Und eine Krone ist gefallen von dem Haupte eines Königs!
Und ein Schwert ist gebrochen in der Hand eines Feldherrn! Und ein hoher Priester ist gestorben!
Ludwig Börne
1.
Dir ward das Köstlichste verliehen
In dieser Tage Sturm und Drang:
Ein Sinn für ewge Harmonieen
Und eine Seele voll Gesang.
Dem Jüngling lauscht, es lauscht dem Greise
Das deutsche Volk allüberall,
Und lieblich klingt die süsse Weise:
Dein Herz ist seine Nachtigall!
Denn wer verstand wie Du das Wesen
Der deutschen Sehnsucht und ihr Leid?
Zu ihrem Herold auserlesen,
Warst Du das Echo Deiner Zeit!
In dämmerschwülen Tagen sangst Du
Dein: Wache auf! dem deutschen Reich
Und nach dem Sieg von Sedan schlangst Du
Das Oelblatt in den Lorbeerzweig.
Doch nicht der Zeit nur und ihr Wüthen
Hat Dir das Harfenspiel bewegt,
Die duftigsten der Liederblüthen
Dein eignes Herz hat sie gehegt.
Doch was es immer auch erfahren,
Stets blieb Dir heilig Deine Kunst,
Und eingedenk des Ewig-Wahren,
Verschmähtest Du des Pöbels Gunst!
Dem Herrn befahlst Du Deine Wege
Und übtest fromm Dein frommes Amt,
Dem Lenz gleich, der das Dorngehege
Mit rothen Rosen überflammt.
Denn alles, was mit seiner Schöne
Das Herz erquickt in Wald und Flur,
Du gabst ihm Worte, gabst ihm Töne,
Ein Hoherpriester der Natur!
Und jetzt in einer Zeit der Gährung,
Der schon das Blut zu Eis gerinnt,
Weil sie in eitler Selbstverklärung
Den Thurmbau Babels neu beginnt:
Wer schickt sie aus, die Friedenstaube,
Wer bricht das Brot und trinkt den Wein?
Du bist es, Du, Du und Dein Glaube,
Dein Glaube an ein Gottessein!
Wohl tanzt noch immer die Verblendung
Wie ehmals um das goldne Kalb,
Doch naht die Zeit schon der Vollendung
Und weichen wird von uns der Alp.
Denn nicht umsonst hast Du gerungen,
Wie Du gekämpft, hast Du gesiegt:
Von Sphärenharmonie umklungen,
Ein Aar, der in die Sonne fliegt.
Schon steht die Kunst nicht mehr am Pranger,
Schon winkt aufs Neu ihr Bahn auf Bahn,
Und unsre Zeit sieht zukunftsschwanger
Das kommende Jahrhundert nahn.
Drin werden tausend Blüthen blinken
In neuer Glorie neuem Schein,
Und mag die Frucht auch andern winken,
Die Saat, die goldne Saat ist Dein!
O alte Zeit, o altes Lieben,
Euch schleift kein Stahl, kein Diamant!
Was so vor Jahren ich geschrieben,
Heut nahm ich’s wiederum zur Hand.
Und wieder sprang mit jedem Schlage
Mein Herzblut an zu schnellerm Lauf,
Und eingedenk verschollner Tage,
Schlug ich die Juniuslieder auf.
Ferndraussen schwebte durch die Lüfte,
Der erste Sonntag im April,
Durchs Zimmer flog’s wie Veilchendüfte
Und heimlich war’s und kirchenstill.
Vom Thurm nur läuteten die Glocken
Den Winter in sein Wittwerbett,
Und frühverwehte Blüthenflocken
Warf mir der Lenz aufs Fensterbrett.
Ich aber sass und las sie wieder –
O Gott, mir war das Herz so schwer!
Ich las die alten, goldnen Lieder:
Das Heimweh und die Nacht am Meer.
Im Mondschein schritt ich weltvergessen
Hinunter und hinauf den Strand,
Und sacht umrauschten die Cypressen
Das Inselmeer von Griechenland.
Des Südens Sterne sah ich scheinen,
Doch fühlt ich nicht des Südens Lust,
Der Liebe langverhaltnes Weinen
Rang schluchzend sich aus meiner Brust.
Als müsst es wonnig sich verbluten,
Vor Sehnsucht ward das Herz mir weit,
Und durch mein Sinnen liess ich fluthen
Das Heimweh nach der Ewigkeit.
