Gedichte Die Meinige

Herr der Welten! der du deinen Menschen
Leuchten läßt so liebevoll dein Angesicht,
Lächle, Herr der Welten! auch des Beters Erdenwünschen,
O du weißt es! sündig sind sie nicht.
Ich will beten für die lieben Meinen,
Wie dein großer Sohn für seine Jünger bat –
O auch Er, er konnte Menschentränen weinen,
Wann er betend für die Menschen vor dich trat –

Ja! in seinem Namen will ich beten,
Und du zürnst des Beters Erdewünschen nicht,
Ja! mit freiem, offnem Herzen will ich vor dich treten,
Sprechen will ich, wie dein Luther spricht. –
Bin ich gleich vor dir ein Wurm, ein Sünder –
Floß ja auch für mich das Blut von Golgatha –
O! ich glaube! Guter! Vater deiner Kinder!
Glaubend, glaubend tret ich deinem Throne nah.
Meine Mutter! – o mit Freudentränen
Dank ich, großer Geber, lieber Vater! dir,
Mir o mir, dem glücklichsten von tausend andern Söhnen,
Ach die beste Mutter gabst du mir.
Gott! ich falle nieder mit Entzücken,
Welches ewig keine Menschenlippe spricht,
Tränend kann ich aus dem Staube zu dir blicken –
Nimm es an, das Opfer! mehr vermag ich nicht! –

Ach als einst in unsre stille Hütte,
Furchtbarer! herab dein Todesengel kam,
Und den Jammernden, den Flehenden aus ihrer Mitte
Ewigteurer Vater! dich uns nahm,
Als am schröcklich stillen Sterbebette
Meine Mutter sinnlos in dem Staube lag –
Wehe! noch erblick ich sie, die Jammerstätte,
Ewig schwebt vor mir der schwarze Sterbetag –

Ach! da warf ich mich zur Mutter nieder,
Heischerschluchzend blickte ich an ihr hinauf;
Plötzlich bebt‘ ein heilger Schauer durch des Knaben Glieder,
Kindlich sprach ich – Lasten legt er auf,
Aber o! er hilft ja auch, der gute –
Hilft ja auch der gute, liebevolle Gott – –
Amen! amen! noch erkenn ichs! deine Rute
Schläget väterlich! du hilfst in aller Not!

O! so hilf, so hilf in trüben Tagen,
Guter, wie du bisher noch geholfen hast,
Vater! liebevoller Vater! hilf, o hilf ihr tragen,
Meiner Mutter – jede Lebenslast.
Daß allein sie sorgt die Elternsorgen!
Einsam jede Schritte ihres Sohnes wägt!
Für die Kinder jeden Abend, jeden Morgen –
Ach! und oft ein Tränenopfer vor dich legt!

Daß sie in so manchen trüben Stunden
Über Witwenquäler in der Stille weint!
Und dann wieder aufgerissen bluten alle Wunden,
Jede Traurerinnrung sich vereint!
Daß sie aus den schwarzen Leichenzügen
Oft so schmerzlich hin nach seinem Grabe sieht!
Da zu sein wünscht, wo die Tränen all versiegen,
Wo uns jede Sorge, jede Klage flieht.

O so hilf, so hilf in trüben Tagen,
Guter! wie du bisher noch geholfen hast!
Vater! liebevoller Vater! hilf, o hilf ihr tragen,
Sieh! sie weinet! – jede Lebenslast.
Lohn ihr einst am großen Weltenmorgen
All die Sanftmut, all die treue Sorglichkeit,
All die Kümmernisse, all die Muttersorgen,
All die Tränenopfer ihrer Einsamkeit.

Lohn ihr noch in diesem Erdenleben
Alles, alles, was die Teure für uns tat.
O! ich weiß es froh, du kannst, du wirst es geben,
Wirst dereinst erfüllen, was ich bat.
Laß sie einst mit himmlisch hellem Blicke,
Wann um sie die Tochter – Söhne – Enkel stehn, –
Himmelan die Hände faltend, groß zurücke
Auf der Jahre schöne Strahlenreihe sehn.

Wann sie dann entflammt im Dankgebete
Mit uns in den Silberlocken vor dir kniet,
Und ein Engelschor herunter auf die heilge Stätte
Mit Entzücken in dem Auge sieht,
Gott! wie soll dich dann mein Lied erheben!
Halleluja! Halleluja! jauchz ich dann;
Stürm aus meiner Harfe jubelnd Leben;
Heil dem großen Geber! ruf ich himmelan.

Auch für meine Schwester laß mich flehen,
Gott! du weißt es, wie sie meine Seele liebt,
Gott! du weißt es, kennest ja die Herzen, hast gesehen,
Wie bei ihren Leiden sich mein Blick getrübt. –
Unter Rosen, wie in Dornengängen,
Leite jeden ihrer Tritte himmelan.
Laß die Leiden sie zur frommen Ruhe bringen,
Laß sie weise gehn auf heitrer Lebensbahn.

