Gedichte Das Buch von der Armut und vom Tode

(1903)

Vielleicht, daß ich durch schwere Berge gehe
In harten Adern, wie ein Erz allein;
Und bin so tief, daß ich kein Ende sehe
Und keine Ferne: alles wurde Nähe
Und alle Nähe wurde Stein.

Ich bin ja noch kein Wissender im Wehe, –
So macht mich dieses große Dunkel klein;
Bist Du es aber: mach dich schwer, brich ein:
Daß deine ganze Hand an mir geschehe
Und ich an dir mit meinem ganzen Schrein.

Du Berg, der blieb da die Gebirge kamen, –
Hang ohne Hütten, Gipfel ohne Namen,
Ewiger Schnee, in dem die Sterne lahmen,
Und Träger jener Tale der Cyclamen,
Aus denen aller Duft der Erde geht;
Du, aller Berge Mund und Minaret
(von dem noch nie der Abendruf erschallte):
Geh ich in dir jetzt? Bin ich im Basalte
Wie ein noch ungefundenes Metall?
Ehrfürchtig füll ich deine Felsenfalte,
Und deine Härte fühl ich überall.

Oder ist das die Angst, in der ich bin?
Die tiefe Angst der übergroßen Städte,
In die du mich gestellt hast bis ans Kinn?

O daß dir einer recht geredet hätte
Von ihres Wesens Wahn und Abersinn.
Du stündest auf, du Sturm aus Anbeginn,
Und triebest sie wie Hülsen vor dir hin…

Und willst du jetzt von mir: so rede recht, –
So bin ich nichtmehr Herr in meinem Munde,
Der nichts als zugehn will wie eine Wunde;
Und meine Hände halten sich wie Hunde
An meinen Seiten, jedem Ruf zu schlecht.

Du zwingst mich, Herr, zu einer fremden Stunde.

Mach mich zum Wächter deiner Weiten,
Mach mich zum Horchenden am Stein,
Gieb mir die Augen auszubreiten
Auf deiner Meere Einsamsein;
Laß mich der Flüsse Gang begleiten
Aus dem Geschrei zu beiden Seiten
Weit in den Klang der Nacht hinein.

Schick mich in deine leeren Länder,
Durch die die weiten Winde gehn,
Wo große Klöster wie Gewänder
Um ungelebte Leben stehn.
Dort will ich mich zu Pilgern halten,
Von ihren Stimmen und Gestalten
Durch keinen Trug mehr abgetrennt,
Und hinter einem blinden Alten
Des Weges gehn, den keiner kennt.

Denn, Herr, die großen Städte sind
Verlorene und aufgelöste;
Wie Flucht vor Flammen ist die größte, –
Und ist kein Trost, daß er sie tröste,
Und ihre kleine Zeit verrinnt.

Da leben Menschen, leben schlecht und schwer,
In tiefen Zimmern, bange von Gebärde,
Geängsteter denn eine Erstlingsherde;
Und draußen wacht und atmet deine Erde,
Sie aber sind und wissen es nicht mehr.
Da wachsen Kinder auf an Fensterstufen,
Die immer in demselben Schatten sind,
Und wissen nicht, daß draußen Blumen rufen
Zu einem Tag voll Weite, Glück und Wind, –
Und müssen Kind sein und sind traurig Kind.

Da blühen Jungfraun auf zum Unbekannten
Und sehnen sich nach ihrer Kindheit Ruh;
Das aber ist nicht da, wofür sie brannten,
Und zitternd schließen sie sich wieder zu.
Und haben in verhüllten Hinterzimmern
Die Tage der enttäuschten Mutterschaft,
Der langen Nächte willenloses Wimmern
Und kalte Jahre ohne Kampf und Kraft.
Und ganz im Dunkel stehn die Sterbebetten,
Und langsam sehnen sie sich dazu hin;
Und sterben lange, sterben wie in Ketten
Und gehen aus wie eine Bettlerin.

