Gedichte Zweites Buch

Wirf ab, mein Lied, den niederländ’schen Schuh
Und schnalle den Kothurn dir an die Sohlen!
Der herrischen Fortuna pflichtest du,
Und diese hat ein Trauerspiel befohlen;
Aus Wolken sprach sie den Prolog dazu,
Und nicht beliebt’s ihr, ihn zu wiederholen.
Tritt auch der Held nicht alsbald auf die Bretter,
Noch blieb er unversenkt von Sturm und Wetter.

Der Schauplatz unsres Stückes ist zu Londen,
Die Zeit – ich dächte wohl: im Februar?
Denn welcher rühmet sich von allen Monden,
Daß er dem Trauerspiele günst’ger war?
Doch meine Göttin schüttelt ihre blonden
Stirnlocken, fürder deutet sie ins Jahr:
Den wechselnden April hat sie erkoren,
Ihr Dichter selbst ist im April geboren.

Zu Londen also war ein Kaufmann säßig,
Roberto, von toskanischem Geschlechte.
Von Jugend auf bedacht, arbeitsam, mäßig,
Hatt er besiegt die kargen Schicksalsmächte,
Noch jetzo warb und schafft‘ er unablässig,
Streng hielt er seine Schreiber, seine Knechte,
In Strömen kam ihm der Gewinst geflossen,
Doch nahm er auch den kleinen gern zum großen.

Als dieser einst am Pulte saß und sann,
Hört‘ er im Gange draußen rasche Tritte.
Es klopft, und eh er Antwort geben kann,
Steht ihm der Gast schon in des Zimmers Mitte,
Ein langer, hagrer, frühverzehrter Mann,
Nach Farb und Wuchs und Kleidertracht kein Britte;
Die dunkeln Augen läßt er kecklich schweifen,
Und was er ansieht, scheint er zu ergreifen.

„Andreas Rodio bin ich genannt“,
So spricht er, „von Florenz wie Ihr entsprossen.
Mein Vater Lucas ist Euch wohlbekannt,
Er rühmt sich Eurer Jugendzeit Genossen,
Hat gute Seidenwar Euch stets gesandt
Und Euch getreulich ins Gebet geschlossen.
Bei der Bewandtnis darf ich mich erfrechen,
Um einen Freundesdienst Euch anzusprechen.

Ein edler Lord ist zu Turin gefangen,
Des kläglich Schicksal mir das Herz bewegt.
Dem armen Manne war es beigegangen,
Daß er sich eine Sammlung angelegt,
Nicht von Zwiefaltern, Steinen, Muscheln, Schlangen
Noch andrem, was man sonst zu sammeln pflegt,
Nein, wie die Britten stets besondres freute,
Von Rechnungen der Wirt‘ und Handelsleute.

Seit Monden schmachtet er in Block und Eisen
Ob dieser Neigung für das Ungemeine;
Nun kam ich jüngst dorthin auf meinen Reisen
(Ich kaufte dort zerschiedne Edelsteine),
Da ließ ich mir das Sehenswürd’ge weisen,
Die Kirchen, Klöster, heiligen Gebeine,
Und durft ich wohl den Schuldturm übergehen,
Wo jene seltne Sammlung ist zu sehen?

Als Kenner hatt ich bald mich überzeugt,
Sie halt im Werte vierzehntausend Kronen,
Den Sammler aber fand ich tiefgebeugt,
Er konnte nicht der dumpfen Luft gewohnen,
Und wie mich leicht das Mitleid überfleugt,
So schwur ich, keinen Fleiß für ihn zu schonen,
Und nennt mich einen Schurken, wenn ich raste,
Bis ich der leid’gen Fesseln ihn entlaste!

