Gedichte Erstes Buch

Ihr Wolken, die ihr bunt den Himmel säumet,
Aufsteigt, Gestalten wechselt und vergehet!
Ihr Wellen, die ihr Sterne jetzt beschäumet,
Jetzt tief zum Abgrund stürzt, jetzt neu erstehet!
Ihr Winde, die ihr diese Wellen bäumet
Und jene Wolken durch die Lüfte wehet!
Euch ruf ich an als Musen, führt zum Ziele
Mein Lied von der Fortuna laun’schem Spiele!

Glück zu! schon sind die Segel aufgezogen,
Von Zyperns Küste stößt das fremde Schiff,
Da zeigt sich noch mit Federspiel und Bogen
Ein schlanker Jüngling auf dem nahen Riff.
Er ruft, er springt hinab, er teilt die Wogen,
Bis er das zugeworfne Tau ergriff.
Mit einem Zug ist er an Bord gerissen
Gleichwie ein Stör, der in die Angel bissen.

Das Schiff, woselbst der Jüngling angeschwommen,
Es war ein guter Venezianer Mast,
Der von Jerusalem zurückgekommen
Und Wasser hier nebst Zyperwein gefaßt.
Gar freundlich ist der Schwimmer aufgenommen,
Man drängt sich um den wunderlichen Gast.
Da setzt er ruhig sich auf eine Tonne
Und spricht also, sich trocknend an der Sonne:

„Ihr guten Herren, die ihr jetzt mein Ohr
Mit Fragen täubet und mein Kleid zerzauset,
Wißt denn, mein Vater ist Herr Theodor,
Der dort in Famagustas Mauern hauset!
Er war der reichste Bürgersmann hievor,
Die Freunde haben ihm sein Gut verschmauset;
Frau Graziana, die geehrte Dame,
Ist meine Mutter, Fortunat mein Name.

Nun denkt ihr leicht, und ich bekenn es ehrlich,
Daß mir’s daheim nicht sehr behagen mochte,
Für Durst zu trinken und zu speisen nährlich,
Wo man vordem zahllosen Gästen kochte;
Ermunternde Gesellschaft fand sich spärlich,
Wenn nicht ein Gläubiger zuweilen pochte,
Noch minder taugten, mich zu unterhalten,
Der Mutter Sorgenblick, des Vaters Falten.

Mein einzig Labsal blieb die Jägerei;
Und ward, bei rings verhegtem Königsforste,
Mir nie ein Wild mit stattlichem Geweih,
Viel weniger ein Tier mit stolzer Borste,
Ein Vogel kaum, mit hungrigem Geschrei
Hintaumelnd um die dürren Klippenhorste,
Doch tat mir’s gut, auf Felsen und in Klüften
Umherzuklettern und die Brust zu lüften.

Und heute sah ich just aus meiner Wüste
Das Schiff die Segel ungeduldig schwellen,
Da faßte mich ein plötzliches Gelüste,
Der reisemut’gen Schar mich zu gesellen.
Gedacht, getan! ich rannte flugs zur Küste,
Ein sichrer Schwimmer, sprang ich in die Wellen.
Fleug, Falke, nun nach Süden oder Norden!
Dein Jäger ist ein freier Seemann worden.

Ach! eines fällt mit einmal mir aufs Herz:
Hin fuhr ich, ohne nur Valet zu sagen.
Oft mahnt ich zwar die Eltern, halb im Scherz:
Viel Glück ist in der Welt noch, laßt mich’s wagen!
Dennoch trifft unerwartet sie der Schmerz,
Mir ist, als hört ich die Verlaßnen klagen;
Die Mutter sonderlich, die gute Mutter,
Sie weint so leicht, sie hat ein Herz wie Butter.

