucht; es fiel ein leiser Regen;
Der Himmel Blitze durch die Felsen schnellt‘,
Und fernher klangs von dumpfen Donnerschlägen.
Gar seltsam bleich erschien mir das Gesicht
Des Eremiten, der mir trat entgegen.
Es wankt um ihn ein zweifelhaftes Licht;
Der Sturm ist laut und plötzlich aufgefahren,
Wie, wer verschlafen, schnell vom Lager bricht.
Er faßt den Alten an den grauen Haaren;
Der aber schreitet durch des Sturmes Macht,
Uneingedenk der Wetter und Gefahren.
Bald ist er mir begraben von der Nacht,
Bald wieder glüht er auf im Wetterschein,
Als hätt ihn hell der Windstoß angefacht.
Nun schritt er näher und gewahrte mein
Und hieß mich froh mit gastlich mildem Worte
In seinen Wildnissen willkommen sein.
Und durch des Klippentals geheimste Orte,
Durch des Gewitters wachsendes Gebrause,
Führt‘ er mich fort zu einer schmalen Pforte
Und grüßte mich in seiner öden Klause.

Zweiter Gesang

Lorenzo

Der Sturm verstummte, die Gewitter schwiegen,
Das volle Mondlicht hatte sich ergossen,
Beruhigend sich an das Tal zu schmiegen.
Ich saß mit meinem wirtlichen Genossen
Beim Abendmahl; da hob er seinen Wein,
Mich feierlich einladend, anzustoßen.
Ein Frauenbild, erhellt von Lampenschein,
Hing an der Wand, umhüllt von schwarzem Flor:
Drauf wies er hin und sprach: „Ich denke dein!“
Und plötzlich stürzten Tränen ihm hervor.
Auf seinen Zügen lag ein tiefes Leid,
Wie er im teuren Bilde sich verlor.
Ich tat aufs Wohl der Toten ihm Bescheid,
Und als ich anstieß mit dem trüben Zecher,
Da hatte heimlich mir die Ewigkeit
Von ihrem Ernst geträufelt in den Becher.
Der Eremit begann mit scheuem Munde
Von einer schwarzen Tat und ihrem Rächer
Zu geben mir die schaudervolle Kunde.
Und wie er ins vergangne Leben schied,
Riß er die Zeit von jeder Herzenswunde. –
– Du, Gott des Schmerzes, rüste du mein Lied
Und wappne mich auf den verwegnen Gang
Durchs ungeheuer nächtliche Gebiet.
Gib mir ein wildes Herz, daß mein Gesang
Auf seiner Bahn vor Schreck nicht sterben dürfe;
Gib mir ein Herz, das lauten Wetterklang
Wie süße Nachtigallenlieder schlürfe!
Und wenn ins Tal mit grimmigem Frohlocken
Die Stürme werfen ihre Donnerwürfe,
Daß Wald und Fels herunterbricht erschrocken:
Dem Herzen sei’s schwermütiges Behagen,
Wie Niedersäuseln welker Blütenflocken! –
„Graf Robert sehnte sich nach stillen Tagen.
Er hatte viel sich durch die Welt getrieben,
Des Lebens manchen heißen Kampf geschlagen.
Im Herbst der Tage schwanden ihm die Lieben;
Da wird die Freudenflur so still, so leer!
Wohl dir, ist dann ein Kind dir noch geblieben;
Dir fallen leiser dann und minder schwer
Des Alters unvermeidlich bittre Lose,
Dir weht es milder von den Gräbern her!
Roberto klagt an manchen Hügels Moose,
Trübhadernd mit den räuberischen Jahren:
Nun hing sein Herz an seiner letzten Rose.
Geschieden von der Welt bewegten Scharen
Hat sich sein Herz, das nur den Frieden sucht,
Des Glückes letzte Spur sich zu bewahren.
Er zog mit seinem Kind in diese Schlucht;
Maria tat in ihrer Morgenblüte
Der Einsamkeit entsagungsvolle Flucht.
An Schönheit wunderbar, an tiefer Güte,
War selige Genüg ihr stilles Leben,
Daß sie den Abend ihres Vaters hüte.
Auf jenen Felsen, die am höchsten streben,
Stand ihm sein Ahnenschloß, seit lange wüste,
Wehrlos dem Sturz der Zeiten hingegeben;
Von wannen einst in kriegrischem Gelüste
Der Ritter brausen ließ die blutgen Fahnen,
Wo man den Freund mit Wein und Sang begrüßte.