Geloben mußt ich noch am Abschiedstag,
Nicht ganz umsonst die Sache zu betreiben,
Auch will er gerne dreifach den Betrag
Von dem, was ihm geliehen wird, verschreiben.
‚Roberto‘, sprach er, ‚weiß, was ich vermag,
Der wird gewiß nicht ungerühret bleiben.‘ –
So bin ich vor Roberto denn getreten,
Er sei um diesen Liebesdienst gebeten!“

Glaubt nicht, daß mit demütiger Gebärde
Andreas diese Worte vorgebracht!
Hält er nicht, wie der Bettler mit dem Schwerte,
Mit scharfem Blick den Handelsfreund bewacht?
Doch dieser ist der kältste Mann der Erde,
Und nie empfand er noch der Blicke Macht.
Geruhig spricht er, einen Brief entfaltend
Und ihn dem Fremdling vor die Augen haltend:

„Mit diesem Schreiben ward ich heute morgen
Von Eurem Vater aus Florenz beehrt.
Herr Lucas ist um Euch in großen Sorgen,
Weil Ihr auf Reisen Geld und Gut verzehrt,
Er warnt mich, Euch das Mindeste zu borgen,
Wenn Ihr vielleicht hieher den Flug gekehrt,
Auch schrieb er so nach vielen Handelsplätzen,
Um sich und andre aus Gefahr zu setzen.

Gleichwohl gesteh ich, daß mir wohlgefällt,
Was Ihr betreibt, es ist ein gut Geschäfte.
Der edle Lord, von dem Ihr vor gemeld’t,
Erlangt noch einst durch reiches Erbgut Kräfte.
Ich werde zahlen, wenn Ihr Bürgen stellt,
Es fehlt Euch nicht, faßt Ihr’s am rechten Hefte:
Er hat Verwandte, die ihm helfen können,
Der König selber wird ihm Gutes gönnen.“

Andreas eilt zu Vettern und Gevattern,
Sie sind die Reichsten auf der reichen Insel,
Er spricht von faulem Stroh und gift’gen Blattern,
Er schildert des Verlassenen Gewinsel,
Er malt ihn halb verzehrt von grimmen Nattern,
Er taucht in jeden Höllengraus den Pinsel;
Vergeblich! alle Kunst ist hier verschwendet:
„Der König helfe, der hat ihn versendet!“

Der König helfe! Nach der Hofburg schreitet
Andreas, vor den Kämmrer tritt er hin:
„Britannia!“ ruft er, „Schmach ist dir bereitet,
Dein Bote liegt im Kerker von Turin.
Siehst du, wie er nach dir die Arme spreitet,
Und hast du keinen Schilling mehr für ihn?
Der Pöbel sammelt sich vor seinem Gitter
Und jubelt: Seht doch Sankt Georg, den Ritter!“

Der Kämmrer drauf: „Mein Lord muß sich gedulden,
Es hilft ihm nichts, wenn er die Haare rauft,
Er macht zu großer Unzeit seine Schulden,
Kein überflüssig Gold ist hier gehauft,
Der schöne Brautschmuck kostet manchen Gulden,
Den unser König seiner Schwester kauft.
Herr Edmund, der den teuren Schatz verschließet,
Der zeig es Euch, wohin das Geld uns fließet!“

Geziemt‘ es, Höll und Himmel zu vergleichen,
So spräch ich: wie ein heller Sternekranz
Hervortritt, wenn die Wolken plötzlich weichen,
So dem Andreas jener neue Glanz!
O armer Lord, wie muß dein Bild erbleichen!
Der Brautschmuck füllet ihm die Seele ganz:
Und gierig nach dem kostbarn Augenschmause
Eilt er die Straße hin zu Edmunds Hause.

Der Ritter Edmund war ein frommer Christ,
Doch hatt er nicht das Leibliche vergessen.
So war er eben auch zu jener Frist
Mit Frau und Kindern an den Tisch gesessen,
Und wie er immer gut und freundlich ist,
So bittet er den Fremden gleich zum Essen.
Wie auch der ungeduld’ge Gast sich wehret,
Er muß erst speisen, was der Herr bescheret.

Einstweilen doch beginnt er zu erzählen
Und gibt dem Wirte sein Begehren kund.
Er nennt sich einen Händler in Juwelen
Und führt die schönsten auf dem Erdenrund.
Er hat gehört, der König will vermählen
Die Schwester an den Herzog von Burgund,
Auch von dem Brautgeschenk hat er vernommen,
Zu sehn, zu handeln ist er hergekommen.

„Das soll geschehn, das soll geschehn nach Tische!
Warum verschmäht Ihr so mein häuslich Mahl?
Entdeckt Ihr nichts, was Euch den Gaumen frische?
Ihr nehmt vom Rebhuhn nicht und nicht vom Aal!“
Doch jener denkt an Vögel nicht noch Fische,
Und jede Schüssel bringt ihm neue Qual.
Bis endlich nach gesprochnem Tischgebete
Der Wirt zu holen geht das Brautgeräte.