Weil’s aber nun geschehn und schon die Zinnen
Von Famagusta fern hinabgetaucht,
So muß ich jetzt auf andre Dinge sinnen,
Denn blutt und bloß bin ich hiehergehaucht.
Durch Herrendienst möcht ich mein Brot gewinnen.
Ist keiner hier, der einen Diener braucht?
Manch edeln Ritter seh ich ja im Kreise,
Ich dient ihm wohl, daheim und auf der Reise.“

Er sprach’s und ließ die Blicke forschend wandern,
Bis sie auf einem festgeheftet blieben:
Das war der edle Graf Hubert von Flandern,
Der sich auf frommen Fahrten umgetrieben;
Ansehnlich stand er da vor allen andern,
Wohlwollen war dem Antlitz eingeschrieben,
Und leicht verstehend unsres Jünglings Auge,
Sprach lächelnd er: „Schlag ein, wenn ich dir tauge!

Denn sind wir nicht ein seltsames Gespann,
Nach Sinn und Neigung ganz und gar verschieden?
Du reißt dich eben aus der Heimat Bann
Und willst in weiter Welt ein Glück dir schmieden,
Dagegen ich ein reisemüder Mann,
Der nach den Stürmen Ruhe sucht und Frieden,
Der sehnlich wünscht, nach mannigfachen Fährden
Zum Port des Ehstands eingelotst zu werden.“

„Ein Port die Ehe!“ rief der Narr des Grafen,
Er war zum heil’gen Grabe mitgefahren,
„So möge doch vor solchen Ruhehafen
Der Himmel jeden Biedermann bewahren!
Ein Meer ist sie, des Wellen nimmer schlafen,
Drauf ewig sich die tollen Stürme haaren,
Ein falsches Meer, ein wildes Meer, Eur Liebden,
Ein höllisch Meer von Skyllen und Charybden!

Zwei Dinge brachten mich zu dem Entschluß,
Den frischen Leib der Seefahrt preiszugeben:
Das eine war der Andacht Überfluß,
Die Sehnsucht, an dem heil’gen Grab zu kleben;
Das andre war der tägliche Verdruß,
Der mir geblüht im lieben Eheleben.
Nie hat dies Schiff im Sturme so geschwanket,
Wie unser Häuschen, wenn mein Weib gezanket.“

Doch laßt uns, was der Schalksnarr weiter spricht,
Mit einer Göttin Selbstgespräch vertauschen!
Seht ihr die neckische Fortuna nicht
Aus jener goldnen Wolke niederlauschen?
Sie schaut das Schiff im heitern Morgenlicht,
Sie hört die muntern Ruderschläge rauschen.
Denn wird ein Anker irgendwo gelichtet,
Dahin ist gleich Fortunens Blick gerichtet.

„Ha!“ spricht sie, „fahre wohl auf schwankem Kiel!
Fahr wohl, mein Fortunat, du goldner Knabe!
O Heil mir, daß hieher mein Auge fiel,
Wo längst Gesuchtes ich gefunden habe!
Du Vogelfreier, sei mein luftig Spiel!
Dich werd ich redlich tummeln bis zum Grabe,
Dich werd ich, meine Macht an Tag zu legen,
Durch Lust – und Trauerspiele frisch bewegen.

Durch Trauerspiele, ja! wenngleich die Dichter
Als Zufall in das Lustspiel mich gebannt.
Sie ziehen, traun! so wichtige Gesichter,
Wie zum Verwaltungsrat der Welt ernannt.
Und vor dem Stuhle dieser ird’schen Richter
Werd ich für blind, für ungerecht erkannt.
Bedachte keiner denn, daß mit der Binde
Die strenge Dike selbst ihr Aug umwinde?

Ein Wesen haben sie nun ausgesonnen,
Verhängnis heißt es, finster, rätselhaft.
Bereiteste Rechtspfleg ist hier gewonnen
Wie bei der Feme dunkler Brüderschaft.
Ein Mord ist, eh drei Stunden hingeronnen,
Bered’t, verübt, gerichtet, abgestraft.
Was ist’s, wo ist es denn? Man sagt dem Volke:
Gafft nur hinauf und seht die schwarze Wolke!

Kein Wunder denn, daß längst ich meine Gunst
Der überweisen Dichterzunft entzogen!
Nach Brote ging von jeher alle Kunst,
Den Dichtern wird’s am kargsten zugewogen.
Doch nähren sie ja gerne sich vom Dunst
Und weiden sich am bunten Regenbogen;
Ist einem alles Lebensglück verdorben,
Geduld! man ehrt ihn schön, wenn er gestorben.

