Gedichte Der siebzigste Geburtstag

An Bodmer

Bei der Postille beschlich den alten christlichen Walter
Sanft der Mittagsschlummer in seinem geerbeten Lehnstuhl,
Mit braunnarbichtem Jucht voll schwellender Haare bepolstert.
Festlich prangte der Greis in gestreifter kalmankener Jacke:
Denn er feierte heute den siebzigsten frohen Geburtstag;
Und ihm hatte sein Sohn, der gelehrte Pastor in Marlitz,
Jüngst vier Flaschen gesandt voll alten balsamischen Rheinweins,
Und gelobt, wenn der Schnee in den hohlen Wegen es irgend
Zuließ‘, ihn zu besuchen mit seiner jungen Gemahlin.
Eine der Flaschen hatte der alte Mann bei der Mahlzeit
Ihres Siegels beraubt, und mit Mütterchen auf die Gesundheit
Ihres Sohnes geklingt, und seiner jungen Gemahlin,
Die er so gern noch sähe vor seinem seligen Ende!
Auf der Postille lag sein silberfarbenes Haupthaar,
Seine Brill und die Mütze von violettenem Sammet,
Mit Fuchspelze verbrämt, und geschmückt mit goldener Troddel.

Mütterchen hatte das Bett und die Fenster mit reinen Gardinen
Ausgeziert, die Stube gefegt und mit Sande gestreuet,
Über den Tisch die rotgeblümte Decke gebreitet,
Und die bestäubten Blätter des Feigenbaumes gereinigt.
Auf dem Gesimse blinkten die zinnernen Teller und Schüsseln;
Und an den Pflöcken hingen ein paar stettinische Krüge,
Eine zierliche Ell, ein Mangelholz und ein Desem.
Auch den eichenen Schrank mit Engelköpfen und Schnörkeln,
Schraubenförmigen Füßen und Schlüsselschilden von Messing,
(Ihre selige Mutter, die Küsterin, kauft‘ ihn zum Brautschatz:)
Hatte sie abgestaubt und mit glänzendem Wachse gebohnert,
Oben stand auf Stufen ein Hund und ein züngelnder Löwe,
Beide von Gips, Trinkgläser mit eingeschliffenen Bildern,
Zween Teetöpfe von Zinn, und irdene Tassen, und Äpfel.

Jetzo erhob sie sich vom binsenbeflochtenen Spinnstuhl
Langsam, trippelte leis auf knarrendem Sande zur Wanduhr
Hin, und knüpfte die Schnur des Schlaggewichts an den Nagel,
Daß den Greis nicht weckte das klingende Glas und der Kuckuck;
Sah dann hinaus, wie der Schnee in häufigen Flocken am Fenster
Rieselte, und wie der Sturm in den hohen Eschen des Hofes
Rauscht‘, und verwehte die Spuren der hüpfenden Krähn an der Scheune.

„Aber mein Sohn kommt doch, so wahr ich Elisabeth heiße!
(Flüsterte sie:) denn seht, wie die Katz auf dem Tritte des Tisches
Schnurrt und ihr Pfötchen leckt, und Bart und Nacken sich putzet!
Dies bedeutet ja Fremde, nach aller Vernünftigen Urteil!“

Sprach’s, und setzte die Tassen mit zitternden Händen in Ordnung,
Füllte die Zuckerdos, und scheuchte die summenden Fliegen,
Die ihr Mann mit der Klappe verschont zur Wintergesellschaft;
Nahm zwo irdene Pfeifen, mit grünen Posen gezieret,
Von dem Gesims und legte Tobak auf den zinnernen Teller.

Jetzo ging sie und rief mit leiser heiserer Stimme
Aus der Gesindestube Marie vom tummelnden Spulrad:

„Scharre mir Kohlen, Marie, aus dem tiefen Ofen, und lege
Kien und Torf hinein, und dürres büchenes Stammholz;
Denn der alte Vater, du weißt es, klaget beständig
Über Frost, und sucht die Sonne sogar in der Ernte.“

Also sprach sie; da scharrte Marie aus dem Ofen die Kohlen,
Legte Feurung hinein, und weckte die Glut mit dem Blasbalg,
Hustend, und schimpfte den Rauch, und wischte die tränenden Augen.

Aber Mütterchen brannt‘ am Feuerherd in der Pfanne
Emsig die Kaffeebohnen, und rührte sie oft mit dem Löffel;
Knatternd bräunten sie sich, und schwitzten balsamisches Öl aus.
Und sie langte die Mühle herab vom Gesimse des Schornsteins,
Schüttete Bohnen darauf, und nahm sie zwischen die Kniee,
Hielt mit der Linken sie fest, und drehte den Knopf mit der Rechten;
Sammelte auch haushältrisch die hüpfenden Bohnen vom Schoße,
Und goß auf das Papier den grobgemahlenen Kaffee.
Aber nun hielt sie mitten im Lauf die rasselnde Mühl an:

„Eile, Marie, und sperre den wachsamen Hund in den Holzstall,
Steig auf den Taubenschlag, und sieh, ob der Schlitten nicht ankommt.“

Also sprach sie; da eilte die fleißige Magd aus der Küche,
Lockte mit schimmlichem Brote den treuen Monarch in den Holzstall,
Krampte die Türe zu, und ließ ihn kratzen und winseln;
Stieg auf den Taubenschlag, und pustete, rieb sich die Hände,
Steckte sie unter die Schürz und schlug sich über die Schultern.
Jetzo sah sie im Nebel des fliegenden Schnees, wie der Schlitten
Dicht vor dem Dorfe vom Berg herklingelte, stieg von der Leiter
Eilend herab und brachte der alten Mutter die Botschaft.

Aber mit bebenden Knieen enteilte die Mutter; ihr Herz schlug
Ängstlich, ihr Othem war kurz, und im Laufen entflog ihr Pantoffel.
Näher und näher kam das Klatschen der Peitsch und das Klingeln;
Und nun schwebte der Schlitten herein durch die Pforte des Hofes,
Hielt an der Tür; und es schnoben, beschneit und dampfend, die Pferde.
Mütterchen eilte hinzu, und rief: „Willkommen! Willkommen!“
Küßt‘ und umarmte den lieben Sohn, der zuerst aus dem Schlitten
Sprang, und half der Tochter aus ihrem zottigen Fußsack,
Löst‘ ihr die samtne Kapuz, und küßte sie; Tränen der Freude
Liefen von ihrem Gesicht auf die schönen Wangen der Tochter.

„Aber wo bleibt mein Vater? Er ist doch gesund am Geburtstag?“
Fragte der Sohn; da tuschte die Mutter mit winkenden Händen:

„Still! er schläft! Nun laßt die beschneiten Mäntel euch abziehn;
Und dann weck ihn mit Küssen, du liebe trauteste Tochter!
Armes Kind, das Gesicht ist dir recht rot von dem Ostwind!
Aber die Stub ist warm; und gleich soll der Kaffee bereit sein!“

Also sprach sie, und hängt‘ an gedrechselte Pflöcke die Mäntel,
Öffnete leise die Klink, und ließ die Kinder hineingehn.
Aber die junge Frau mit schönem lächelndem Antlitz
Hüpfte hinzu, und küßte des Greises Wange. Erschrocken
Sah er empor, und hing in seiner Kinder Umarmung.


1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars (2 votes, average: 3,50 out of 5)

Gedichte Der siebzigste Geburtstag - Voß