1829
Ich möchte wieder wie ein junger Schwärmer
Auf meinem Pegasus ein bißchen reiten,
Doch da die Zeit betrübter wird und ärmer,
So möcht ich fliehn in fabelhafte Zeiten:
Ich, der ich ehedem, an Jugend wärmer,
Herunterstieg in spröde Wirklichkeiten,
Und mit dem Unverstand begann zu turnen,
Der stelzenhaft gespreizt sich auf Kothurnen.
Ihr wendet weg von jenem Volk der Zwitter
Die müden Augen und ich muß es preisen,
Und will, da viele mich verschrien als bitter,
Euch meine Süßigkeit einmal beweisen:
Die Sonne bring ich nach dem Ungewitter,
Einladend euch, mit mir ein Stück zu reisen,
Ein Märchen aus dem Orient zu lesen,
Der meiner Jugend schon so lieb gewesen!
Und weil mir vorgeworfen ward, es wäre
Mein Vers zu gut für eure blöden Ohren,
Und allzukunstreich meine ganze Sphäre,
Weil euch der Wein behagt unausgegoren,
Den sonst ich gern wohl durch Gedanken kläre,
So hab ich diesmal ein Gewand erkoren,
Ganz schlicht und einfach und bequem zu fassen,
Das kaum verhüllt den Stoff in keusche Massen.
Auch mir zuweilen macht’s ein bißchen Galle,
Daß ich so wenig noch getan auf Erden,
Und wenn ich euch im Ganzen nicht gefalle,
So führ ich deshalb keineswegs Beschwerden;
Doch wünscht ich manchmal, wie die Andern alle,
Zu euren Klassikern gezählt zu werden:
Die Ehre freilich ist ein bißchen mager,
Denn wer ins Hörn bläst, heißt sogleich ein Schwager.
Drum hab ich euch dies neue Lied gesponnen,
Das weder Zeit mir noch Kritik verheere;
Es ist, wofern mir unter wärmern Sonnen
Gereift ein Lorbeer, seine reifste Beere:
Im alten Siena hab ich’s ausgesonnen;
Und dann mit mir geschleppt an beide Meere;
Und schlepp ich’s weiter, bitt ich nicht zu staunen;
Denn häufig wechseln meine Reiselaunen.
Und weil so mancherlei den Geist verführet,
So wechsl‘ ich Aufenthalte gern und Ziele,
Und unter Welschlands Firmament gebühret
Ein bißchen Trägheit, das bezeugen Viele:
Ich habe mehr gedacht als ausgeführet,
Und hätt ich alle jene Trauerspiele,
Zu denen ich den Plan gemacht, geschrieben,
Ich wäre nicht so unberühmt geblieben!
Nie kann der Mensch, wieviel er auch vollende,
Wie kühn er sei, sich zeigen als ein Ganzes,
Und was er ausführt, gleicht es nicht am Ende
Zerstreuten Blumen eines großen Kranzes?
Drum Heil den Dichtern, deren reicher Spende
Deutschland verdankt den Gipfel seines Glanzes,
Die nie mit Denken ihre Zeit verputzen,
Und statt des Geistes bloß die Feder nutzen!
Und will Begeistrung ihnen nicht erscheinen,
So hilft die Mokkafrucht, so hilft die Rebe:
Vom Trunk erhitzt und auf gelähmten Beinen
Hält sich der deutsche Pindus in der Schwebe;
Ich zähle mich hingegen zu den kleinen
Poeten, der ich mäßig bin, und gebe
Mich ganz und gar für einen schlechten Prasser:
Auch misch ich täglich meinen Wein mit Wasser.
Drum konnt ich wenig eure Gunst gewinnen,
Entzünde nicht, da selbst ich nicht entzündet,
Da meine Musen, als Begleiterinnen
Des Wahren, nie dem Pöbel sich verbündet.
Es war ein allzu jugendlich Beginnen,
Daß ich, wie Joseph, meinen Traum verkündet;
Draus hat sich mir der Brüder Neid entsponnen,
Die gern mich würfen in den tiefsten Bronnen.
Doch bis hieher zu weitentferntem Strande
Kann Lieb und Haß den Dichter nicht beschreien!
Hier mag er weilen, unzerstreut vom Tande,
Vom bunten Wirrwarr deutscher Klatschereien;
Er konnte hier, in einem Zauberlande,
Die bange Brust von jedem Schmerz befreien:
Es steht bei dir, ihm vorzuziehn Lappalien,
Du nordisch Volk, ihn aber schützt Italien!
Deutschland verehrt zu vielerlei Pagoden,
Und Einer stets bekämpft des Andern Meinung:
Dies trübe Chaos tausendfacher Moden,
In welchem Punkte fänd es je Vereinung?
Der Dichter steht auf einem solchen Boden
Gleich einer fremden sonderbarn Erscheinung:
Er hört das wilde Heer von ferne wüten,
Erschrickt und flieht, und birgt sich unter Blüten.
Hier kann er froh sein und des Tags genießen,
Dort müßt er frieren, Buße tun und darben;
Hier kann Gesang am reinsten sich ergießen,
Denn welche Dichter lebten hier und starben!
Drum kann zu fliehn er sich noch nicht entschließen
Das Reich des stäten Lenzes und der Farben.
Indessen wünscht er sich geneigte Leser
Vom Strand der Donau bis zum Strand der Weser!
Zwar hie und da bewirkt er kein Behagen,
Weil ihn die Mandarine streng verbieten;
Doch, fürcht ich, wird sie lange Weile plagen,
Wenn sie die Welt zurückgeführt auf Nieten.
Auch läßt sich Wahrheit nicht so leicht verjagen:
Johannes Huß und andre Ketzer brieten,
Ihr Wort jedoch erklang von Ort zu Orte:
Welch eine Tugend ist die Kunst der Worte!
Zwar hier und da giebt’s keine Demagogen;
Doch Seelen giebt’s, durch Worte nicht erreichbar,
Mit siebenfachem Leder überzogen,
Dem Schild des Ajax im Homer vergleichbar.
Sie sind wie steile Klippen in den Wogen,
Auf ewig hart, auf ewig unerweichbar:
Es spritzt die Flut empor mit leisen Scherzen,
Und schmiegt sich an, als hätten Steine Herzen!
Doch nun erzähl ich, statt ein Grillenfänger
Zu scheinen euch und euch die Zeit zu rauben,
Wenn ihr mir anders noch ein Stündchen länger
Zuhören wollt und meinen Worten glauben,
Wenn anders je mich, wie Horaz den Sänger,
Als blondes Kind verliebte Turteltauben
Bestreut mit Lorbeer, den sie mit dem Schnabel
Für mich gepflückt im schönen Land der Fabel.