Zwar hat soeben einer von der Gilde
Ein Lied, das mir geweiht ist, angehoben,
Doch wenig Gutes führet er im Schilde,
Drauf deuten schon die wunderlichen Proben,
Auch war ich seither ihm nicht allzu milde,
Und wenig Ursach fand er, mich zu loben,
Drum bind ich ihm noch fürder so die Hände,
Daß er es mühsam oder nie vollende.

Mein Fortunat! von welchem ungesehen
Und ungehört ich hier in Wolken hange,
Du wirst, ich hoff’s, dich nie zum Dichter blähen,
Sonst wär es mir um unsre Freundschaft bange;
Ein Liedchen höchstens kann ich zugestehen,
Das man vor Frauen singt zum Lautenklange.
Nimm alles leicht! das Träumen laß und Grübeln!
So bleibst du wohlbewahrt vor tausend Übeln.“

Mit diesen inhaltschweren Götterworten
Sag ich von anderem Bericht mich ledig;
Nichts von der Anfahrt in so manchen Porten,
Nichts von beglückter Landung in Venedig,
Nichts von dem Eintritt in die Gentschen Pforten,
Nicht wie der Graf, dem Jüngling mehr als gnädig,
So stattlich ihn beritten macht und kleidet,
Daß ihn die ganze Dienerschaft beneidet.

Auch von des Grafen festlicher Vermählung
Mit einer herzoglichen Braut von Cleve
Erspar ich mir, wie billig, die Erzählung,
Kein Lorbeer grünet hier für meine Schläfe.
Erst als die Lust gehetzt bis zur Entseelung,
Der Freudenkelch geleert bis auf die Hefe,
Erst nach der Ritterfeste vierzehn Sonnen
Hat, was zu melden sich verlohnt, begonnen.

Wann schon der Schnitter Fleiß in vollen Schwaden
Des Sommers goldnen Segen hingebreitet,
Wann schon die Erntewagen, hoch geladen,
Hinfahren, von Gesang und Klang begleitet,
Ist auf der Stoppelfelder öden Pfaden
Der Ährenlese magres Fest bereitet.
O gieriges Gewühl zerlumpter Knaben,
Barfüß’ger Mädchen, heischrer Krähn und Raben!

So auf den Plan, der vom Turnei der Ritter
Zerwühlt ist und umwölkt mit Staub und Dampf,
Wo abgeknickte Büsche, Lanzensplitter,
Schildtrümmer zeugen von dem heißen Kampf,
Wo rings zerquetscht die Schranken und die Gitter
Von wilder Rosse mächtigem Gestampf:
Dorthin berufet nun zum Nachgefechte
Trommetenschall die Knappen und die Knechte.

Wohl nennt uns der homerische Gesang
Die Völker und die Häuptlinge des breiten,
Die hier vom Strand aufziehn im Donnergang,
Die dort aus Trojas Mauern niederschreiten;
Mich aber spornet kein vermeßner Drang,
Mit solchem Meister um den Kranz zu streiten,
Drum meld ich kurz die Männer und die Rotten,
Die zum Turniere traben oder trotten.

Des Vorsaals und des Stalles edle Stämme,
Man sieht sie allesamt zu Gaule steigen,
Wer je ein Roß geritten in die Schwemme,
Der will sich heut als wackern Renner zeigen.
Der Meister Kellner auch ist keine Memme,
Gevatter Koch ist keiner von den Feigen,
Selbst der noch jüngst den Bratspieß mußte wenden,
Er sprengt heran, den Lanzenschaft in Händen.

Und keinen dieser Tapfern soll man schelten,
Erscheint er nicht sogleich beim ersten Ruf,
Denn widerspenst’ge Rosse sind nicht selten,
Und manche gibt’s, die Gott sehr träge schuf.
Auch muß ja alles heut für Streitroß gelten,
Was irgend Mähne zeigen kann und Huf;
Zieht schon ein Ohr sich merklich in die Länge,
Die Wappenschau ist heut nicht allzu strenge.