Und wieder dacht ich dann begeistert
Des Sängers, der dies Lied einst sang,
Der eine Welt mit ihm bemeistert
Und Zeit und Raum mit ihm bezwang.
Sass er jetzt auch in sich versunken,
Ein Liederbuch auf seinen Knien,
Und lauschte lenz – und wohllauttrunken
Dem Glockenspiel von St. Marien?
Er, der Brunhilde, die Walkyre,
Aus Island rief an unsern Rhein…
Da horch, ein Klopfen an der Thüre
Und laut erschallte mein Herein!
Und eilvoll trat zu mir ins Zimmer
Mein Freund, der mir die Rechte bot;
Schon seines Auges feuchter Schimmer
Sprach, eh’s sein Mund sprach: Er ist todt!
Er starb, noch eh die Morgenröthe,
Eh sich die Nacht ins Auge sahn;
Mit Uhland, Schiller und mit Goethe
Wallt nun auch Geibel seine Bahn.
Die Stirn vom Lorbeer sanft umfächelt,
Mit seinem Herrn ist er vereint;
Sein bleiches Antlitz liegt und lächelt,
Die ewge Liebe aber weint. –
O wehmuthweiche Trauerkunde,
Wie schlugst du schmerzlich an mein Ohr;
Mir war’s, als ob ich jäh zur Stunde
Ein Stück von meinem Selbst verlor!
Der Tod, der bleiche Allvernichter,
Blies mir ins Herz die Melodie:
O, nun ist todt der letzte Dichter
Und mit ihm auch die Poesie!
Kein armes Wörtchen könnt ich stammeln,
Ein Schauer war’s, der mich beschlich,
Erst mählich wusst ich mich zu sammeln,
Der Bann, der mich umfangen, wich.
Der Muse Flügel hört ich schlagen
Und all mein Wesen war entflammt:
Halt ein, rief ich, mein Freund, mit Klagen,
Nun feiern wir sein Todtenamt!
Und sacht hiess ich ihn niedersitzen,
Ich aber wandte mich geschwind,
Der blanken Lederbände Blitzen
Zog magisch mich ans Bücherspind.
Durchs Fenster fielen Sonnenstäubchen
Und bauten einen goldnen Steig
Und draussen wiegte sich ein Täubchen
Auf windbewegtem Fliederzweig.
Ich aber las schnell längs den Brettern
Die bunten Titel Band für Band,
Bis endlich mit vergilbten Lettern
Ich ein verstaubtes Büchlein fand.
Gepresst lag eine Schlehdornblüthe
Drin als ein Pfand verjährter Lust;
Ich schlug es auf, mein Antlitz glühte,
Und klangvoll brach’s aus meiner Brust:
„Es ist ein hoher Baum gefallen,
Ein Baum im deutschen Dichterwald,
Ein Sänger schied, getreu vor allen,
Von denen deutsches Lied erschallt.
Wie stand mit seinem keuschen Psalter
Im jüngern Schwarm er stolz und schlicht;
Ein Meister und ein Held wie Walther
Und rein sein Schild, wie sein Gedicht!“
Ein gluthgeborstner Feuerofen,
In lohen Flammen stand mein Herz;
Rollt doch ein Klang durch diese Strophen,
Ein Klang wie von korinthisch Erz!
Und weiter, immer weiter las ich
Des todten Dichters eignes Lied;
Dass er’s einst Uhland sang, vergass ich
Und wusste Eins nur noch: Er schied!
„Er schied, es bleibt sein Mund geschlossen
Im Wort so karg, im Lied so klar:
Der Mund, draus nie ein Wort geflossen,
Das seines Volks nicht würdig war
Er schied: doch waltet sein Gedächtniss
Unsterblich fruchtend um uns her,
Das ist an uns sein gross Vermächtniss:
So treu und deutsch zu sein, wie er!“
Ich schwieg, der Lenz hielt draussen Feier
Und unsre Herzen schlugen drein,
Und leuchtend über Wald und Weiher
Sein Goldnetz wob der Sonnenschein.
Verwehte Frühlingsdüfte kamen
Von fernher über Fluss und Ried,
Und wie ein feierliches Amen
Klang hoch im Blau ein Lerchenlied.
2.
Und wieder hieb,
Taub für den Wahnwunsch,
Den tausendfältigen
Ihres Geschlechts,
Unbarmherzig
Mit eherner Schneide
Die Zeit in ihr Kerbholz:
Wieder ein Tag!