Dahin, von seinen sturmbewegten Bahnen,
Trieb ihn die Sehnsucht, nach den Tannenhainen,
Zur längst verglühten Asche seiner Ahnen.
‚Dort will ich meine letzte Träne weinen
Dem treuen Weib; dort wird dem Tode mild
Des Kindes Lieb ins finstre Antlitz scheinen!‘
So malte sich sein Herz des Schicksals Bild,
Als mit Marien er die alten Mauern
Bezog in diesem einsamen Gefild.“ –
Nun schwieg der Eremit und sank mit Schauern
Zurück in der Erinnrung dunkle Nächte;
Bis wieder er begann mit tiefem Trauern:
„Ich war ein Jüngling, würdigem Geschlechte
Entsprossen, mit dem tapfern alten Grafen
Zurückgekehrt aus rühmlichem Gefechte,
Als mich die Blicke seiner Tochter trafen
Und mich durchdrangen mit so heißen Wunden,
Die nur mit meinem letzten Hauch entschlafen.
Hab ich auch Liebe nicht bei ihr gefunden,
Blieb doch seit jenem süßen Augenblick
Der Wunsch, je zu genesen, überwunden.
Roberto, gönnend mir ein froh Geschick,
Erhoffte von der leisen Macht der Tage,
Daß sich ihr Herz noch neige meinem Glück,
Und daß ich nicht dem Waffenfreund versage,
Zu folgen ihm auf seiner Väter Schloß.
Ich folgte trauernd, aber ohne Klage.
Wenn ich die Näh der Himmlischen genoß,
Der Wimper keine Bettlerin entschlich,
Was ich an Tränen einsam auch vergoß.
Ein schnelles Jahr voll bittrer Wonn entwich,
Umsonst hat sie mein stummer Schmerz beschworen;
Mir sprach kein Hauch, kein Blick: ich liebe dich!
Das Los hatt einen andern ihr erkoren,
Der wie ein Sturm ihr junges Herz bezwang,
An den sie Herz und all ihr Glück verloren. –
Einst saßen wir am steilen Felsenhang
Vor dem Ruinenschloß und überließen
Nachsinnend uns dem Sonnenuntergang.
Dort sah ich ganz die Rose sich erschließen:
Marias offnes Auge, tief und klar,
Schien Seelen in den Abend auszugießen;
Die leisen Winde küßten ihr das Haar,
Auf ihren Busen kamen, sich zu wiegen,
Die Purpurstrahlen hell und wunderbar;
Der Himmel schien am Halse ihr zu liegen.
Ich aber wünscht, es möchte meine Seele
In solchem Anblick sterben und versiegen.
Und ich begann, daß ich mein Leid verhehle,
Zu singen mit Robert, dem Mann der Waffen,
Ein altes Reiterlied aus voller Kehle.
Da stört‘ uns plötzlich lautes Hundeklaffen;
Zwei Doggen kamen schnell heraufgesprungen,
Als wollten sie dem Wind ein Wild entraffen,
Und hinterdrein, von Fels zu Fels geschwungen,
Mit stolzem Wuchs, weidmännisch angetan,
Die Faust ums schlanke Feuerrohr geschlungen,
Kam rasch und kühn ein Mann den Berg heran.
Und mich erfaßt‘ ein sonderbar Gefühl,
Als ich ihn sah mit leichtem Gruße nahn:
Die Stirne brütend und gewitterschwül,
Die Augen zwei gefangne Blitze brennen;
Doch lag es um die Lippen ihm so kühl,
Ein Rätsel, unerfreulich zu erkennen.
Die Blässe sprach: dies Herz hat keinen Frieden;
Unheimlich schön war die Gestalt zu nennen.
Ob auch Marias Blicke ihn vermieden,
Ich sah des Vaters Hand sie zitternd fassen;
Auf immer war die Ruh von ihr geschieden,
Ich sah ihr wechselnd Glühen und Erblassen;
Und ich empfand in meines Herzens Grunde
Zu jenem Fremden ahnungsvolles Hassen.
Ich will vollenden dir die trübe Kunde;
Doch vor Marias teurem Bilde nicht.