Ein hölzern Männlein, wunderlich geschmückt,
Ist aufgestellt vor all den kühnen Recken,
Ein Männlein, in die Stellung hingebückt,
Die hinter Zäunen heimisch ist und Hecken;
Durch innere Gewerke vorgedrückt,
Entfallen Münzen in ein klingend Becken;
Je länger sie den Preis sich streitig machen,
Je reicher stets wird er dem Sieger lachen.

Nach diesem segenschwangern Bilde blickt
Mit heißer Sehnsucht manch ein armer Knappe.
Wen aber mehr die edle Ruhmgier zwickt,
Dem winkt ein goldnes Diadem von Pappe,
Rings von Kapaunenfedern bunt umnickt,
Ein Mittelding von Kron und Narrenkappe.
Nichts Seltsames noch Ärmlichs hegt die Erde,
Drum nicht geworben und gehadert werde.

Als nun zum Angriff die Trommete schallt,
Da kommt’s von allen Seiten hergeschossen;
Mit Schwertern, Kolben, Lanzen, neu und alt,
Wird dreingehaun, geschlagen und gestoßen.
Das pfeift und zischt, das schmettert und das prallt
Die kreuz und quer wie Hagelsturm und Schloßen,
Und als am tollsten sich gewirrt der Knäuel,
Verhüllet dichter Staub den ganzen Greuel.

Doch wie aus düstrem, nebelschwerem Himmel
Mit flücht’gem Schimmer blickt ein Sonnenstrahl,
So bricht aus jenem stäubenden Gewimmel
Der schmucke Fortunatus manchesmal;
Er tummelt meisterhaft den raschen Schimmel,
Er glänzt in bunter Tracht und blankem Stahl,
Recht ritterlich erscheint er, fest und munter,
Bald taucht er auf, bald wieder taucht er unter.

Zuletzt, als sich der wilde Lärm gelegt
Und nun das dichte Staubgewölke sinkt,
Da sieht man erst, was sich am Boden regt,
Wie mancher kraftlos dort um Hülfe winkt,
Auch manchen, der nach seinem Rosse frägt,
Und manchen, der beschämt vom Platze hinkt:
Nur Fortunat sitzt aufrecht in den Bügeln
Und: Sieger, Sieger! hallt’s von allen Hügeln.

Seit dieses Tages wohlerworbnen Kränzen
Hält ihn der Graf noch werter als zuvor,
Vor allen andern soll der Jüngling glänzen,
Er steigt zum ehrenvollsten Dienst empor,
Beim Mahle darf er den Pokal kredenzen,
Die Schlüssel wahrt er zu des Burghofs Tor,
Man sendet ihn, zu laden hohe Gäste,
Er folgt dem Herrn zum Jagen und zum Feste.

Und will die Gräfin oft an Regentagen
Sich selbst und ihren Fraun Kurzweil bereiten,
So heißt sie ihn die griech’sche Zither schlagen
Und Heimatliedchen singen in die Saiten,
Auch gibt’s von Zypern mancherlei zu fragen,
Von Frauentracht und andern Seltsamkeiten,
Er sagt’s in bösem Deutsch, doch zierlich immer,
Von hellem Lachen hallen dann die Zimmer.

Je reicher ihm die Gnade zugemessen,
Je gift’ger schwillt der andern Diener Neid,
Zumal dem Narren will’s das Herz zerfressen,
Verschmäht zu sein wie ein verbrauchtes Kleid,
Denn niemand horchet jetzt den frost’gen Späßen
Von bösen Weibern und von Eheleid;
Wie könnten sie dem neuen Paare munden
In seiner Ehe goldnen Flitterstunden?

Es war an einem Abend in der Schenke,
Schon zog die ernste Mitternacht ins Land,
Schon leerten mählich sich die meisten Bänke,
Nur eine Kameradschaft hielt noch stand;
Doch lehnt sich, müd von Zechen und Gezänke,
Der auf den Tisch und jener an die Wand;
Die Lampe hängt ersterbend von der Decke,
Da hebt der Narr sich an des Tisches Ecke:

„Nicht mehr verbeiß ich diesen herben Kummer,
Maulhenker ihr, Schlafmützen, Memmen, Tröpfe!
Erwacht einmal aus eurem dumpfen Schlummer,
Ehrlose, sinnverlassene Geschöpfe!
Geschehn nicht Dinge, schreien möcht ein Stummer?
Ihr aber schweigt dazu und kratzt die Köpfe.
Hat sich die Welt so wunderbar verwandelt,
Daß nur der Narr noch denkt und spricht und handelt?

