Gedichte Die Plejaden

1917

I

Der Totenkopf

Es wird nie wieder Friede sein. Der Kopf
Des Todes grinst auf allen Vertikos.
In Bronze. Gips. Als Bierkrug. Suppentopf.
Er birgt sich liebend in des Mädchens Schoss.

Er schwankt auf einem dürren Trunkenbold.
Man nimmt ihn untern Arm. Als Springbrunn speit
Er Blut in eine Blütenwelt. Er rollt
Als Kegelkugel durch die grosse Zeit.

II

Gott der Kindheit, darf man dir noch glauben?
Ach ich kenne dich nicht mehr.
Wo sind deiner Herrschaft milde Tauben
Und des Weines goldgegorne Trauben
Und des Frühlings frohe Wiederkehr?

Falten trage ich und rauhe Runzeln,
Und mein Schädel ist mit Moos gestopft.
Bei der Kerze abendrotem Funzeln
Denk ich lächelnd an mein Beet Rapunzeln,
Über dem der Juniregen tropft.

III

Ich ging übers Feld und suchte einen Menschen.
Ich traf sieben tote Engländer.
Ich begab mich in das Dorf.
Wollte ein Weib. Liebte eine Ziege.

Erhob den Blick und suchte die Sonne.
Sie war von Granatennebel umdunkelt.
Ich fiel zur Erde. Meine Knie
Stiessen auf Eisen und Beton.

Gänse schnattern. Zum Teufel: dreht ihnen die Hälse ab!
Laternen leuchten. Auslöschen!
Mädchen lächeln von unten herauf. Begattet sie
Mit Messern oder sonst einem Tod.

Den Fliegen reisse man einzeln die Flügel aus.
Blende den Hasen und jage ihn ins Feld.
Menschen ohne Beine mögen laufen,
Wohin immer es ihnen gefällt.

Leben wird unerträglich dem Sterbenden.
Sonne: ich spei dir in dein goldnes Gesicht
Die Eiterfetzen meiner Lunge. Mutter –
Warum immer gebärst du Tod!

IV

Kleine Französin, weine nicht,
Starb Mann den Kindes-,
Kind den Mannestod.
Die Schnörkel der Kathedrale
Umschlingen uns Irrende.

Suche den Weg nicht
Aus dem Steingestrüpp.
Bleibe
Pilaster…

V

Abschied

Ich stopfe dir mein Taschentuch in die Wunde
Oder was einmal Taschentuch gewesen.
Gott schlägt die elfte Stunde.
Soll ich dir aus der Bergpredigt vorlesen?

Liebet euch untereinander. Ich hab nie gewagt
Jemand zu lieben: wie ich liebe jetzt dich, halbtoter Freund.
Und du bist doch nur ein Hund, der auf fremden Feldern streunt
Und (wie nach Kaninchen) nach letzter Liebe jagt.

Räudiger Hund. Wir sind alle von Ungeziefer zerzaust.
Ehe wir uns in den Himmel bequemen,
Müssen wir ein (russisches) Dampfbad nehmen,
Und Gottvater selber ists, der uns laust.

VI

Für S. S.

Es halten deine blumenhaften Hände
Der Erde Achse, die sich leise dreht.
Und selbst des Krieges blutendes Gerät
Wird Erntesichel überm Herbstgelände.

Es rauschen hinter deinem Felsenhaupt
Die violetten Ströme in den Adern.
Und deine blauen Blicke blondbelaubt
Entketten sich zu seligen Fluggeschwadern.

Ich sehe wohl die leuchtenden Maschinen,
Allein ich bin im Fernen irgendwo,
In Grönland und als Eskimo,
Um dort dem Walfisch und dem Tran zu dienen.

VII

Schlimm ist es, in der Heimat Frauen haben
Und Kinder, deren Zukunft man bedenkt.
Man möchte sie vergessen und begraben,
Wenn man sich selber in den Himmel hängt.

Man greiftzum Strick. Man schlingt ihn um den Mond
Man schlenkert klirrend in der leeren Luft.
Man gräbt sich in den Wolken seine Gruft,
Ein toter Stern, der Erde ungewohnt.

VIII

Im Schützengraben

Bruder: vielleicht
Bist du es, Bruder, dem ich den Kolben gab?
Jetzt schläft du todmüde in einem Massengrab
Und ich liege im Schützengraben: aufgeweicht.

Wir tanzen in französischen Blusen.
Paul spielt Harmonika. Applaus.
Der dicke Unteroffizier hat beinah einen Busen.
Der gefangene Hochländer sieht wie eine junge Dame aus.

Seufzer einem wie Küsse vom Munde stieben.
Man sehnt sich nach einer Ziege oder einem Pferd.
Wo sind die Mädchen geblieben?
Die Ehe mit einer betagten Witwe ohne Vermögen erscheint plötzlich erstrebenswert.

IX

Im Lazarett

Ein Bauchschuss befindet sich auf dem Wege der Besserung.
Ein (alkoholischer) Magenkatarrh beschwert sich über Verwässerung
Des Magensaftes durch dünne Medizinen.
Zwei Schwestern sind beflissen, einem Ohnebein zu dienen.

Ein Herzschuss möchte zum Schluss noch etwas Sekt.
Eine Ruhr hat schon wieder das Bett verdreckt.
Eine Schenkeleiterung muss Liebesbriefe schmieren.
Ein Streifschuss geht (draussen) in der Sonne spazieren.

X

Es schwillt die Flut. Es stürzt der Damm.
Wer ist noch gut? Wer stemmt sich: Stamm?
Wo schmerzt dein Herz? Es weht im Wind.
Dein Hirn? Aus Erz. Dein Blut? Es rinnt.

Und wer da hebt die stille Hand,
Dem schlägt ein Schwert sie in den Sand.
Und wer da lächelt irr im Blick,
Spürt schon um seinen Hals den Strick.

Es geht zu End, Gebete send,
Die Herde flennt, die Erde brennt.
Wohl dem, der starr und unbewegt
Die Steinstirn durch die Flammen trägt.

XI

Es fällt ein Blatt. Es stürzt ein Baum.
Es steht der Mond. Es weht die Nacht.
Und über allem Traum und Raum
Ist eine Hoffnung sacht erwacht.

Sie sucht nach Rast. Ein Falter fast.
Sie stäubt dahin, sie glänzt dahin.
Und wer die Erde noch gehasst,
Betäubt geht und bekränzt er hin.

Du, dem das Blut zum Halse stieg,
Und der die goldne Sense schwang:
Die Stirne neig! Die Kniee bieg!
Der Gott geht seinen Donnergang!

XII

Der Dichter im Winter

Die Stadt in Schnee und kühlem Mondlicht liegt.
Die Schlitten schweben und der Nordwind schweift.
Soldaten gehen glitzernd und bereift,
Und Frauen sind in Pelze eingeschmiegt.

Wo winkt ein Fasching, dass du dich entlarvst?
Bewahr dein heisses Herz zu eigener Tat
Und hoffe, dass ein holder Frühling naht,
Wo du es wieder allen zeigen darfst…


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