So wie ein Faun vom buschigen Gestade
Mit brünst’gen Blicken nach der Nymphe späht,
Die sich entkleiden will zum kühlen Bade
Und bald in offner Fülle vor ihm steht,
So blickt der Florentiner nach der Lade,
Daran Herr Edmund jetzt den Schlüssel dreht;
Und als es nun an dem, sie aufzudecken,
Da zittert ihm das Herz vor Lust und Schrecken.

Wie blitzen der Demanten helle Sonnen!
Wie spielen farbig all die edeln Sterne!
Und Perlen, Nereus Töchtern abgewonnen,
Und schönes, blankes Gold vom reinsten Kerne!
Gleichwie, in der Gedanken Meer zerronnen,
Ein Seher aufblickt zur gestirnten Ferne,
So dem Andreas am Juwelenschranke
Verirrt ins Grenzenlose der Gedanke:

„Ich schaue hin, und schaue hin aufs neue,
Es ist der Erde Gott, was vor mir liegt.
Vor diesem Zauber weicht die fromme Scheue,
Und des Gewissens Zweifel ist besiegt,
Von ihm bezwungen wird des Weibes Treue,
Von ihm des Mädchens Unschuld eingewiegt.
Solch einen Talisman an jedem Finger,
Du bist ein Fürst, du bist ein Weltbezwinger!

Und mußt ich so die schönste Zeit verschwenden,
Die Kraft der Jugend, mit unwürd’ger Tat!
Was hieß es, falsche Wechsel auszusenden,
Die man beim ersten Blick mit Füßen trat?
Verliebte Witwen um ihr Gut zu pfänden?
O leichtes Spiel, o kindischer Verrat!
Kommt mir der wahre Sinn so spät zur Reife,
Daß ich erst jetzo nach dem Höchsten greife?

Nur weil ihr pranget mit den Diademen,
Ihr Fürsten, seid ihr Herrscher dieser Zeit,
Wird man euch diese Zier vom Haupte nehmen,
So weicht die Blendung eurer Herrlichkeit.
Ein Schatten ist der Mensch, ein trüber Schemen,
Wenn ihm das Gold nicht seinen Schimmer leiht.
Ich aber will mich schwingen aus dem Dunkeln,
Der Schmuck ist mein, ein König werd ich funkeln.“

So führ er fort, zu träumen und zu rasen,
Da frägt Herr Edmund: „Nun gesteht mir frei!
Was denkt Ihr von den feurigen Topasen?
Was von dem großen Diamanten-Ei?
Was hier von den milchweißen Perlenblasen?
Und habt Ihr selber was, das schöner sei?“
Der Fremdling spricht: „Ich werd Euch meines weisen,
Beliebt es morgen Euch, mit mir zu speisen.“

Drauf kehrt Andreas zu dem Gastfreund wieder
Und ist der angenehmsten Botschaft voll:
Ein Mann hat sich gefunden, fest und bieder,
Der für den Sammler sich verschreiben soll;
Auch singet er dem Kaufherrn feine Lieder
Von sichrer Bürgschaft auf des Königs Zoll:
„Schafft morgen nur ein stattlich Mahl, denn wisset,
Daß unser guter Bürge mit uns isset!“

Roberto rüstet stattlich seine Küche,
Der Gast erscheinet mit dem Stundenschlag,
Er wittert ferne schon die Wohlgerüche,
Sie künden ihm ein treffliches Gelag.
Man ißt, man trinkt, man bringt sich gute Sprüche,
Und jeder denkt im Herzen, was er mag;
Doch ist’s verpönet, daß kein Wort entwische
Von dem Geschäft; nach Tische das, nach Tische!