Komm, folge mir in dieser stillen Stunde!“
So sprach der Eremit und nahm ein Licht,
Und ernst verließen wir das öde Haus;
Er sah mir recht bekümmert ins Gesicht
Und wies mir in die dunkle Nacht hinaus.

Dritter Gesang

Antonio

Der Klausner trug die leuchtende Laterne.
Fort war der Mond; aus finstern Wolken glommen
Nur matt und scheu hervor die seltnen Sterne.
Mich aber hatte plötzlich überkommen
Die große Wehmut der Vergangenheit.
Ich tat dem Alten schweigend und beklommen
Durch seinen dunklen Garten das Geleit.
Ich dachte traurig an so manches Grab,
Und allen Toten war mein Herz geweiht.
Auch die Natur, die nächtlich stille, gab
Gedankenvoller Wehmut sich zu eigen;
Nach dem Gewitter tropft‘ es noch herab
Wie weinendes Erinnern von den Zweigen.
So mochten wir wohl eine Stunde ziehn
Durch Fels und Wald mit ungebrochnem Schweigen.
Wir sahn die Wolken kommen und entfliehn,
Den Mond verhüllen bald und wiedergeben.
Drauf wies der Alte sinnig deutend hin,
Und endlich sprach er: „Dort am Fels erheben
Die Mauern sich vom alten Grafenschloß;
Dort wollen wir den Rest der Nacht verleben!“
Und schneller schritt mein leitender Genoß
Den Bergpfad mir voran im Mondenscheine,
Der wie versöhnend die Ruin umfloß.
„Hier“, – fuhr der Alte fort – „an diesem Steine,
Hier saß Maria, ich vergeß es nimmer,
Die schöne Jungfrau noch, die himmlisch reine,
Umspielt vom linden West, vom Abendschimmer.
Hier stand vor ihr der falsche Bösewicht,
Der lächelnd sie zerbrach in kalte Trümmer.
O Maienluft! o helles Abendlicht!
Warum habt ihr das arme Kind verraten,
Da ihr geschmeichelt um ihr Angesicht,
Daß ihre tiefsten Blicke auf sich taten,
Daß ihre Reize all, von euch betrogen,
Unselig siegreich auf die Wange traten!
Wie heiß Lorenzos Blicke sie umflogen!
Und, schwelgend in der Blüte vollem Prangen,
Den holden Reichtum trunkenhaft erwogen!
Wie zauberisch Lorenzos Lippen klangen!
Bald süß und weich die weltgeschliffnen Worte,
Bald kühn und kräftig auf den Hörer drangen,
Womit er leicht ein junges Herz durchbohrte!
Den Vater auch bezwang der Rede Kraft
Und brach zu seiner Gunst die letzte Pforte.
Mir ward Robertos Schloß zur Kerkerhaft;
Ich stieg zu Roß in selber Nacht und sprengte
Von dannen schnell mit meiner Leidenschaft.
Doch ob ich auch mich in die Schlachten mengte,
Ich konnte nicht die Glut im Herzen mildern,
Die heimlich und unlöschbar mich versengte.
Lang kämpft ich mit des Zweifels schwanken Bildern,
Bis aus der Heimat mir ein Bote kam,
Die traurige Gewißheit mir zu schildern:
Wie der Verführer frech und ohne Scham
Gar bald die Eide brach, die er geschworen:
Lorenzo floh; Maria starb vor Gram.
Wie bitter schwer Roberto sie verloren,
Und wie in ihm der Liebe letzter Funken
An seines Kindes kalter Leich erfroren;
Und wie sein Blick, ins tote Kind versunken,
Schmerzlich ergründet, was man ihm geraubt,
Und sich mit wilder Rache voll getrunken.
Die Nacht des Wahnsinns schlug sich um sein Haupt;
Sie trieb ihn fort und fort nach allen Winden
Rastlos, wie durch den Wald der Jäger schnaubt.
Doch sah er stets die blutge Hoffnung schwinden;
Durch Land und Meer trieb ihn der Rache Qual,
Er konnte nicht die Spur Lorenzos finden.
Da fuhr ihm plötzlich, wie ein Wetterstrahl,
Prophetisch durch der Seele Finsternis
Die Sehnsucht nach dem fernen Felsental;
Und was ihn erst in alle Fernen riß,
Nun zwang es ihn zurück in diese Räume,
Als wäre hier sein Opfer ihm gewiß.
