Gedichte Der Indianerzug

1

Wehklage hallt am Susquehannaufer,
Der Wandrer fühlt sie tief sein Herz durchschneiden;
Wer sind die lauten, wildbewegten Rufer?
Indianer sinds, die von der Heimat scheiden.

Doch plötzlich ihre lauten Klagen stocken.
Der Häuptling naht mit heftig raschem Tritte,
Ein Greis von finstern Augen, bleichen Locken,
Und also tönt sein Wort in ihrer Mitte:

„Stets weiter drängen uns, als ihre Herde,
Stets weiter, weiter die verfluchten Weißen,
Die kommen sind, uns von der Muttererde
Und von den alten Göttern fortzureißen.

Mir ist es klar, ich sehs im Licht der Flamme,
Die mir das Herz verbrennt mit wildem Nagen:
Sie brachten uns das Heil am Kreuzesstamme,
Den Mut zur Rache an das Kreuz zu schlagen.

Den Wald, wo wir den Kindesschlaf genossen,
Verlassen wir; der uns sein Wild geboten;
Wo liebend wir ein teures Weib umschlossen;
Den Wald, wo wir begraben unsre Toten.

Naht ihr den Gräbern euch von euren Ahnen,
Sei still von euch die Hügelschar beschlichen,
Die Toten nicht zu wecken und zu mahnen,
Daß wir von ihrem Glauben sind gewichen.

Der Hohn wird kommen, früher oder später,
Der gier’ge Pflug wird in die Gräber dringen;
Dann muß die heilge Asche unsrer Väter
Des tiefverhaßten Feindes Saaten düngen!“ –

Nun feiern sie der Toten Angedenken;
Die Sonn im Westen wandelt ihre Neige,
Die Gräber noch bestrahlend, und sie senken
Viel Tränen drauf und grüne Tannenzweige.

Da bricht die Wehmut plötzlich ihre Hemmung,
Sie strömet laut und lauter in die Lüfte,
Schon braust des Schmerzes volle Überschwemmung
In wilden Klagen um die stillen Grüfte.

Nun wenden sich zur Wandrung die Vertriebnen,
Oft grüßend noch zurück mit finsterm Sehnen
Die teuren Hügel der Zurückgebliebnen,
Bestreuend ihre Bahn mit Flüchen, Tränen.

Wie sie vorüberwandern an den Bäumen,
Umarmend viele an die Stämme fallen,
Zum Scheidegruß den trauten Waldesräumen
Läßt jeder einmal noch die Flinte knallen. –

Der Flintenruf, der Ruf gerührter Kehlen
Ist an den Hügeln allgemach verrauschet,
Wo nur dem Klagehauch der Totenseelen
Die Dämmerung, die stille, tiefe, lauschet.

2

Viel Meilen schon sind sie dahingezogen;
Der Susquehanna treibt an ihrer Seite
Mit heimatlichem Rauschen seine Wogen,
Der treue Freund gab ihnen sein Geleite.

Den heißen Trieb, vom Feinde, dem verhaßten,
Fort, fort zu fliehn mit wilden Fluchesklängen,
Kann nur der müde Schlaf zu kurzem Rasten
Aus ihren Gliedern allgemach verdrängen.

Ihr Feuer brennt im Dunkel hoher Eichen;
Da ruhn die Gäste rings der Waldeswüste,
Da legt der Mann sich hin, dem Schlaf zu weichen,
Die Mutter ihren Säugling an die Brüste.

Schon sinkt das Feuer, und die sommerschwülen
Nachtlüfte sich im Eichenlaub verfangen
Und frei durchs lange Haar der Weiber wühlen,
Die schlafend ihren Säugling überhangen.

Der graue Führer nur verbannt den Schlummer
Und einer noch der Ältesten vom Stamme;
Die sprechen lange noch von ihrem Kummer,
Von Zeit zu Zeit nachschürend an der Flamme.

Sie schaun durchs dünnere Gedräng der Bäume
Zurück nach dem verlornen Mutterlande,
Und zürnend schaun sie dort die Himmelsräume
Rotglühend hell von einem Waldesbrande.

Und also spricht der Häuptling zum Gefährten:
„Siehst du sie morden dort in unsre Wälder?
Getrost in unsres Unglücks frische Fährten
Ziehn sie den Pflug für ihre Segensfelder.

Sie haben frech die Nacht vom Schlaf empöret,
Daß sie sich mit dem Flammenkleide schürzet:
Hoch brennt der Wald, vom Lager aufgestöret,
Das Wild verzweifelnd aus den Gluten stürzet.

Gewecket von des Wildes Wehgeheule
Und von dem falschen Tageslicht betrogen,
Kommt schwirrend rings heran mit trunkner Eile
Der Vögel Schwarm in seinen Tod geflogen.

Gewiß, gewiß, mit ihren Saaten wuchern
Die Wünsche auch, die sie darunter streuen
Von ihren unversöhnlichen Verfluchern;
Es wird sie noch an spätem Tag gereuen!“

Noch starren die Betrübten, Tieferbosten
Hinüber nach des Brandes rotem Scheine,
Als der zerfließt im Morgenrot von Osten
Und schon die Wipfel glühn im Eichenhaine.


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