Da leben Menschen, weißerblühte, blasse,
Und sterben staunend an der schweren Welt.
Und keiner sieht die klaffende Grimasse,
Zu der das Lächeln einer zarten Rasse
In namenlosen Nächten sich entstellt.

Sie gehn umher, entwürdigt durch die Müh,
Sinnlosen Dingen ohne Mut zu dienen,
Und ihre Kleider werden welk an ihnen,
Und ihre schönen Hände altern früh.

Die Menge drängt und denkt nicht sie zu schonen,
Obwohl sie etwas zögernd sind und schwach, –
Nur scheue Hunde, welche nirgends wohnen,
Gehn ihnen leise eine Weile nach.

Sie sind gegeben unter hundert Quäler,
Und, angeschrien von jeder Stunde Schlag,
Kreisen sie einsam um die Hospitäler
Und warten angstvoll auf den Einlaßtag.

Dort ist der Tod. Nicht jener, dessen Grüße
Sie in der Kindheit wundersam gestreift, –
Der kleine Tod, wie man ihn dort begreift;
Ihr eigener hängt grün und ohne Süße
Wie eine Frucht in ihnen, die nicht reift.

O Herr, gieb jedem seinen eignen Tod.
Das Sterben, das aus jenem Leben geht,
Darin er Liebe hatte, Sinn und Not.

Denn wir sind nur die Schale und das Blatt.
Der große Tod, den jeder in sich hat,
Das ist die Frucht, um die sich alles dreht.

Um ihretwillen heben Mädchen an
Und kommen wie ein Baum aus einer Laute,
Und Knaben sehnen sich um sie zum Mann;
Und Frauen sind den Wachsenden Vertraute
Für Ängste, die sonst niemand nehmen kann.
Um ihretwillen bleibt das Angeschaute
Wie Ewiges, auch wenn es lang verrann, –
Und jeder, welcher bildete und baute,
Ward Welt um diese Frucht, und fror und taute
Und windete ihr zu und schien sie an.
In sie ist eingegangen alle Wärme
Der Herzen und der Hirne weißes Glühn -:
Doch deine Engel ziehn wie Vogelschwärme,
Und sie erfanden alle Fruchte grün.

Herr: Wir sind armer denn die armen Tiere,
Die ihres Todes enden, wennauch blind,
Weil wir noch alle ungestorben sind.
Den gieb uns, der die Wissenschaft gewinnt,
Das Leben aufzubinden in Spaliere,
Um welche zeitiger der Mai beginnt.

Denn dieses macht das Sterben fremd und schwer,
Daß es nicht unser Tot ist; einer der
Uns endlich nimmt, nur weil wir keinen reifen.
Drum geht ein Sturm, uns alle abzustreifen.

Wir stehn in deinem Garten Jahr und Jahr
Und sind die Raume, süßen Tod zu tragen;
Aber wir altern in den Erntetagen,
Und so wie Frauen, welche du geschlagen,
Sind wir verschlossen, schlecht und Unfruchtbar.

Oder ist meine Hoffahrt ungerecht:
Sind Bäume besser? Sind wir nur Geschlecht
Und Schooß von Frauen, welche viel gewähren? –
Wir haben mit der Ewigkeit gehurt,
Und wenn das Kreißbett da ist, so gebären
Wir unsres Todes tote Fehlgeburt;
Den krummen, kummervollen Embryo,
Der sich (als ob ihn Schreckliches erschreckte)
Die Augenkeime mit den Händen deckte
Und dem schon auf der ausgebauten Stirne
Die Angst von allem steht, was er nicht litt, –
Und alle schließen so wie eine Dirne
In Kindbettkrämpfen und am Kaiserschnitt.

Mach Einen herrlich, Herr, mach Einen groß,
Bau seinem Leben einen schönen Schooß,
Und seine Scham errichte wie ein Tor
In einem blonden Wald von jungen Haaren,
Und ziehe durch das Glied des Unsagbaren
Den Reisigen, den weißen Heeresscharen,
Den tausend Samen, die sich sammeln, vor.