Hier träumt‘ er immer wilder seine Träume,
Die rings umher getreue Freunde hatten:
Ruinen, Gräber, finstre Tannenbäume.
Wie auf der Wüste, dürr und ohne Schatten,
Wenn sie den Tag um dunkle Nacht vertauscht,
Der Wandrer sinkt in durstendem Ermatten,
Einschläft und träumt, daß ihm die Quelle rauscht;
Vom Sand empor dann fährt der Frohbetörte,
Und in die Nacht, die dunkle, stille, lauscht:
So wars Robert, wenns ihn vom Schlaf empörte,
Als ob er aus Lorenzos Busen noch
Die heißersehnte Quelle rieseln hörte.
Wenn dann das schwarze Traumbild sich verkroch,
Wie glühend quält‘ es ihn, zu hören nur
Des eignen Herzens einsames Gepoch!
Oft wenn er so empor vom Lager fuhr,
Erweckt‘ er seine alten treuen Knechte
Und schwor mit ihnen seinen Racheschwur.
Auch trieb er oft mit ihnen lange Nächte
Ein närrisch Puppenspiel, worein er trug
Wahrheit und Traum in grausigem Geflechte.
Die Puppen mußten spielen Zug für Zug
Viel längstvergangne traurige Geschichten,
Nachtappen seinem wilden Geistesflug;
Doch immer war das Spiel ein Klagen, Richten:
Unheimlich kindisch war des Alten Drang,
Auch nur im Bild Lorenzo zu vernichten.
So lebte Robert manche Jahre lang;
Von allen Wandrern, die das Tal betreten,
Tat keiner nach dem Schlosse mehr den Gang.
Doch kam ein Abend: Maienlüfte wehten,
Es ruhte auf dem alten Schloßgestein
Der Strahl, wie einst, mit rötlichem Verspäten.
Roberto saß betrübt im Abendschein,
Und sinnend sank das Haupt ihm, das ergraute,
Und hüllte ins Vergangne ganz sich ein.
Wie er nun klar sein Kind Maria schaute,
Und wie sein starrer Blick leibhaft vor sich
Das Bild Lorenzos in die Dämmrung baute:
Da schallten Tritte und – sein Traum entwich –
Ein junger Mann nun plötzlich vor ihm stand,
Der wunderbar genau Lorenzo glich.
Es war Lorenzos Sohn. Aus fernem Land
War er gefolgt dem dunklen Trieb zu reisen,
Bis sich sein Pfad in diese Täler wand
Und ihn mit Lockungen, mit holden, leisen,
Verführte schlangenhaft in diese Schluchten,
Nach des Verhängnisses geheimen Kreisen.
‚Halloh! nun endlich hab ich dich, Verfluchten!‘
So rief Robert, sprang auf und hielt ihn fest;
‚Gelüstet dich nach meinem Kind, Verruchten?
Stahlst du nicht frevelnd mir den letzten Rest?
Lorenzo, hab für dich kein Opfer mehr!
Maria ist von deinem Kuß verwest!‘
Und riesenkräftig schleift er ihn einher.
Was ihm an Kraft geschwunden mit den Jahren,
Beschwor die Wut zu schneller Wiederkehr.
Mit Flammenaugen, weißen Flatterhaaren,
Ist er mit ihm zu jenes Turmes Türe,
Ein Rachedämon, brausend hingefahren.
Umsonst beteuerten Antonios Schwüre,
Es sei Lorenzos vorwurfsloser Sohn,
Um den er seine Eisenkette schnüre;
Und seiner Knechte Wort klang ihm wie Hohn,
Daß welk und grau ja längst Lorenzo sei,
Da dreißig Jahre schon nach ihm entflohn.
Dem Wahnsinn war das Alte nicht vorbei:
Lorenzos Züge waren mit den Zeiten
Gealtert nicht in seiner Phantasei.
Und in des Turmes finstern Einsamkeiten,
War nun Antonios schrecklich Los, zu schmachten,
Zu hören stets die Todesstunde schreiten.
Roberto säumte noch ihn hinzuschlachten:
‚Bis seinen Lauf der bleiche Mond vollendet,
Soll dich die feste Kerkerwand umnachten.
Die Frist sei dir Verbrecher noch gespendet,
Auf daß auch dich dein Vater sterben sehe!‘
Und in die Ferne ward ein Brief gesendet.