Der Fremdling, den wir aus dem Meer gezogen,
Viel besser hätten wir ihn drin versenkt,
Der unsern Herrn beschmeichelt und belogen,
Der unsre Frau am Narrenseile lenkt,
Der um den Kampfpreis schmählich uns betrogen,
War doch die beste Rüstung ihm geschenkt:
Den seht ihr uns verdrängen, uns zernichten,
Und keiner wagt, sich männlich aufzurichten?

Merkt auf! mir schieße jeder dritthalb Taler,
So schaff ich den Verhaßten euch vom Ort.
Das Doppelte gelob ich jedem Zahler,
Ist jener nicht in dreißig Tagen fort.
Ihr gafft mich an, ihr wähnt, ich sei ein Prahler?
Nein, Freunde! Narrenwort ist auch ein Wort.
So eilig soll er aus dem Lande jagen,
Als wollt er mit dem Sturm die Wette wagen.“

Noch war der scharfe Redner nicht am Ende,
Als jeder schon entflammt vom Sitze fuhr.
Die Gläser wirft man jubelnd an die Wände,
Und mancher trägt des Eifers blut’ge Spur;
Dann reichen sie zum Bunde sich die Hände
Gleich der Versammlung, die im Rütli schwur;
Die Glocke kündet zwölf mit dumpfem Schalle,
Die Lamp erlischt, nach Hause taumeln alle.

Von dieser Zeit an wirbt der lust’ge Rat
Um unsres Jünglings Neigung und Vertrauen.
O Fortunat, mein teurer Fortunat!
Du machst mir bang, du hast’s mit einem Schlauen.
Nicht wahr, er dienet dir mit Rat und Tat,
Führt dich zu gutem Wein und schönen Frauen?
Er lobt dich, nennt dich einen schmucken Ritter?
Wohl weiß er, solche Rede schmeckt nicht bitter.

Und seltsam! was das traute Paar verzehrt,
Der Narr bezahlt die Zeche stets von beiden:
So sehr der ehrenhafte Jüngling wehrt,
Er kann es doch am Ende nie vermeiden.
Den andern dünkt das alles höchst verkehrt:
„Will er ihm so den Aufenthalt verleiden?
Wär Fortunatus noch auf Zyperns Küste,
Er käme flugs, wenn er solch Leben wüßte.“

Einsmals, zur Ruhe war die Herrschaft schon,
Der Jüngling war noch auf der Kammer wach,
Da hört‘ er draußen leisen Seufzerton,
Und bebend trat der Narr in das Gemach:
„O Fortunat, mein armer, liebster Sohn!
Ach, Fortunat, mein süßer Liebling, ach!
Beschlossen ist’s, es schaudert mir die Haut,
Mein Freund, der Kanzler, hat mir’s selbst vertraut.

Ach! du begreifst mich nicht; ich muß mich fassen,
Eh die Gefahr noch enger dich umstrickt.
O Freund! es hätte längst sich merken lassen,
Daß Eifersucht an seinem Herzen pickt.
Auch mochte wohl die Gräfin dich nicht hassen,
Sie hat dem Sänger freundlich oft genickt.
‚Ja!‘ schwur der Graf, ‚ich schaff es nächster Tage,
Daß er viel zärter noch die Triller schlage.‘

Der Siegesschmuck mit Federn und Kapaunen
Ward dir zu schlimmem Zeichen aufgesetzt.
Und morgen schon! ich hört‘ es deutlich raunen,
Die Stunde naht, das Messer ist gewetzt.
Statt deiner trug ich oft der Herrschaft Launen,
Wie gerne doch vertrat ich dich auch jetzt!
Und tät ich’s nicht zur Freundschaft dem Genossen,
Doch tät ich’s meinem Ehgespann zum Possen.

