Gedichte Von Ewigkeit zu Ewigkeit

Nimm hin mich, Leben, ich bin dein! Wie hoch die Fluth auch gehe,
Ich zage nicht vor deinen Mühn und nicht vor deinem Wehe;
Du führst die Menschheit an ihr Ziel durch alle Wandelungen,
Und dem nur winkt der Siegespreis, der tapfer mitgerungen;
Doch eine Stunde jedes Tags dem drängenden Gewühle,
Das rastlos um uns tobt und braust, wie eine Riesenmühle,
Ja, eine will ich ihm entfliehn, dass ich in stiller Weihe
Der grossen Hymne der Natur das Ohr voll Andacht leihe!
Adolf Friedrich Graf von Schack

Der Schöpfung nie begriffne Herrlichkeit
Entfacht noch stündlich den Prometheusfunken
Und doch ist ihre goldne Blüthezeit
Schon längst ins Grab der Ewigkeit gesunken.
Denn jene Welt der Sagenpoesie
Ist nicht nur Traum, ist Wirklichkeit gewesen,
Und wem das Schicksal Seherkraft verlieh,
Kann das noch heute aus den Sternen lesen.

Wer zählt die Sprossen, die zertrümmert sind
Aus jener gotterbauten Himmelsleiter?
Die Sonne glüht und kühlend weht der Wind
Und unaufhaltsam rollt das Rad sich weiter.
Die leuchtend kreisen durch das dunkle All,
Erhaben gross ist noch die Zahl der Welten;
Und kommt allnächtlich eine auch zum Fall,
Was kann dem Meere wohl ein Tropfen gelten?

Doch wem sich das Geheimniss der Natur
Nicht unterm Sternenzelt mag offenbaren,
Der wandle mit mir durch die Erdenflur,
So wie sie war vor hunderttausend Jahren.
Noch stritt kein Jason um das goldne Vliess,
Die Menschheit knechtete kein Triumphator,
Doch endlos dehnte sich ein Paradies
Vom Nordpol bis hinunter zum Aequator.

Wo heute sich durch eisumstarrten Belt
Die Walfischfahrer ihre Strasse bahnen,
Erhub sich ehmals eine Inselwelt,
Beblüht von üppig wuchernden Bananen.
Und lächelnd kränzte sich die Meeresfee
Mit bunten Perlenmuscheln und Korallen,
Wo längst verweht vom Wüstenkörnerschnee
Die Isistempel in sich selbst zerfallen.

Nicht trübte schon den funkelnden Azur
Der Riesenschlote schmutzigfeuchter Brodem,
Denn unentweiht noch träumte die Natur
Und jeder Windhauch war ein Gottesodem.
Kein Erdgeborner fühlte sich entbrannt
Nach fremden Wundern einer fremden Zone
Und brach mit seiner frevlen Menschenhand
Sich Stein auf Stein aus Gottes Schöpfungskrone.

Doch jede Zeit singt sich ihr eignes Lied
Und jenes Lied ist lange schon verklungen;
Die Melodie, die heut die Welt durchzieht,
Verhöhnt die alten Ueberlieferungen.
Die Menschheit hat sich zum Titanenkampf
Mit ihrer Mutter, der Natur, gerüstet
Und denkt nur noch mit Eisen, Blut und Dampf,
Weil sie’s dem Schöpfer gleich zu thun gelüset.

Erloschen ist der kindlichfromme Zug
Aus ihres Angesichts versteinten Mienen,
Und unbekümmert um den alten Fluch,
Zwingt sie die Elemente ihr zu dienen.
Im Bergschooss gräbt nach Schätzen sie umher
Und macht den Feuergeist sich zum Vertrauten,
Die Weltumsegler schickt sie übers Meer
Und in die Luft die kühnen Aeronauten.

Ja, bis gen Himmel, den der Herr sich schuf,
Auf dass er würdig seine Schöpfung kröne,
Erhebt sich schon der schicksalsschwangre Ruf
Der staubentsprossenen Gigantensöhne.
Denn hier auf diesem engen Erdenkreis
Ist kaum ein Fels noch für sie zu verschieben,
Der Steppensand nur und das Gletschereis
Ist unentweiht vor ihrer Wuth geblieben.

Doch drückt sie auch das auferlegte Joch
Und seufzt sie auch um Tage, die verwehten,
Ein Prachtjuwel blieb unsre Erde doch
Im Kronendiademe der Planeten!
Denn unbekümmert um die Weltenuhr
Lässt sie die tausendfältgen Kräfte sprühen
Und nach dem heilgen Rathschluss der Natur
Die Quellen springen und die Blumen blühen.

Wie herrlich steigt der erste Frühlingstag
Doch immer noch vom Himmel zu ihr nieder!
Und schreitet erst der Sommer durch den Haag,
Dann fühlt sie ihre ganze Jugend wieder.
Und stehst du dann, umwallt von all dem Duft,
Dann lacht die Flur und ihre Ströme blitzen
Und fernher schimmern durch die blaue Luft
Die ewig eisgezackten Gletscherspitzen.

Da horch! Ein leiser Hauch im Blätterdach,
Und durch die Wipfel geht ein seltsam Rauschen;
Wie Stimmen flüstert’s durch das Laubgemach,
Und andachtsvoll musst du den Tönen lauschen.
Das ist der Wind, der ruhlos durch die Welt
Dahinrollt auf den nie erschauten Gleisen,
Der nun im Bergwald seinen Einzug hält
Und dir erzählt von seinen weiten Reisen.

Erst ist, vergleichbar einem wilden Schwan,
Er majestätisch durch die Luff gezogen
Und stieg dann nieder in den Ocean
Und spielte mit den grüngewellten Wogen.
Doch bald verlockte ihn der nahe Strand
Und hinter sich liess er das Meergebrause
Und ging mit Riesenschritten übers Land
Und hielt dann Rast in einer Felsenklause.

Da lag denn nun tief unter ihm die Welt
Idyllisch da im Sommersonnengolde
Und athmete gen Himmel, duftgeschwellt,
Wie eine farbenprächtge Blüthendolde.
Und Meereswellenschaum und Gottesluft,
Dazu die paradiesischen Gefilde,
Verwoben lieblich sich im Sonnenduft
Zu einem nie geschauten Wunderbilde.

Dir aber schwillt das Herz vor hoher Lust
Bei solcher windgetragnen Himmelskunde,
Und das Gefühl der übervollen Brust
Gestaltet sich zum Wort in deinem Munde.
Du preist Natur und ihre Herrlichkeit,
Die Gott in seinen eignen Werken loben,
Und lächelst über den Pygmäenstreit,
Den wider ihn die Sterblichen erhoben.

Die eitle Selbstsucht menschlicher Kultur
Vermag nur eben das, was ihr von Nöthen,
Sie weiss die Herrlichkeit der Gottnatur
Zu untergraben wohl, doch nie zu tödten.
Und ist auch ihre goldne Blüthezeit
Schon längst ins Grab der Ewigkeit gesunken,
Der Schöpfung nie begriffne Herrlichkeit
Entfacht noch stündlich den Prometheusfunken!


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