Lorenzo ahnte nicht des Schicksals Nähe.
Schon war verschlummert seine Jugendsünde,
Sein Herz erwarmet in beglückter Ehe:
Da kam das Schreckensblatt von seinem Kinde;
Da brach er auf und flog mit Sturmeseile,
Daß er Antonio noch lebendig finde,
Daß er des Wahnsinns blutgen Irrtum heile
Und das schuldlose Opfer schnell erlöse;
Wo nicht, den Tod mit seinem Sohne teile.
Wohl mahnte laut sein Herz ihn an das Böse
Der Jugendschuld, als er dem Schloß genaht,
Mit des Gewissens hämmerndem Getöse;
Wohl trieb er seinen Witz nach klugem Rat,
Wie er den Sohn entreiße der Gefahr
Und selber nicht bezahle seine Tat.
Ihm folgte schützend eine Waffenschar
Zum Schlosse, das ihm schon entgegendrohte,
Rauh, wie der Rache türmender Altar.
Durch Nebel taucht‘ empor das blutigrote
Antlitz des Mondes am bewegten Himmel,
Der schreckensvollen Nacht ein ernster Bote.
Der Wolken trübweissagendes Gewimmel
Flog unstet übers Tal, die Winde trugen
Herüber fernen Donners dumpf Getümmel:
Als an das Grafenschloß die Wandrer schlugen
Und bald darauf das Tor, das langentwöhnte,
Einlaß gewährend knarrt in seinen Fugen.
Ihr scheuer Tritt im öden Burghof tönte,
Wo alles einsam, still und finster lag,
Durchs hohe Gras allein der Windhauch stöhnte.
Die Waffenknechte lauschten stumm und zag;
Lorenzo hört des Busens alten Wächter
Stets lauter mit erinnrungsvollem Schlag,
Und ihn ergriff, wie die gedungnen Fechter,
Ein Grauen: plötzlich aus des Schlosses Tiefen
Schnitt durch die Nacht ein höhnisches Gelächter
Dann todesstill; – dann wirre Stimmen riefen.
Schon sah Lorenzo, dem der Mut zerbrach,
Die Nacht vom Blute seines Kindes triefen.
Und zaudernd schritten sie dem Laute nach,
Und über Treppen, dunkle Hallengänge,
Betraten sie ein dämmerndes Gemach.
Hier sahn sie das phantastische Gepränge
Der wunderlichen Marionettenbühne;
Hier lernten sie verstehn die krausen Klänge.
Soeben eifert der wahnwitzig kühne
Poet, daß er auch strafe die Betörung
An seinem Helden und das Schicksal sühne:
Und mit den Worten innigster Empörung
Empfing den Todesstreich Lorenzos Puppe.
Jetzt fuhr der Alte auf, entzückt der Störung:
‚Ihr Herren, wie behagt euch diese Gruppe?
Soll wiederholet werden euch zu Ehren
Von meinem tüchtigsten Schauspielertruppe!
Ich kenn euch wohl und euer heiß Begehren:
Doch wollet nur indes Gedulden tragen
Und lustig erst den Willkommsbecher leeren!‘
Der Vorhang fiel; doch wollte nicht behagen
Der Becher, den Robertos Knechte reichten,
Bis wieder ward der Vorhang aufgeschlagen.
Bei einer Dämmerlampe trübem Leuchten
Begannen ihren Tanz die Marionetten;
Doch schrecklich, daß die Gäste dran erbleichten,
Denn plötzlich schauten sie, geschleift an Ketten,
Verhöhnt von Roberts tragischem Sermon,
Mit plumpem Tritt – Antonios Leiche treten.
Lorenzo starb vor Schreck an seinem Sohn;
Die Knechte hüllten schreiend ihr Gesicht,
Und mit Entsetzen stürzten sie davon.“ –
So weit des Klausners nächtlicher Bericht.
Und ich erwacht an eines Baches Rand,
Als durch die Felsen drang das Morgenlicht,
Nachsinnend, wo der Eremit verschwand;
Ob Wahrheit, was nun meine Sinne mied,
Ob eines bösen Traumes wilder Tand? –
Und als ich aus dem Klippentale schied,
Sah wieder ich des Lammes Wolle beben
Am Strauche, den die Sonne ewig flieht,
Im Hintergrund den stillen Geier schweben.


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