Gedichte Irin

Idylle

An einem schönen Abend fuhr
Irin mit seinem Sohn, im Kahn
Aufs Meer, um Reusen in den Schilf
Zu legen, der ringsum den Strand
Von nahen Eilanden umgab.
Die Sonne tauchte sich bereits
Ins Meer, und Fluth und Himmel schien
Im Feur zu glühen. O wie schön
Ist jetzt die Gegend! sagt entzückt
Der Knabe, den Irin gelehrt,
Auf jede Schönheit der Natur
Zu merken. Sieh! sagt er, den Schwan,
Umringt von seiner frohen Brut,
Sich in den rothen Wiederschein
Des Himmels tauchen! Sieh! er schift,
Zieht rothe Furchen in die Fluth
Und spannt des Fittigs Seegel auf. –
Wie lieblich flistert dort im Hayn
Der schlanken Espen furchtsam Laub
Am Ufer, und wie reizend fließt
Die Saat in grünen Wellen fort,
Und rauscht, vom Winde sanft bewegt. –
O, was für Anmuth haucht anjetzt
Gestad und Meer und Himmel aus!
Wie schön ist alles! und wie froh
Und glücklich macht uns die Natur! –
Ja, sagt Irin, sie macht uns froh
Und glücklich, und du wirst durch sie
Glückseelig seyn dein Lebelang,
Wenn du dabey rechtschaffen bist,
Wenn wilde Leidenschaften nicht
Von sanfter Schönheit das Gefühl
Verhindern. O Geliebtester!
Ich werde nun in kurzem dich
Verlassen, und die schöne Welt,
Und noch in schönern Gegenden
Den Lohn der Redlichkeit empfahn.
O, bleib der Tugend immer treu,
Und weine mit den Weinenden,
Und gieb von deinem Vorrath gern
Den Armen! Hilf so viel du kanst,
Zum Wohl der Welt! Sey arbeitsam,
Erheb zum Herren der Natur,
Dem Wind und Meer gehorsam ist,
Der alles lenkt zum Wohl der Welt,
Den Geist! Wähl lieber Schand und Tod,
Eh du in Bosheit willigest.
Ehr, Überfluß und Pracht ist Tand;
Ein ruhig Herz ist unser Theil. –
Durch diese Denkungsart, mein Sohn!
Ist unter lauter Freuden mir
Das Haar verbleichet. Und wiewohl
Ich achtzig mal bereits den Wald
Um unsre Hütte grünen sah;
So ist mein langes Leben doch
Gleich einem heitern Frühlingstag
Vergangen, unter Freud und Lust. –
Zwar hab ich auch manch Ungemach
Erlitten. Als dein Bruder starb,
Da flößen Thränen mir vom Aug,
Und Sonn und Himmel schien mir schwarz –
Oft auch ergriff mich auf dem Meer
Im leichten Kahn der Sturm, und warf
Mich mit den Wellen in die Luft.
Am Gipfel eines Wasserbergs
Hing oft mein Kahn hoch in der Luft,
Und donnernd fiel die Fluth herab,
Und ich mit ihr. Das Volk des Meers
Erschrack, wenn über seinem Haupt
Der Wellen Donner tobt, und fuhr
Tief in den Abgrund. Und mich dünkt,
Daß zwischen jeder Welle mir
Ein feuchtes Grab sich öfnete.
Der Sturmwind taucht dabey ins Meer
Die Flügel, schüttelte davon
Noch eine See auf mich herab –
Allein bald legte sich der Zorn
Des Windes, und die Luft ward hell,
Und ich erblickt in stiller Fluth
Des Himmels Bild. Der blaue Stör
Mit rothen Augen, sahe bald,
Aus einer Höhl im Kraut der See,
Durch seines Hauses gläsern Dach,
Und vieles Volk des weiten Meers
Tanzt auf der Fluth im Sonnenschein,
Und Ruh und Freude kam zurück
In meine Brust. – Jetzt wartet schon
Das Grab auf mich. Ich fürcht es nicht.
Der Abend meines Lebens wird
So schön als Tag und Morgen seyn. –
O Sohn, sey fromm und tugendhaft
So wirst du glücklich seyn wie ich.
So bleibt dir die Natur stets schön.

Der Knabe schmiegt sich an den Arm
Irins, und sprach: Nein, Vater! nein,
Du stirbst noch nicht! Der Himmel wird
Dich noch erhalten mir zum Trost!
Und viele Thränen floßen ihm
Vom Aug. – Indeßen hatten sie
Die Reusen ausgelegt. Die Nacht
Stieg aus der See, sie ruderten
Gemach der Heymath wieder zu. –

Irin starb bald. Sein frommer Sohn
Beweint ihn lang‘, und niemals kam
Ihm dieser Abend aus dem Sinn.
Ein heilger Schauer überfiel
Ihn, wenn ihm seines Vaters Bild
Vors Antlitz trat. Er folgete
Stets deßen Lehren. Seegen kam
Auf ihn. Sein langes Leben dünkt
Ihm auch ein Frühlings-Tag zu seyn.


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