Gedichte Das Geheimnis der Reminiszenz

An Laura

Ewig starr an deinem Mund zu hangen,
Wer enträtselt dieses Wutverlangen?
Wer die Wollust, deinen Hauch zu trinken,
In dein Wesen, wenn sich Blicke winken,
Sterbend zu versinken?

Fliehen nicht verräterisch – wie Sklaven,
Weggeworfen feigen Muts die Waffen, –
Meine Geister, hin im Augenblicke,
Stürmend über meines Lebens Brücke,
Wenn ich dich erblicke?

Sprich, warum entlaufen sie dem Meister?
Suchen dort die Heimat meine Geister?
Oder küssen die getrennten Brüder,
Losgerafft vom Kettenband der Glieder,
Dort bei dir sich wieder? –

Laura? träum ich? ras ich? – die Gedanken
Überwirbeln des Verstandes Schranken –
Sieh! der Wahnsinn ist des Rätsels kunder,
Staune Weisheit auf des Wahnsinns Wunder
Neidischbleich herunter.

Waren unsre Wesen schon verflochten?
War es darum, daß die Herzen pochten?
Waren wir im Strahl erloschner Sonnen,
In den Tagen lang begrabner Wonnen,
Schon in eins zerronnen?

Ja wir warens – Eins mit deinem Dichter
Warst du, Laura – warst ein Weltzernichter! –
Meine Muse sah es auf der trüben
Tafel der Vergangenheit geschrieben:
Eins mit deinem Lieben!

Aber ach! – die selgen Augenblicke
Weinen leiser in mein Ohr zurücke –
Könnten Grolls die Gottheit Sünder schelten,
Laura – den Monarchen aller Welten
Würd ich Neides schelten.

Aus den Angeln drehten wir Planeten,
Badeten in lichten Morgenröten,
In den Locken spielten Edens Düfte,
Und den Silbergürtel unsrer Hüfte
Wiegten Maienlüfte.

Uns entgegen gossen Nektarquellen
Tausendröhrigt ihre Wollustwellen,
Unserm Winke sprangen Chaosriegel,
Zu der Wahrheit lichtem Sonnenhügel
Schwang sich unser Flügel.

Unsern Augen riß der Dinge Schleier,
Unsre Blicke, flammender und freier,
Sahen in der Schöpfung Labyrinthen,
Wo die Augen Lyonets verblinden,
Sich noch Räder winden –

Tief, o Laura, unter jener Wonne
Wälzte sich des Glückes Nietentonne,
Schweifend durch der Wollust weite Lande
Warfen wir der Sättgung Ankerbande
Ewig nie am Strande –

Weine, Laura – dieser Gott ist nimmer,
Du und ich des Gottes schöne Trümmer,
Und in uns ein unersättlich Drängen
Das verlorne Wesen einzuschlingen,
Gottheit zu erschwingen.

Darum, Laura, dieses Wutverlangen,
Ewig starr an deinem Mund zu hangen,
Und die Wollust, deinen Hauch zu trinken,
In dein Wesen, wenn sich Blicke winken,
Sterbend zu versinken.

Darum fliehn, verräterisch, wie Sklaven,
Weggeworfen feigen Muts die Waffen,
Meine Geister, hin im Augenblicke!
Stürmend über meines Lebens Brücke
Wenn ich Dich erblicke!

Darum nur entlaufen sie dem Meister,
Ihre Heimat suchen meine Geister,
Losgerafft vom Kettenband der Glieder,
Küssen sich die langgetrennten Brüder
Wiederkennend wieder.

Töne! Flammen! zitterndes Entzücken!
Wesen lechzt, an Wesen anzurücken –
Wie, beim Anblick einer Freundsgaleere,
Friedensflaggen im Ostindermeere
Wehen lassen Heere;

Aufgejagt von froher Pulverwecke,
Springt das Schiffsvolk freudig aufs Verdecke,
Hoch im Winde schwingen sie die Hüte,
Posidaons wogendes Gebiete
Dröhnt von ihrem Liede. –

War es nicht dies freudige Entsetzen,
Als mirs ward, an Lauren mich zu letzen?
Ha! das Blut, voll wütendem Verlangen,
Drängte sich mutwillig zu den Wangen,
Lauren zu empfangen –

Und auch du – da mich dein Auge spähte,
Was verriet der Wangen Morgenröte? —
Flohn wir nicht, als wären wir verwandter,
Freudig, wie zur Heimat ein Verbannter,
Brennend aneinander? –

Sieh, o Laura, deinen Dichter weinen! –
Wie verlorne Sterne wieder scheinen,
Flimmen öfters, flüchtig, gleich dem Blitze,
Traurigmahnend an die Göttersitze,
Strahlen durch die Ritze –

Oftmals lispeln der Empfindung Saiten
Leise Ahndung jener goldnen Zeiten –
Wenn sich schüchtern unsre Augen grüßen,
Seh ich träumend in den Paradiesen
Nektarströme fließen. –

Ach, zu oft nur waffn‘ ich meine Mächte,
Zu erobern die verlornen Rechte –
Klimme kühner bis zur Nektarquelle,
Poche siegend an des Himmels Schwelle, –
Taumle rück zur Hölle!

Wenn dein Dichter sich an deine süßen
Lippen klammert mit berauschten Küssen,
Fremde Töne um die Ohren schwirren,
Unsre Wesen aus den Fugen irren,
Strudelnd sich verwirren,

Und, verkauft vom Meineid der Vasallen,
Unsre Seelen ihrer Welt entfallen,
Mit des Staubs Tyrannensteuer prahlen,
Tod und Leben zu wollüstgen Qualen
Gaukeln in den Schalen.

Und wir beide – näher schon den Göttern –
Auf der Wonne gähe Spitze klettern,
Mit den Leibern sich die Geister zanken,
Und der Endlichkeit despotsche Schranken –
Sterbend – überschwanken –

Waren, Laura, diese Lustsekunden
Nicht ein Diebstahl jener Götterstunden?
Nicht Entzücken, die uns einst durchfuhren?
Ineinanderzuckender Naturen,
Ach! nur matte Spuren?

Hat dir nicht ein Strahl zurückgeglostet?
Hast du nicht den Göttertrank gekostet? –
Ach! ich sah den Purpur deiner Wangen! –
War es doch der Wesen, die sich schlangen,
Eitles Unterfangen! –

Laura – majestätisch anzuschauen,
Stand ein Baum in Edens Blumenauen;
„Seine Frucht vernein ich eurem Gaume,
Wißt! der Apfel an dem Wunderbaume
Labt – mit Göttertraume.“

Laura – weine unsers Glückes Wunde! –
Saftig war der Apfel ihrem Munde —
Bald – als sie sich unschuldsvoll umrollten –
Sieh! – wie Flammen ihr Gesicht vergold’ten! –
– Und die Teufel schmollten.


1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars (1 votes, average: 5,00 out of 5)

Gedichte Das Geheimnis der Reminiszenz - Schiller