Und wieder nun wandelt,
Fröhlich wie immer,
Singend der Abend
Durch das Goldthor des Westens
Den hängenden Gärten
Der sinkenden Sonne zu
Und leis verhauchen,
Vor Wehmuth zitternd,
Ihr tönendes Leben
Ins Spätroth die Glocken,
Die Trauerglocken
Zu Lübeck, der Stadt.
Und immer stiller
Wird es und stiller –
Und immer dunkler!
Längst ist zerstoben
In alle vier Winde
Des todten Dichters
Letztes Geleit.
Nur hie und da noch
Am Brunn auf dem Marktplatz,
Oder im Winkel
Der dämmrigen Gasse,
Mit verschränkten Armen
Gelehnt an die Hausthür,
Erzählt vertraulich
Der Nachbar dem Nachbarn,
Aus braunem Meerschaum
Bläuliche Wölkchen
Ins Zwielicht blasend:
Wie auch er,
Schon am frühen Morgen,
Den wuchtigen Hammer
Bei Seite gelegt
Und staubüberdeckt
Den blauen Werkeltagskittel
Vertauscht mit dem schwarzen,
Wohlgebürsteten Sonntagsrock.
Wie er, begleitet
Von seinem Vetter,
Dem Fabrikanten,
Drauf gravitätisch
In modischem Aufputz
Dem Zuge gefolgt sei;
Und wie auch er dann
Von seinem Gönner,
Dem Herrn Senator,
Die Gunst sich erwirkt
Und dem grossen Todten,
Dem Ehrenbürger
Der freien Vaterstadt,
Feuchten Blicks
Eine Hand voll Erde
Ins Grab geworfen.
Und immer dunkler
Wird es und dunkler –
Und immer stiller!
Das bleiche Antlitz
Von Schleiern umhangen,
Von Haus zu Haus
Wandelt die Nacht.
In Erkern und Giebeln
Blitzt es von Lichtern auf
Und leuchtende Streifen
Fallen wie Gold
Durch die Scheiben der Fenster
Weit auf die Gasse.
Kaum, dass ein Wandrer,
Der nachtverspätet
Den Heimweg sucht,
Sie quer durchschneidet.
Aber droben im traulichen Zimmer
Am warmen Kamin,
Umringt von den Kindern,
Sitzt die Hausfrau;
Und auf den Schooss
Hebt sie ihr jüngstes,
Blondes Töchterchen,
Die kleine Ada;
Und hochaufhorchend
Vernehmen die Mäuschen,
Dass der alte Mann
Mit dem weissen Schneebart,
Den sie erst gestern noch,
Umduftet von bunten,
Zaubrischen Blumen,
In einem schmalen,
Glasüberdeckten,
Schwarzen Kasten
Bleich und reglos
Liegen gesehn,
Ein König gewesen,
Dessen Reich
So schrecklich gross war,
Dass drin die Sonne
Nie untergegangen.
Und wie die Mutter
Den kauernden Kindern
Dann weiter erzählt,
Dass der todte König
Auch noch ein Zaubrer war,
Der die Sprache der Vögel verstand
Und das Duften der Blumen,
Das Wehen der Winde,
Das Funkeln der Sterne,
Das Rauschen der Wälder,
Ja, selbst den Herzschlag der Menschen,
In wunderselige,
Geheimnisssüsse
Zauberlieder zu bannen gewusst:
Da nickt auch der Vater,
Der seitab im Lehnstuhl
Ueber die Zeitung gebückt
Mit halbem Ohr
Der Erzählerin lauscht,
Und still überdenkt er
Das Leben des Dichters,
Des todten Dichters,
Und siehe auch ihm,
Dem Skeptiker, däucht’s nun
Fast wie ein Märchen!
Und weiter draussen
Immer weiter,
Von Haus zu Haus,
Wandelt die Nacht.
Immer stiller
Wird’s auf den Gassen,
Immer dunkler
Werden die Fenster
Und ein Licht lischt nach dem andern aus.
Wo aber einsam,
Die schlaflosen Züge
Vom Goldlicht der Lampe
Sanft überhaucht,
Noch ein Menschenkind wacht,
Da wühlt es sich nicht mehr
In düstre Probleme,
Da fragt es sich nicht mehr
Um Sein oder Nichtsein,
Wie weiland Hamlet
Oder Faust:
Ein kleines Büchlein
Mit blankem Goldschnitt
Hält es entzückt
In seiner Hand,
Und golden träufelt
Aus jedem Liede,
Das lustberauscht
Sein bebendes Lippenpaar
Klangvoll ausströmt,
Bezaubernder Wohllaut
Ihm ins Ohr.
