Gedichte Schwärmerei

Freunde! Freunde! wenn er heute käme,
Heute mich aus unserm Bunde nähme,
Jener letzte große Augenblick –
Wann der frohe Puls so plötzlich stünde
Und verworren Freundesstimme tönte
Und, ein Nebel, mich umschwebte Erdenglück.

Ha! so plötzlich Lebewohl zu sagen
All den lieben schöndurchlebten Tagen –
Doch – ich glaube – nein! ich bebte nicht!
„Freunde! spräch ich, dort auf jenen Höhen
Werden wir uns alle wiedersehen,
Freunde! wo ein schönrer Tag die Wolken bricht.

Aber Stella! fern ist deine Hütte,
Nahe rauschen schon des Würgers Tritte –
Stella! meine Stella! weine nicht!
Nur noch einmal möcht ich sie umarmen,
Sterben dann in meiner Stella Armen,
Eile, Stella! eile, eh das Auge bricht.

Aber ferne, ferne deine Hütte,
Nahe rauschen schon des Würgers Tritte –
Freunde! bringet meine Lieder ihr.
Lieber Gott! ein großer Mann zu werden,
War so oft mein Wunsch, mein Traum auf Erden,
Aber – Brüder – größre Rollen winken mir.

Traurt ihr, Brüder! daß so weggeschwunden
All der Zukunft schöngeträumte Stunden,
Alle, alle meine Hoffnungen!
Daß die Erde meinen Leichnam decket,
Eh ich mir ein Denkmal aufgestecket,
Und der Enkel nimmer denkt des Schlummernden.

Daß er kalt an meinem Leichensteine
Stehet, und des Modernden Gebeine
Keines Jünglings stiller Segen grüßt,
Daß auf meines Grabes Rosenhecken
Auf den Lilien, die den Moder decken,
Keines Mädchens herzergoßne Träne fließt.

Daß von Männern, die vorüberwallen,
Nicht die Worte in die Gruft erschallen:
Jüngling! du entschlummertest zu früh
Daß den Kleinen keine Silbergreise
Sagen an dem Ziel der Lebensreise:
Kinder! mein und jenes Grab vergesset nie!

Daß sie mir so grausam weggeschwunden,
All der Zukunft langersehnte Stunden,
All der frohen Hoffnung Seligkeit,
Daß die schönste Träume dieser Erden
Hin sind, ewig niemals wahr zu werden,
Hin die Träume von Unsterblichkeit.

Aber weg! in diesem toten Herzen
Bluten meiner armen Stella Schmerzen,
Folge! folge mir, Verlassene!
Wie du starr an meinem Grabe stehest
Und um Tod, um Tod zum Himmel flehest!
Stella! komm! es harret dein der Schlummernde.

O an deiner Seite! o so ende,
Jammerstand! vielleicht, daß unsre Hände
Die Verwesung ineinander legt!
Da wo keine schwarze Neider spähen,
Da wo keine Splitterrichter schmähen,
Träumen wir vielleicht, bis die Posaun uns weckt.

Sprechen wird an unserm Leichensteine
Dann der Jüngling: Schlummernde Gebeine!
Liebe Tote! schön war euer Los!
Hand in Hand entfloht ihr eurem Kummer,
Heilig ist der Langverfolgten Schlummer
In der kühlen Erde mütterlichem Schoß.

Und mit Lilien und mit Rosenhecken
Wird das Mädchen unsern Hügel decken,
Ahndungsvoll an unsern Gräbern stehn,
Zu den Schlummernden hinab sich denken,
Mit gefaltnen Händen niedersinken,
Und um dieser Toten Los zum Himmel flehn.

Und von Vätern, die vorüberwallen,
Wird der Segen über uns erschallen:
Ruhet wohl! ihr seid der Ruhe wert!
Gott! wie mags im Tod den Vätern bangen,
Die ein Kind in Quälerhände zwangen,
Ruhet wohl! ihr habt uns Zärtlichkeit gelehrt.“


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Gedichte Schwärmerei - Hölderlin