Gedichte Die Ratgeberin

Regel des Dichtenden, oder hörst Ratgeberin lieber
Du dich nennen? doch welcher der Name sei, den du wählest;
Bist du ernster, bist tiefsinniger, als im Taumel-
Flug dich der Ungeweihte kennt,

Bist entscheidender! Wie verstummt, ich oft, und wie fühlt, ich
Bleich mich werden, wenn empor ich sah zu der Höhe,
Die mir zeigte dein goldener Stab! und mit welchem Hinschaun
Maß ich den einsamen, steilen Pfad!

Noch erbeb‘ ich, denk, ich zurück an die Tiefen, in deren
Nähe der schwindelnde Pfad sich erhob Darstellung gelinget
Droben allein, nur auf dem erstiegenen fernen Gipfel,
Führt man in ihren Zauberkreis.

Aber wer hat den Reiz, durch den die Führungen glücken,
Immer erspähet? wer das Lebende niemals getötet?
O verzeihest du auch, Ratgeberin, daß dein Wink dann
Nach der Höhe vergebens wies?

Jünglinge, lasset euch Beispiele warnen. Es sei euch
Wacker das Auge, sobald an dem Zauberkreise sich Leben,
Großes, Leidenschaft zeigt. Darstellung gebietet festen,
Hingehefteten Forscherblick.

Nicht das Auge gabet ihr euch; allein wenn ihr oft blickt,
Könnet, den Schlummer scheuchend, daß heller es sieht, ihr ihm geben.
Leiterin ist sie euch nicht die Regel (verzeiht dem Greise,
Daß er fortspricht), wird euch nie

Ihren goldenen Stab erheben: wenn euch nicht Geist ward,
Dem die Empfindung heißer glüht, wie ihn Bilder entflammen,
Und in dem, Beherrscher der Flamm‘ und der Glut, das Urteil
Unbezaubert den Ausspruch tut;

Nie den goldenen Stab erheben, wenn ihr nicht alle
Ihre Gebärden kennt, nicht ihre Winke, die Stirn nicht,
Die nun faltig, nun sanft verbeut, nicht die helle Seele,
Ganz nicht die stolze Griechin kennt.

Weniges nur, allein Zielführendes grub sie in ihre
Eherne Tafel. Einiges wird hier selten, dort öfter,
Aber anderes immer getan. Wenn von dem ihr weichet;
Habt ihr das erste nur halb getan.

Auf die schöne Natur, auf die nur weiset sie. Hübsch ist
Diese nicht, ist nicht wild; hat auch furchtbare Grazie; kerkert
Engumkreisend nicht ein: doch mit Feinheit begrenzt die Messung,
Ziehet nicht selten Apelles Strich.

Wollt ihr der Griechin folgen; so kieset von dem, was sie lehret,
Stimmendes zu des Gesangs Erfindung, legts auf die Waagschal,
Wägt es ihr zu. Was ihr nach falschem Gewicht verbildet,
Schimmert, vielleicht; wird untergehn.


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