Als nun der Gast die Mahlzeit eingenommen
Und manches Glas genippt vom edeln Wein,
Da sieht man recht, wie es ihm wohl bekommen,
Denn freundlich wie ein Engel blickt er drein.
Das innige Behagen dieses Frommen,
Es rührte wohl ein Herz von Kieselstein.
Andreas aber naht sich ihm gesellig:
„Zur Sache nun, Herr Ritter, wenn’s gefällig!“

Nicht ahnt der Arme, wie man ihn beliste,
Er dankt für alles, was er Guts genoß,
Und kindlich froh, als ging’s zum heil’gen Christe,
Folgt er dem Schalk ins obere Geschoß.
Dort steht in öder Kammer eine Kiste;
Schon öffnet sich das wohlverwahrte Schloß,
Herr Edmund beugt sich hin, so sieht er’s besser,
Da fährt ihm ins Genick des Welschen Messer.

Drauf nimmt der Mörder dem entseelten Gast
Den Daumenring, womit er sonst gesiegelt,
Reißt ihm vom Gurt die Schlüssel, und mit Hast
Entweichet er, nachdem er fest verriegelt.
Du aber, Edmund! hättest dich im Glast
Der eiteln Erdenschätze gern gespiegelt:
Wie ist dir, als mit einmal sich verbreiten
Vor deinem Blick des Himmels Herrlichkeiten?

Der Mörder rennt hinab ins Haus des Toten,
Wo er die Frau, nun Witwe, so verständigt:
„Herr Edmund sendet mich als seinen Boten,
Er läuft nicht gern, wenn er ein Mahl beendigt,
Und daß er löse jeden Zweifelsknoten,
Hat er mir Ring und Schlüssel eingehändigt.
Er schickt mich, weil zum Tausch wir nötig haben
Das Kästlein mit den feinen Hochzeitgaben.“

Hat auch die Frau noch irgend ein Bedenken,
Der Welsche weiß, wie man mit Weibern spricht;
Sie sucht in allen Kammern, allen Schränken,
Sie sucht und sucht, das Kästlein find’t sie nicht.
Das hat er nun von allen seinen Ränken,
Von seiner blut’gen Tat, der Bösewicht!
Doch er, der Welt und seines Ichs Verächter,
Bricht aus in ein satanisches Gelächter.

Die Stunde drängt, und Eile will die Flucht,
Bevor um Rache schreit der grause Mord.
Drum flügelt er die Schritte nach der Bucht
Und wirft sich an des nächsten Schiffes Bord.
Wer vor dem Henkerbeile Rettung sucht,
Dem gilt es gleich, nach Süd hin oder Nord.
Das Hurra schallt, die Barke fleugt mit vollen
Gefiedern – aber ferne Donner rollen.

Der Kaufherr saß indes daheim und schrieb,
Da quoll das Blut hernieder durch die Dielen,
Doch weil er sein Geschäft mit Eifer trieb
Und nicht gewohnt war, übers Blatt zu schielen,
Kein Wunder! daß er unbekümmert blieb,
Bis ihm die Tropfen in die Rechnung fielen.
Ob er sich wohl am Federmesser ritzte?
Ob er mit roter Dinte sich beschmitzte?

Roberto! hebt es an, sich dir zu lichten?
Erbebst du vor der gräßlichen Entfaltung?
Nicht wahr, von derlei blutigen Geschichten
Stand nichts in deiner doppelten Buchhaltung?
In ebnem Gleise ging dein Tun und Tichten,
Da faßt dich furchtbar des Geschickes Waltung,
Das Angewohnte fällt, das alte, teure,
Du mußt hinüber in das Ungeheure!

Roberto steckt die Feder hinters Ohr,
Berufet zitternd seine Hausgenossen
Und steigt mit ihnen zum Gemach empor,
Von wo der böse Tau herabgeflossen;
Wohl schöbe jeder gern den andern vor,
Die Türe wird gewaltsam eingestoßen:
Dort liegt Herr Edmund blutig bei der Truhe,
Dort hält Herr Edmund tiefe Mittagsruhe.

Hat sich in einem Hause was geändert
Auf solche Weise, drob das Herz erschaudert,
Und kommt ein Freund des Hauses hergeschlendert,
Der sonst wohl manches Stündlein dort verplaudert:
Wie der erstaunt und, selbst noch unverändert,
Die Wohlbekannten zu erkennen zaudert!
Denn alle sind, wie man Lemuren schildert,
Verfärbt, entstellt, die Stimmen selbst verwildert.