Und eine Nacht gieb, daß der Mensch empfinge
Was keines Menschen Tiefen noch betrat;
Gieb eine Nacht da blühen alle Dinge,
Und mach sie duftender als die Syringe
Und wiegender denn deines Windes Schwinge
Und jubelnder als Josaphat.

Und gieb ihm eines langen Tragens Zeit
Und mach ihn weit in wachsenden Gewändern,
Und schenk ihm eines Sternes Einsamkeit,
Daß keines Auges Staunen ihn beschreit,
Wenn seine Züge schmelzend sich verändern.

Erneue ihn mit einer reinen Speise,
Mit Tau, mit ungetötetem Gericht,
Mit jenem Leben, das wie Andacht leise
Und warm wie Atem aus den Feldern bricht.

Mach, daß er seine Kindheit wieder weiß;
Das Unbewußte und das Wunderbare
Und seiner ahnungsvollen Anfangsjahre
Unendlich dunkelreichen Sagenkreis.

Und also heiß ihn seiner Stunde warten,
Da er den Tod gebären wird, den Herrn:
Allein und rauschend wie ein großer Garten,
Und ein Versammelter aus fern.

Das letzte Zeichen laß an uns geschehen,
Erscheine in der Krone deiner Kraft,
Und gieb uns jetzt (nach aller Weiber Wehen)
Des Menschen ernste Mutterschaft.
Erfülle, du gewaltiger Gewährer,
Nicht jenen Traum der Gottgebärerin, –
Richt auf den Wichtigen: den Tod-Gebärer,
Und führ uns mitten durch die Hände derer,
Die ihn verfolgen werden, zu ihm hin.
Denn sieh, ich sehe seine Widersacher,
Und sie sind mehr als Lügen in der Zeit, –
Und er wird aufstehn in dem Land der Lacher
Und wird ein Träumer heißen: denn ein Wacher
Ist immer Träumer unter Trunkenheit.

Du aber gründe ihn in deine Gnade,
In deinem alten Glanze pflanz ihn ein;
Und mich laß Tänzer dieser Bundeslade,
Laß mich den Mund der neuen Messiade,
Den Tönenden, den Täufer sein.

Ich will ihn preisen. Wie vor einem Heere
Die Hörner gehen, will ich gehn und schrein.
Mein Blut soll lauter rauschen denn die Meere,
Mein Wort soll süß sein, daß man sein begehre,
Und doch nicht irre machen wie der Wein.

Und in den Frühlingsnächten, wenn nicht viele
Geblieben sind um meine Lagerstatt,
Dann will ich blühn in meinem Saitenspiele
So leise wie die nördlichen Aprile,
Die spät und ängstlich sind um jedes Blatt.

Denn meine Stimme wuchs nach zweien Seiten
Und ist ein Duften worden und ein Schrein:
Die eine will den Fernen vorbereiten,
Die andere muß meiner Einsamkeiten
Gesicht und Seligkeit und Engel sein.

Und gieb, daß beide Stimmen mich begleiten,
Streust du mich wieder aus in Stadt und Angst.
Mit ihnen will ich sein im Zorn der Zeiten,
Und dir aus meinem Klang ein Bett bereiten
An jeder Stelle, wo du es verlangst.
Die großen Städte sind nicht wahr; sie täuschen
Den Tag, die Nacht, die Tiere und das Kind;
Ihr Schweigen lügt, sie lügen mit Geräuschen
Und mit den Dingen, welche willig sind.

Nichts von dem weiten wirklichen Geschehen,
Das sich um dich, du Werdender, bewegt,
Geschieht in ihnen. Deiner Winde Wehen
Fällt in die Gassen, die es anders drehen,
Ihr Rauschen wird im Hin – und Wiedergehen
Verwirrt, gereizt und aufgeregt.

Sie kommen auch zu Beeten und Alleen -:

Denn Gärten sind, – von Königen gebaut,
Die eine kleine Zeit sich drin vergnügten
Mit jungen Frauen, welche Blumen fügten
Zu ihres Lachens wunderlichem Laut.
Sie hielten diese müden Parke wach;
Sie flüsterten wie Lüfte in den Büschen,
Sie leuchteten in Pelzen und in Plüschen,
Und ihrer Morgenkleider Seidenrüschen
Erklangen auf dem Kiesweg wie ein Bach.