Laß sie früh das beste Teil erwählen,
Schreib ihrs tief in ihren unbefangnen Sinn,
Tief – wie schön – die Himmelsblume blüht in jungen Seelen,
Christuslieb und Gottesfurcht, wie schön!
Zeig ihr deiner Weisheit reinre Wonne,
Wie sie hehrer deiner Wetter Schauernacht,
Heller deinen Himmel, schöner deine Sonne,
Näher deinem Throne die Gestirne macht,

Wie sie in das Herz des Kämpfers Frieden,
Tränen in des bangen Dulders Auge gibt –
Wie dann keine Stürme mehr das stille Herz ermüden,
Keine Klage mehr die Seele trübt;
Wie sie frei einher geht im Getümmel,
Ihr vor keinem Spötter, keinem Hasser graut,
Wie ihr Auge, helleschimmernd, wie dein Himmel,
Schröckend dem Verführer in das Auge schaut.

Aber Gott! daß unter Frühlingskränzen
Oft das feine Laster seinen Stachel birgt –
Daß so oft die Schlange unter heitern Jugendtänzen
Wirbelt, und so schnell die Unschuld würgt – !
Schwester! Schwester! reine gute Seele!
Gottes Engel walte immer über dir!
Häng dich nicht an diese Schlangenhöhle,
Unsers Bleibens ist – Gott seis gedankt! nicht hier.

Und mein Carl – – o! Himmelsaugenblicke! –
O du Stunde stiller, frommer Seligkeit! –
Wohl ist mir! ich denke mich in jene Zeit zurücke –
Gott! es war doch meine schönste Zeit.
(O daß wiederkehrten diese Tage!
O daß noch so unbewölkt des Jünglings Herz,
Noch so harmlos wäre, noch so frei von Klage,
Noch so ungetrübt von ungestümem Schmerz!)

Guter Carl! – in jenen schönen Tagen
Saß ich einst mit dir am Neckarstrand.
Fröhlich sahen wir die Welle an das Ufer schlagen,
Leiteten uns Bächlein durch den Sand.
Endlich sah ich auf. Im Abendschimmer
Stand der Strom. Ein heiliges Gefühl
Bebte mir durchs Herz; und plötzlich scherzt ich nimmer,
Plötzlich stand ich ernster auf vom Knabenspiel.

Bebend lispelt ich: wir wollen beten!
Schüchtern knieten wir in dem Gebüsche hin.
Einfalt, Unschuld wars, was unsre Knabenherzen redten –
Lieber Gott! die Stunde war so schön.
Wie der leise Laut dich Abba! nannte!
Wie die Knaben sich umarmten! himmelwärts
Ihre Hände streckten! wie es brannte –
Im Gelübde, oft zu beten – beeder Herz!

Nun, mein Vater! höre, was ich bitte;
Ruf ihm oft ins Herz, vor deinen Thron zu gehn;
Wann der Sturm einst droht, die Woge rauscht um seine Tritte,
O so mahne ihn, zu dir zu flehn.
Wann im Kampf ihm einst die Arme sinken,
Bang nach Rettung seine Blicke um sich sehn,
Die Vernunft verirrte Wünsche lenken,
O so mahne ihn dein Geist, zu dir zu flehn.

Wenn er einst mit unverdorbner Seele
Unter Menschen irret, wo Verderber spähn,
Und ihm süßlich scheint der Pesthauch dieser Schlangenhöhle,
O! so mahne ihn, zu dir zu flehn.
Gott! wir gehn auf schwerem, steilem Pfade,
Tausend fallen, wo noch zehen aufrecht stehn, –
Gott! so leite ihn mit deiner Gnade,
Mahn ihn oft durch deinen Geist, zu dir zu flehn.

O! und sie im frommen Silberhaare,
Der so heiß der Kinder Freudenträne rinnt,
Die so groß zurückblickt auf so viele schöne Jahre,
Die so gut, so liebevoll mich Enkel nennt,
Die, o lieber Vater! deine Gnade
Führte durch so manches rauhe Distelnfeld,
Durch so manche dunkle Dornenpfade –
Die jetzt froh die Palme hofft, die sie erhält –

Laß, o laß sie lange noch genießen
Ihrer Jahre lohnende Erinnerung,
Laß uns alle jeden Augenblick ihr süßen,
Streben, so wie sie, nach Heiligung.
Ohne diese wird dich niemand sehen
Ohne diese trifft uns dein Gericht;
Heilge mich! sonst muß ich draußen stehen,
Wann die Meinen schaun dein heilig Angesicht.

Ja! uns alle laß einander finden,
Wo mit Freuden ernten, die mit Tränen säen,
Wo wir mit Eloa unser Jubellied verbinden,
Ewig, ewig selig vor dir stehn.
O! so ende bald, du Bahn der Leiden!
Rinne eilig, rinne eilig, Pilgerzeit!
Himmel! schon empfind ich sie, die Freuden –
Deine – Wiedersehen froher Ewigkeit!


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Gedichte Die Meinige - Hölderlin