Zwar wenn es dir nicht allzu schrecklich wäre,
Geduldig dich zu fügen der Gewalt:
Du lebst an unsrem Hof in hoher Ehre,
Und nirgends triffst du besseren Gehalt,
Auch trocknet Freundeshand ja manche Zähre,
Wenn jemals ich für einen Freund dir galt –
Allein ich seh, du bebst an allen Gliedern,
Auf solche Antwort läßt sich nichts erwidern.

So höre denn ein Mittel, das dich rette!
Ein guter Engel flüstert’s mir ins Ohr.
Frühmorgens, wenn man läutet in die Mette,
Erschließet sich zuerst das Nordertor,
Dann, Teurer, hebe schleunig dich vom Bette
Und, wie zur Jagd gerüstet, reit hervor!
Bist du hinaus, dann laß dein Roß sich strecken!
Des Himmels Heere mögen dich bedecken!“

Er spricht’s, und des Erschrocknen bleiche Wange
Küßt er mit Judaskuß und schleicht nach Haus.
Dem neuen Attis ist’s so herzensbange,
Bald überläuft ihn Glut, bald kalter Graus.
Die längste Nacht, sie währt‘ ihm nie so lange,
Verzweifelnd blickt er nach dem Morgen aus;
Noch immer lächelt wie mit kaltem Hohne
Die keusche Luna nach dem Schmerzenssohne.

Mich selbst, den Dichter, überschauert’s leise,
Ist gleich der ganze Lug mir aufgedeckt,
Denn sollte Fortunat so schnöderweise
Gestümmelt werden, wie der Narr ihn schreckt,
So stürbe mir an meinem Lorbeerreise
Manch edles Blatt, das noch im Keime steckt,
So könnte mein Gesang ja nur ertönen
Vom Fortunat und nicht von seinen Söhnen.

Horch! was vernehm ich? hallet nicht Geläute?
Er ist’s, der Mettenglock ersehnter Klang.
O heller Laut, wie oft beriefst du Bräute,
In Lust erschreckende, zum Tempelgang!
Doch wie dem angstgequälten Jüngling heute,
So süß erklangst du nie, so freudig bang.
Kaum heben sich des Tores Gatterbalken,
Er sprengt geduckt hinaus mit Hund und Falken.

Und als nun hinter ihm die Mauern ragen,
Da fliegt er über Hecken hin und Gräben,
Die Dogge meint den schnellsten Hirsch zu jagen,
Der Falke meint in Sturmgewölk zu schweben,
Der Reiter nur will über Trägheit klagen
Und hört nicht auf, den heißen Sporn zu geben,
Entfiel ein Aug ihm in der großen Eile,
Es aufzuheben nähm er sich nicht Weile.

Die Meeresflut, unendlich hingegossen,
Sie setzet erst der wilden Flucht ein Ziel,
Doch eben will ein Schiff vom Strande stoßen,
Er dingt sich ein um wenig oder viel.
Zurück noch schickt er seine Reisgenossen,
Den Schimmel samt dem Hund und Federspiel.
Hin fährt das Schiff; wohin? ich kann’s nicht sagen,
Vergaß ja doch der Flüchtling selbst zu fragen!

So ging’s dem Jüngling in den Niederlanden,
Ich malte treu und redlich die Geschichten,
Auch etwas niederländisch, sei’s gestanden!
Man muß sich nach des Landes Weise richten,
Wie in Getränken, Speisen und Gewanden,
So manchmal auch im Malen und im Dichten.
Wird unser Schiff nach China hingeweht,
Mal ich chinesisch euch, so gut es geht.

Und will mich dennoch der und jener schmälen,
Daß ich sein feineres Gefühl beleidigt,
So hört denn, ekle Ohren, zarte Seelen,
Ein Wörtchen noch, das mich gewiß verteidigt!
Die Wahrheit darf ich nimmermehr verhehlen,
Dem altehrwürd’gen Buch bin ich vereidigt.
Sollt ich an ihm das Schmähliche vollziehen,
Dem unser Held meerüber muß entfliehen?


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Gedichte Erstes Buch - Uhland