Jetzt gehen ihnen alle Gärten nach –
Und fügen still und ohne Augenmerk
Sich in des fremden Frühlings helle Gammen
Und brennen langsam mit des Herbstes Flammen
Auf ihrer Äste großem Rost zusammen,
Der kunstvoll wie aus tausend Monogrammen
Geschmiedet scheint zu schwarzem Gitterwerk.

Und durch die Gärten blendet der Palast
(wie blasser Himmel mit verwischtem Lichte),
In seiner Säle welke Bilderlast
Versunken wie in innere Gesichte,
Fremd jedem Feste, willig zum Verzichte
Und schweigsam und geduldig wie ein Gast.

Dann sah ich auch Paläste, welche leben;
Sie brüsten sich den schönen Vögeln gleich,
Die eine schlechte Stimme von sich geben.
Viele sind reich und wollen sich erheben, –
Aber die Reichen sind nicht reich.

Nicht wie die Herren deiner Hirtenvölker,
Der klaren, grünen Ebenen Bewölker
Wenn sie mit schummerigem Schafgewimmel
Darüber zogen wie ein Morgenhimmel.
Und wenn sie lagerten und die Befehle
Verklungen waren in der neuen Nacht,
Dann wars, als sei jetzt eine andre Seele
In ihrem flachen Wanderland erwacht -:
Die dunklen Höhenzüge der Kamele
Umgaben es mit der Gebirge Pracht.

Und der Geruch der Rinderherden lag
Dem Zuge nach bis in den zehnten Tag,
War warm und schwer und wich dem Wind nicht aus.
Und wie in einem hellen Hochzeitshaus
Die ganze Nacht die reichen Weine rinnen:
So kam die Milch aus ihren Eselinnen.

Und nicht wie jene Scheichs der Wüstenstämme,
Die nächtens auf verwelktem Teppich ruhten,
Aber Rubinen ihren Lieblingsstuten
Einsetzen ließen in die Silberkämme.

Und nicht wie jene Fürsten, die des Golds
Nicht achteten, das keinen Duft erfand,
Und deren stolzes Leben sich verband
Mit Ambra, Mandelöl und Sandelholz.

Nicht wie des Ostens weißer Gossudar,
Dem Reiche eines Gottes Recht erwiesen;
Er aber lag mit abgehärmtem Haar,
Die alte Stirne auf des Fußes Fliesen,
Und weinte, – weil aus allen Paradiesen
Nicht eine Stunde seine war.
Nicht wie die Ersten alter Handelshäfen,
Die sorgten, wie sie ihre Wirklichkeit
Mit Bildern ohnegleichen überträfen
Und ihre Bilder wieder mit der Zeit;
Und die in ihres goldnen Mantels Stadt
Zusammgefaltet waren wie ein Blatt,
Nur leise atmend mit den weißen Schläfen…

Das waren Reiche, die das Leben zwangen
Unendlich weit zu sein und schwer und warm.
Aber der Reichen Tage sind vergangen,
Und keiner wird sie dir zurückverlangen,
Nur mach die Armen endlich wieder arm.

Sie sind es nicht. Sie sind nur die Nicht-Reichen,
Die ohne Willen sind und ohne Welt;
Gezeichnet mit der letzten Ängste Zeichen
Und überall entblättert und entstellt.

Zu ihnen drängt sich aller Staub der Städte,
Und aller Unrat hängt sich an sie an.
Sie sind verrufen wie ein Blatternbette,
Wie Scherben fortgeworfen, wie Skelette,
Wie ein Kalender, dessen Jahr verrann, –
Und doch: wenn deine Erde Nöte hätte:
Sie reihte sie an eine Rosenkette
Und trüge sie wie einen Talisman.

Denn sie sind reiner als die reinen Steine
Und wie das blinde Tier, das erst beginnt,
Und voller Einfalt und unendlich Deine
Und wollen nichts und brauchen nur das Eine
So arm sein dürfen, wie sie wirklich sind.