So hätt es einer bei Roberto troffen,
Bis man sich mählich sammelt und bedenkt:
Kann man die Leiche wegzubringen hoffen?
Wird der Verdacht noch irgend abgelenkt?
Ein tiefer Brunnen steht im Keller offen,
Wohlan! dort wird der tote Leib versenkt.
Doch bleibt dem Hause Lust und Mut verdorben,
Als wäre der Gebieter selbst gestorben.

Gestorben nicht, doch auch nicht mehr lebendig!
Er hat ja keine Lust mehr an den Zahlen,
Er weiß noch kaum das Einmaleins auswendig,
Vergißt den Monatstag zu öftern Malen
Und stößt sich in den Rechnungen beständig,
Denn immer, wenn er sitzt ob den Journalen,
Ist’s ihm, als ob das Blut herniedertropfe
Und an der Türe schon der Häscher klopfe.

Geduld! die Sage rennt auf allen Pfaden,
Der König hört, daß man den Ritter misse,
Herr Edmund stand bei ihm in großen Gnaden,
Und mehr noch macht der Schmuck ihm Kümmernisse.
Zum Florentiner war der Mann geladen,
Dort ist es glaublich, daß man von ihm wisse.
Jetzt klopft es erst! der Richter mit den Bütteln,
Um alles auszustöbern, aufzurütteln!

Auch die Gewölbe werden nicht verschont
Und so durchstört vom Boden bis zur Decke,
Daß keine Ratz im Loche sicher wohnt
Und keine Fledermaus in ihrer Ecke.
Da denkt noch einer: „Ob sich’s wohl verlohnt,
Daß ich ein Windlicht in den Brunnen strecke?“
Und sieh! entsetzlich aus der feuchten Tiefe
Starrt eine Hand, als ob sie Rache riefe.

Nicht soll Medea ihre Kinder schlachten
Vor allem Volke, hat Horaz gelehrt,
Und seinen Ausspruch ziemt es uns zu achten,
Da er, Fortuna, deinen Ruhm gemehrt.
Drum, wenn wir Keckes auf die Bühne brachten,
So bleib uns doch das Äußerste verwehrt:
Wie man den Herrn aufhenkt zusamt den Knechten,
Weil sie den Mord verhehlt, nach Landesrechten.

Und euch, Zuschauer, die ihr müde seid
Der traurigen und fürchterlichen Dinge,
Zeig ich zum Troste, wie man herbes Leid
Und finsteres Entsetzen bald bezwinge,
Wenn ich ein junges Weib in schwarzem Kleid,
Kamillen, Edmunds Witwe, vor euch bringe.
Die Schöne, deren Trauerzeit noch dauert,
Hat doch im Herzen mählich ausgetrauert.

Erst fühlt sie ihre Zähren sanfter rinnen,
Gemäßigter ertönt ihr Weh und Ach,
Schon hört sie auf, sich feindlich einzuspinnen,
Sie läßt die Sonne schon in ihr Gemach,
Schon sieht sie wieder ihre Nachbarinnen
Und merkt es sich, was eine tröstend sprach.
Sie sprach: „O laßt Euch eine Witwe sagen,
Wie Ihr des toten Manns Euch könnt entschlagen!

Jetzt, da die Blütenköpfe wieder quellen
Und da der Kuckuck rufet, früh und spät,
Jetzt lasset Eure Bettstatt anders stellen,
Als sie noch seit des Sel’gen Tagen steht,
Und denkt an einen feinen Junggesellen,
Jedoch in Ehren, wenn Ihr schlafen geht!
Die Toten zu den Toten, mein ich eben,
Die Lebenden zu denen, die da leben!“

Kamilla drauf: „Gevatterin, beileibe!
Sollt ich vergessen meines liebsten Herrn?“
Doch als sie nun allein ist, kommt’s dem Weibe
Nicht aus dem Sinne, sie versucht‘ es gern.
Und wär es auch zum bloßen Zeitvertreibe,
Die Bettstatt soll vom alten Platze fern.
Doch als man rückt, was hat sich da gefunden?
Das Kästlein, das seit Edmunds Tod verschwunden.

