Gedichte Gesang und Krieg

1.

Wühlt jener schauervolle Sturm aus Norden
Zerstörend auch im frischen Liederkranze?
Ist der Gesang ein feiges Spiel geworden?
Wiegt fürder nur der Degen und die Lanze?
Muß schamrot abwärts fliehn der Sängerorden,
Wann Kriegerscharen ziehn im Waffenglanze?
Darf nicht der Harfner, wie in vor’gen Zeiten,
Willkommen selbst durch Feindeslager schreiten?

Bleibt Poesie zu Wald und Kluft verdrungen,
Bis nirgends Kampf der Völker Ruhe störet,
Bis das vulkan’sche Feuer ausgerungen,
Das stets sich neu im Erdenschoß empöret:
So ist bis heute noch kein Lied erklungen
Und wird auch keins in künft’ger Zeit gehöret.
Nein! über ew’gen Kämpfen schwebt im Liede,
Gleichwie in Goldgewölk, der ew’ge Friede.

Ein jedes weltlich Ding hat seine Zeit,
Die Dichtung lebet ewig im Gemüte,
Gleich ewig in erhabner Herrlichkeit
Wie in der tiefen Lieb und stillen Güte,
Gleich ewig in des Ernstes Düsterheit
Wie in dem Spiel und in des Scherzes Blüte.
Ob Donner rollen, ob Orkane wühlen,
Die Sonne wankt nicht und die Sterne spielen.

Schon rüsten sich die Heere zum Verderben,
Der Frühling rüstet sich zu Spiel und Reigen;
Die Trommeln wirbeln, die Trommeten werben,
Indes die wilden Winterstürme schweigen;
Mit Blute will der Krieg die Erde färben,
Die sich mit Blumen schmückt und Blütenzweigen:
Darf so der ird’sche Lenz sich frei erschließen,
So mög auch unser Dichterfrühling sprießen!

2.

Nicht schamrot weichen soll der Sängerorden,
Wann Kriegerscharen ziehn im Waffenglanze;
Noch ist sein Lied kein schnödes Spiel geworden,
Doch ziert auch ihn der Degen und die Lanze;
Wohl schauervoll ist jener Sturm aus Norden,
Doch weht er frisch und stärkt zum Schwertertanze.
Wollt, Harfner, ihr durch Feindeslager schreiten,
Noch steht’s euch frei, den Eingang zu erstreiten.

Wann „Freiheit!“ „Vaterland!“ ringsum erschallet,
Kein Sang tönt schöner in der Männer Ohren,
Im Kampfe, wo solch heilig Banner wallet,
Da wird der Sänger kräftig neugeboren.
Hat Äschylos, des Lied vom Siege hallet,
Hat Dante nicht dies schönste Los erkoren?
Cervantes ließ, gelähmt, die Rechte sinken
Und schrieb den Don Quixote mit der Linken.

Auch unsres deutschen Liedertempels Pfleger,
Sie sind dem Kriegesgeiste nicht verdorben,
Man hört sie wohl, die freud’gen Telynschläger,
Und mancher hat sich blut’gen Kranz erworben.
Du, Wehrmann Leo, du, o schwarzer Jäger,
Wohl seid ihr ritterlichen Tods gestorben!
Und Fouqué, wie mir du das Herz durchdringest!
Du wagtest, kämpftest – doch du lebst und singest.

Den Frühling kündet der Orkane Sausen,
Der Heere Vorschritt macht die Erde dröhnen,
Und wie die Ström aus ihren Ufern brausen,
So wogt es weit von Deutschlands Heldensöhnen;
Der Sänger folgt durch alles wilde Grausen,
Läßt Sturm und Wogen gleich sein Lied ertönen.
Bald blüht der Frühling, bald der goldne Friede
Mit mildern Lüften und mit sanftrem Liede.


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