Denn Armut ist ein großer Glanz aus Innen…

Du bist der Arme, du der Mittellose,
Du bist der Stein, der keine Stätte hat,
Du bist der fortgeworfene Leprose,
Der mit der Klapper umgeht vor der Stadt.

Denn dein ist nichts, so wenig wie des Windes,
Und deine Blöße kaum bedeckt der Ruhm;
Das Alltagskleidchen eines Waisenkindes
Ist herrlicher und wie ein Eigentum.

Du bist so arm wie eines Keimes Kraft
In einem Mädchen, das es gern verbürge
Und sich die Lenden preßt, daß sie erwürge
Das erste Atmen ihrer Schwangerschaft.
Und du bist arm: so wie der Frühlingsregen,
Der selig auf der Städte Dächer fällt,
Und wie ein Wunsch, wenn Sträflinge ihn hegen
In einer Zelle, ewig ohne Welt.
Und wie die Kranken, die sich anders legen
Und glücklich sind; wie Blumen in Geleisen
So traurig arm im irren Wind der Reisen;
Und wie die Hand, in die man weint, so arm…

Und was sind Vögel gegen dich, die frieren,
Was ist ein Hund, der tagelang nicht fraß,
Und was ist gegen dich das Sichverlieren,
Das stille lange Traurigsein von Tieren,
Die man als Eingefangene vergaß?

Und alle Armen in den Nachtasylen,
Was sind sie gegen dich und deine Not?
Sie sind nur kleine Steine, keine Mühlen,
Aber sie mahlen doch ein wenig Brot.

Du aber bist der tiefste Mittellose,
Der Bettler mit verborgenem Gesicht;
Du bist der Armut große Rose,
Die ewige Metamorphose
Des Goldes in das Sonnenlicht.

Du bist der leise Heimatlose,
Der nichtmehr einging in die Welt:
Zu groß und schwer zu jeglichem Bedarfe.
Du heulst im Sturm. Du bist wie eine Harfe,
An welcher jeder Spielende zerschellt.

Du, der du weißt, und dessen weites Wissen
Aus Armut ist und Armutsüberfluß:
Mach, daß die Armen nichtmehr fortgeschmissen
Und eingetreten werden in Verdruß.
Die andern Menschen sind wie ausgerissen;
Sie aber stehn wie eine Blumen-Art
Aus Wurzeln auf und duften wie Melissen
Und ihre Blätter sind gezackt und zart.

Betrachte sie und sieh, was ihnen gliche:
Sie rühren sich wie in den Wind gestellt
Und ruhen aus wie etwas, was man hält.
In ihren Augen ist das feierliche
Verdunkeltwerden lichter Wiesenstriche,
Auf die ein rascher Sommerregen fällt.

Sie sind so still; fast gleichen sie den Dingen.
Und wenn man sich sie in die Stube lädt,
Sind sie wie Freunde, die sich wiederbringen,
Und gehn verloren unter dem Geringen
Und dunkeln wie ein ruhiges Gerät.

Sie sind wie Wächter bei verhängten Schätzen,
Die sie bewahren, aber selbst nicht sahn, –
Getragen von den Tiefen wie ein Kahn,
Und wie das Leinen auf den Bleicheplätzen
So ausgebreitet und so aufgetan.

Und sieh, wie ihrer Füße Leben geht:
Wie das der Tiere, hundertfach verschlungen
Mit jedem Wege; voll Erinnerungen
An Stein und Schnee und an die leichten, jungen
Gekühlten Wiesen, über die es weht.

Sie haben Leid von jenem großen Leide,
Aus dem der Mensch zu kleinem Kummer fiel;
Des Grases Balsam und der Steine Schneide
Ist ihnen Schicksal, – und sie lieben beide
Und gehen wie auf deiner Augen Weide
Und so wie Hände gehn im Saitenspiel.

