Gedichte Rast auf der Flucht in Aegypten

Diese, die noch eben atemlos
Flohen mitten aus dem Kindermorden:
O wie waren sie unmerklich groß
Über ihrer Wanderschaft geworden.

Kaum noch daß im scheuen Rückwärtsschauen
Ihres Schreckens Not zergangen war,
Und schon brachten sie auf ihrem grauen
Maultier ganze Städte in Gefahr;

Denn so wie sie, klein im großen Land,
– fast ein Nichts – den starken Tempeln nahten,
Platzten alle Götzen wie verraten
Und verloren völlig den Verstand.

Ist es denkbar, daß von ihrem Gange
Alles so verzweifelt sich erbost?
Und sie wurden vor sich selber bange,
Nur das Kind war namenlos getrost.

Immerhin, sie mußten sich darüber
Eine Weile setzen. Doch da ging
Sieh: der Baum, der still sie überhing,
Wie ein Dienender zu ihnen über:
Er verneigte sich. Derselbe Baum,
Dessen Kränze toten Pharaonen
Für das Ewige die Stirnen schonen,
Neigte sich. Er fühlte neue Kronen
Blühen. Und sie saßen wie im Traum.


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Gedichte Rast auf der Flucht in Aegypten - Rilke