Gedichte Europäischer Tierkreis

(11. Dezember 1831)

Eine Jungfrau hieß Europa, blühend einst, an Gaben reich:
Heutzutage sieht sie freilich einer alten Jungfer gleich.

Halt o deutsches Volk die Waage, deiner selbst bewußt und frei,
Zwischen wandelbarn Franzosen und der schnöden Mongolei!

Wenn Monarchen nicht die Lücke füllen zwischen Volk und Thron,
Wird hinein sich Mißverständnis schleichen, wie ein Skorpion.

Eure Lober, Weltgebieter, sind fürwahr gar wenig nütz,
Besser, als der Hunde Wedeln, meint es mit dem Pfeil der Schütz.

Auf Gebirgen schweift die Freiheit, wie ein Steinbock, irr und wild:
Wird sie einst im See der Täler spiegeln ihr geliebtes Bild?

In die Totenauen, welche jenes Volk zum Grab gewann,
Sammelt nun den Rest der Zähren jener große Wassermann.

Wird Herakles seine Säulen reinigen nie von dieser Brut?
Diese beiden Fische schwimmen durch ein Meer von Menschenblut.

Wenn das Tor ihr festlich öffnet, ziehn wir festlich auch hinein,
Öffnet ihr es nicht, so stößt es jener böse Widder ein.

Welch ein Held, o Stier, vermag es, abzubrechen dir das Horn,
Um’s zu füllen wie ein Füllhorn an des Friedens Silberborn?

Nimm, o Zwillinggspaar im Norden, nimm der ganzen Hölle Gruß:
In des Vatermörders Stapfen tritt des Völkermörders Fuß!

Gehe dieser Krebs denn rückwärts, wenn wir selbst ihm nur entfliehn;
Doch er packt uns mit den Scheren, um uns auch zurückzuziehn.

Frieren mußt du bald Europa, wirst der nordischen Kälte Raub,
Herrschen muß fürwahr der Eisbär, denn der Löwe liegt in Staub.


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