Und ihre Hände sind wie die von Frauen,
Und irgendeiner Mutterschaft gemäß;
So heiter wie die Vögel wenn sie bauen, –
Im Fassen warm und ruhig im Vertrauen,
Und anzufühlen wie ein Trinkgefäß.

Ihr Mund ist wie der Mund an einer Büste,
Der nie erklang und atmete und küßte
Und doch aus einem Leben das verging
Das alles, weise eingeformt, empfing
Und sich nun wölbt, als ob er alles wüßte –
Und doch nur Gleichnis ist und Stein und Ding…

Und ihre Stimme kommt von ferneher
Und ist vor Sonnenaufgang aufgebrochen,
Und war in großen Wäldern, geht seit Wochen,
Und hat im Schlaf mit Daniel gesprochen
Und hat das Meer gesehn, und sagt vom Meer.

Und wenn sie schlafen, sind sie wie an alles
Zurückgegeben was sie leise leiht,
Und weit verteilt wie Brot in Hungersnöten
An Mitternächte und an Morgenröten,
Und sind wie Regen voll des Niederfalles
In eines Dunkels junge Fruchtbarkeit.

Dann bleibt nicht eine Narbe ihres Namens
Auf ihrem Leib zurück, der keimbereit
Sich bettet wie der Samen jenes Samens,
Aus dem du stammen wirst von Ewigkeit.

Und sieh: ihr Leib ist wie ein Bräutigam
Und fließt im Liegen hin gleich einem Bache,
Und lebt so schön wie eine schöne Sache,
So leidenschaftlich und so wundersam.
In seiner Schlankheit sammelt sich das Schwache,
Das Bange, das aus vielen Frauen kam;
Doch sein Geschlecht ist stark und wie ein Drache
Und wartet schlafend in dem Tal der Scham.

Denn sieh: sie werden leben und sich mehren
Und nicht bezwungen werden von der Zeit,
Und werden wachsen wie des Waldes Beeren
Den Boden bergend unter Süßigkeit.

Denn selig sind, die niemals sich entfernten
Und still im Regen standen ohne Dach;
Zu ihnen werden kommen alle Ernten,
Und ihre Frucht wird voll sein tausendfach.

Sie werden dauern über jedes Ende
Und über Reiche, deren Sinn verrinnt,
Und werden sich wie ausgeruhte Hände
Erheben, wenn die Hände aller Stände
Und aller Völker müde sind.

Nur nimm sie wieder aus der Städte Schuld,
Wo ihnen alles Zorn ist und verworren
Und wo sie in den Tagen aus Tumult
Verdorren mit verwundeter Geduld.

Hat denn für sie die Erde keinen Raum?
Wen sucht der Wind? Wer trinkt des Baches Helle?
Ist in der Teiche tiefem Ufertraum
Kein Spiegelbild mehr frei für Tür und Schwelle?
Sie brauchen ja nur eine kleine Stelle,
Auf der sie alles haben wie ein Baum.

Des Armen Haus ist wie ein Altarschrein.

Drin wandelt sich das Ewige zur Speise,
Und wenn der Abend kommt, so kehrt es leise
Zu sich zurück in einem weiten Kreise
Und geht voll Nachklang langsam in sich ein.

Des Armen Haus ist wie ein Altarschrein.

Des Armen Haus ist wie des Kindes Hand.
Sie nimmt nicht, was Erwachsene verlangen;
Nur einen Käfer mit verzierten Zangen,
Den runden Stein, der durch den Bach gegangen,
Den Sand, der rann, und Muscheln, welche klangen;
Sie ist wie eine Waage aufgehangen
Und sagt das allerleiseste Empfangen
Langschwankend an mit ihrer Schalen Stand.

Des Armen Haus ist wie des Kindes Hand.

Und wie die Erde ist des Armen Haus:
Der Splitter eines künftigen Kristalles,
Bald licht, bald dunkel in der Flucht des Falles;
Arm wie die warme Armut eines Stalles, –
Und doch sind Abende: da ist sie alles,
Und alle Sterne gehen von ihr aus.

Die Städte aber wollen nur das Ihre
Und reißen alles mit in ihren Lauf.
Wie hohles Holz zerbrechen sie die Tiere
Und brauchen viele Völker brennend auf.