Die Witwe wendet sich an zween geehrte
Verwandte, die ihr oft zu Rate waren,
Die Männer aber schütteln ihre Bärte:
„Was hilft es Euch, den teuren Schmuck bewahren?
Unmöglich ist es, daß man ihn verwerte,
In aller Welt hat man davon erfahren.
Viel besser ist’s, Ihr tragt ihn selbst zum Throne
Und harret, wie der König Euch belohne.“

Da schmücket sich Kamilla, wie es denen,
Die um den Gatten trauern, sich gebührt.
An ihre Wimpern hängt sie Witwentränen,
In Seufzer wird die schöne Brust geschnürt,
Und nichts versäumt sie, was an Magdalenen
Die Augen locket und die Herzen rührt.
Das Kästlein hüllet sie in ihre Flöre
Und meldet sich dem König zum Gehöre.

Als drauf der König an dem teuren Funde
Den Blick gesättigt, denket er im stillen:
„Die Pflicht erheischt, daß noch in dieser Stunde
Mein voller Dank sich zeige Frau Kamillen.
Um was nun trägt ihr Herz die tiefe Wunde,
Als um des jetzt gefundnen Schmuckes willen?
Drum ist es billig, daß aus diesem Schatze
Ein neues Glück ihr aufblüht zum Ersatze.“

Und mitten aus der unschätzbaren Habe
Entnimmt er einen Ring von hohem Preis:
„Empfangt, Kamilla, die geringe Gabe!
Doch nicht als meiner Dankbarkeit Beweis,
Nein! daß ich Euch von des Gemahles Grabe
Zurückezieh in meines Hofes Kreis.
Ihr aber werbet, meines Throns Vasallen,
Wer diesen Ring gewinne von euch allen!“

Nun steht ein Junker, blondgelockt und schlank,
Des Dienstes wartend, bei des Königs Stuhle.
Bevor noch Edmund in die Grube sank,
Hieß es, daß jener um Kamillen buhle
Und daß er Tag für Tag, nicht ohne Dank,
Sein Roß an ihrem Haus vorüberschule.
Der bittet jetzo, nicht umsonst, die Dame
Um ihren Ring, ein Tröster ihrem Grame.

Doch ihr, Demanten, königliche Spende,
Wohl mögt ihr eine reine Stirne schmücken,
Und ihr, der Perlen köstliche Gebände,
Ihr mögt um eine fromme Brust euch drücken,
Ihr aber, goldne Spangen, zieret Hände,
Die nichts denn wohltun, segnen und beglücken,
Daß ihr entsündigt werdet, Brautkleinode,
Die ihr befleckt seid mit vielfachem Tode!

Britanniens großer König sei gepriesen,
Wie er der frommen Witwen sich erbarme!
Noch eine soll den Tröster sich erkiesen,
Robertos Witwe Kordula, die Arme.
Obschon sich ihre Unschuld klar erwiesen,
Doch lebt sie samt den Waisen tief im Harme,
Denn als ihr Eheliebster hing am Galgen,
Da ließ man um sein Gut das Volk sich balgen.

Der König ruft sie, reichlich auszustatten
Gedenkt er sie, erscheinet nur ein Freier.
Zwar längern schon sich ihres Lebens Schatten,
Doch löst sie gerne noch den Witwenschleier.
Sie spricht von einem Diener ihres Gatten:
Zur Zeit des Mords verschickt gewesen sei er;
Er sei, unangesehen seiner Jugend,
Ein Musterbild der Frömmigkeit und Tugend.

Der König läßt den jungen Mann beschicken;
Nur denkt er, als er jenen sich beschaut:
„An dem ist wenig Tugend zu erblicken,
Er scheint mir eine leichte, lockre Haut.
Doch glaubt die Frau, an ihm sich zu erquicken,
So werde sie noch heut ihm angetraut!“ –
Wir aber wünschen: möge wohlgeraten
Die Ehe Kordulas mit – Fortunaten!

Der Vorhang fällt. Was wir euch aufgetischet,
Sagt, ist es nicht ein echtes Trauerspiel?
Zwar ist der ärgste Bösewicht entwischet,
Der Hehler des Verbrechens aber fiel,
Die Witwentränen hat man abgewischet,
Und alles kam an ein versöhnend Ziel.
Doch mag die Welt nun tadeln oder loben,
Schon hat Fortuna neues Spiel erhoben.


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Gedichte Zweites Buch - Uhland