Er aber, er,
Der einst vor Jahren,
Vor langen Jahren,
Mit seinem warmen,
Rothen Herzblut
Die Blätter beschrieben,
Dass nach Jahrhunderten noch
Der spätgeborene Enkel –
Zieht er sie prüfend
Aus seinem Erbschrein
Wieder ans Licht –
Von ihrer Räthselkraft
Magisch durchzuckt wird
Und die Blätter,
Die unscheinbaren Blätter,
Nicht hergeben will,
Nicht um Gold und Gesteine:
Er schlummert die Nacht nun,
Die erste Nacht auf dem Friedhof!
Silbern stiehlt sich der Mond
Durch das grüne Gezweig
Und spiegelt sich wieder
In den tausend blanken Blättern,
Die trauernd der Lorbeer
Seinem Liebling
Aufs Grab gestreut;
Und weinend breitet
Die ewige Liebe
Ihre schirmenden Fittige
Drüber aus.
Noch hat der Lenz
Aus seinem Füllhorn
Die schönsten Blumen,
Die lieblichsten Düfte
Nicht über die Erde gestreut,
Denn noch weilt die Nachtigall
„Fern im Süd“
Und klang – und duftlos nur
Grünt der Flieder.
Aber die Liebe,
Die Allurewige,
Glaubend und hoffend
Hebt sie ihr Antlitz,
Ihr thränenumflortes,
Hoch empor
Zu den ewigen Sternen;
Und mitleidsvoll
Leiht der Allgütige
Ihrer Klage sein Ohr.
Mit dunklen Schleiern
Die Gräber um sie
Rings überdeckend,
Zeigt er der Lächelnden
Ein farbenschillerndes
Bild der Zukunft.
Da wird es licht um sie,
Ihr von den Augen
Fällt es wie Schuppen
Und durch ihr Sinnen
Zuckt’s wie ein Traumgesicht:
Hochauf recken
Die Thürme von Lübeck,
Die sieben Thürme,
Die vielbesungnen,
Sich blitzend ins Morgenroth
Und aus den Gärten,
Den vollerblühten,
Am Ufer der Trave,
Schluchzt nun die Nachtigall
Ihr erstes Lied!
Aber durchs Stadtthor
Auf staubiger Strasse
Am schwarzen Gitter
Des Friedhofs vorbei
Ziehen zwei Bursche,
Zwei junge Bursche
Mit Ränzel und Knotenstock,
In die weitweite Welt,
Und jubelnd ringt sich
Aus ihren Kehlen,
Aus ihren Herzen
Das alte Lied:
Der Mai ist gekommen!
Der Mai ist gekommen!
Nicht sie allein nur
Sind’s, die es singen:
Ein ganzes Volk,
Eine ganze Welt singt’s!
Und auch er selber,
Der Schwan von Lübeck,
Freudig nun stimmt er
Mit in sein Lied ein;
Ist doch auch ihm nur
Nach irdischem Winterleid
Himmlische Lenzlust
Herrlich erblüht.
Auf schönerem Stern
Der dunklen Schatten
Der dunklen Erde
Eingedenk,
Webt eine Glorie
Ihm um das Haupt nun
Das kleine Wörtchen:
Unsterblichkeit!
Also sinnend
Und in das Göttliche
Tief sich versenkend,
Vergisst die Liebe,
Die ewige Liebe,
Rund um sich her
Tod und Verwesung
Und durch das Herz ihr
Zittert das Echo,
Das wundertröstliche:
„Hoffe du nur!“
Aber die Stunden,
Die lachenden Dirnen,
Goldsohlig wandeln sie
Ueber das Grab.
Und wie allmählich
Korn auf Korn
Durch die Sanduhr rinnt,
Blitzt es röthlich
Am Horizont auf.
Flammend entsteigt
Die junge Sonne,
Die Morgensonne
Des ersten Ostertags,
Dem wogenden Fluthmeer
Der blauen Ostsee
Und lächelnd grüsst sie,
Mit tausend goldnen,
Flackernden Lichtern
Es blitzend umspielend,
Zum ersten Mal –
Das Grab ihres Dichters.