Und ihre Menschen dienen in Kulturen
Und fallen tief aus Gleichgewicht und Maß,
Und nennen Fortschritt ihre Schneckenspuren
Und fahren rascher, wo sie langsam fuhren,
Und fühlen sich und funkeln wie die Huren
Und lärmen lauter mit Metall und Glas.

Es ist, als ob ein Trug sie täglich äffte,
Sie können gar nicht mehr sie selber sein;
Das Geld wächst an, hat alle ihre Kräfte
Und ist wie Ostwind groß, und sie sind klein
Und ausgeholt und warten, daß der Wein
Und alles Gift der Tier – und Menschensäfte
Sie reize zu vergänglichem Geschäfte.

Und deine Armen leiden unter diesen
Und sind von allem, was sie schauen, schwer
Und glühen frierend wie in Fieberkrisen
Und gehn, aus jeder Wohnung ausgewiesen,
Wie fremde Tote in der Nacht umher;
Und sind beladen mit dem ganzen Schmutze,
Und wie in Sonne Faulendes bespien, –
Von jedem Zufall, von der Dirnen Putze,
Von Wagen und Laternen angeschrien.

Und giebt es einen Mund zu ihrem Schutze,
So mach ihn mündig und bewege ihn.

O wo ist der, der aus Besitz und Zeit
Zu seiner großen Armut so erstarkte,
Daß er die Kleider abtat auf dem Markte
Und bar einherging vor des Bischofs Kleid.
Der Innigste und Liebendste von allen,
Der kam und lebte wie ein junges Jahr;
Der braune Bruder deiner Nachtigallen,
In dem ein Wundern und ein Wohlgefallen
Und ein Entzücken an der Erde war.

Denn er war keiner von den immer Müdern,
Die freudeloser werden nach und nach,
Mit kleinen Blumen wie mit kleinen Brüdern
Ging er den Wiesenrand entlang und sprach.
Und sprach von sich und wie er sich verwende
So daß es allem eine Freude sei;
Und seines hellen Herzens war kein Ende,
Und kein Geringes ging daran vorbei.

Er kam aus Licht zu immer tieferm Lichte,
Und seine Zelle stand in Heiterkeit.
Das Lächeln wuchs auf seinem Angesichte
Und hatte seine Kindheit und Geschichte
Und wurde reif wie eine Mädchenzeit.

Und wenn er sang, so kehrte selbst das Gestern
Und das Vergessene zurück und kam;
Und eine Stille wurde in den Nestern,
Und nur die Herzen schrieen in den Schwestern,
Die er berührte wie ein Bräutigam.
Dann aber lösten seines Liedes Pollen
Sich leise los aus seinem roten Mund
Und trieben träumend zu den Liebevollen
Und fielen in die offenen Corollen
Und sanken langsam auf den Blütengrund.

Und sie empfingen ihn, den Makellosen,
In ihrem Leib, der ihre Seele war.
Und ihre Augen schlossen sich wie Rosen,
Und voller Liebesnächte war ihr Haar.

Und ihn empfing das Große und Geringe.
Zu vielen Tieren kamen Cherubim
Zu sagen, daß ihr Weibchen Früchte bringe, –
Und waren wunderschöne Schmetterlinge:
Denn ihn erkannten alle Dinge
Und hatten Fruchtbarkeit aus ihm.

Und als er starb, so leicht wie ohne Namen,
Da war er ausgeteilt: sein Samen rann
In Bächen, in den Bäumen sang sein Samen
Und sah ihn ruhig aus den Blumen an.
Er lag und sang. Und als die Schwestern kamen,
Da weinten sie um ihren lieben Mann.

O wo ist er, der Klare, hingeklungen?
Was fühlen ihn, den Jubelnden und Jungen,
Die Armen, welche harren, nicht von fern?

Was steigt er nicht in ihre Dämmerungen –
Der Armut großer Abendstern.


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Gedichte Das Buch von der Armut und vom Tode - Rilke