Gedichte Die Leibeigenschaft

Erste Idylle
Die Pferdeknechte

Michel
Pfingsten wird klar. Ohne Hof ist der Mond, und hängt wie ein Kahn da.
Ehmals pflegt‘ ich mich wohl am heiligen Abend zu freuen;
Aber nun schallt mir das Festgebeier wie Totengeläute!

Hans
Michel, nicht so verzagt! Sieh, alles holt sich auf morgen
Kalmus und Blumen und Mai! Man ruht doch einmal vom Frondienst!
Laß uns ein wenig singen! Es klingt so prächtig des Abends!
Und die Pferde sind gut getüdert, und Lustig ist wachsam.
Ringsum duften die Maien, und lieblich röcheln die Frösche,
Und die Nachtigall schlägt dazwischen (wie sagst du noch, Michel?)
Wie durch den Salm der ganzen Gemeine die Stimme Lenorens.
Weißt du: Schon locket der Mai? Das ist dir ein kostbares Stückchen!
Sonntag lernt‘ ich’s von unserm Küster, (er hatt‘ es auf Noten!).
Als ich den bunten Kapaun mit jungen Enten ihm brachte.
Soll ich? Du brummst den Baß, oder pfeifst dazu auf dem Maiblatt.

Michel
Siehst du dort bei dem Mühlenteich was Weißes im Mondschein?
Dort! Und kennst du sie, Hans, die dort vergeblich ihr Brauthemd,
Ach vergeblich jetzt bleicht? und nötigst mich dennoch zum Singen?

Hans
Wohl! Lenore bewacht in der ströhernen Hütte die Leinwand!
Eben hört‘ ich ihren Gesang durch das Mühlengeklapper.
Aber was sagst du, Michel? Sie bleicht vergeblich ihr Brauthemd?
Schenkt euch nicht unser Herr bei dem Ährenkranze die Hochzeit?

Michel
Je! Such Treu und Glauben bei Edelleuten! Betrieger!
Schelme sind…

Hans
Pst! Ihm könnt‘ es sein kleiner Finger erzählen!

Michel
Laß ihn erzählen, was wahr ist! Verspricht der Kerl mir die Hochzeit,
Und die Freiheit dazu, für hundert Taler! Mein Alter,
Mit dem kahlen wackelnden Kopf, und mein krüpplicher Bruder,
Den der Kerl an die Preußen verkauft, und den die Kalmucken,
Tatern und Menschenfresser im Kriege zuschanden gehauen,
Scharren alles zuhauf, Schaumünzen mit biblischen Sprüchen.
Blanke Rubel, und schimmliche Drittel, und Speziestaler;
Und verkaufen dazu den braunen Hengst mit der Blässe,
Und den bläulichen Stier, auf dem Frühlingsmarkte, für Spottgeld.
Michel, sagen sie, nimm das bißchen Armut, den letzten
Not – und Ehrenschilling, und bring’s dem hungrigen Junker!
Besser, arm und frei, als ein Sklave bei Kisten und Kasten!
Wasser und trocknes Brot schmeckt Freien, wie Braten und Märzbier!
Weinend bring ich’s dem Kerl; er zählt es: Michel, die Hochzeit
Will ich euch schenken; allein… mit der Freiheit… Hier zuckt er die Achseln.

Hans
Plagt den Kerl der Teufel? Was schützt denn der gnädige Herr vor?

Michel
Hans, der Hund, den man hängen will, hat Leder gefressen.
Sieh, da hab ich sein Gras ihm abgewendet, zu flache
Furchen gepflügt, sein Korn halb ausgedroschen, und Gott weiß.
Kurz, die Rechnung ist höher, als hundert Taler. Ich dürfte,
Munkelt‘ er noch, nur geruhig sein; er hätte Vermutung,
Wer ihm neulich vom Speicher den Malter Rocken gestohlen.

Hans
Michel, hättst du das erste getan, so wär es kein Wunder.
Welche Treue verlangt der Junker von dem, der beständig
Unter dem Prügel des Vogts mit Schand, und Hunger und Not ringt?
Doch für das letzte verklag ihn bei unserm gnädigsten Landsherrn;
Denn ich will’s dir bezeugen, Johann der Lakai hat den Rocken
Mit Erlaubnis der gnädigen Frau vom Speicher gestohlen!

Michel
Hans! das Nachtmahl nehm ich darauf! ich bin ganz unschuldig!
Seit der leidigen Hoffnung, hab ich nicht Bäume geimpfet?
Nicht gezäunt? nicht die Hütte geflickt? nicht Graben geleitet?…
Aber verklagen! Durch wen? Wo ist Geld? Und erfährt es der Herzog?
Und die Minister, Hans? die Minister? Man weiß wohl, ein Rabe
Hackt dem andern die Augen nicht aus!… Ja, sing nur, Lenore!
Sing und spring auf der Wiese herum, du freie Lenore!
Frei soll dein Bräutigam sein! Er ist’s! Bald tanzen wir beide
Unsern Hochzeitsreigen, im langen jauchzenden Zuge,
Über Hügel und Tal… nach dem Takt, den der Prügel des Vogts schlägt!…
Aber du weinst? Um den Jungfernkranz, den die Dirnen dir rauben?
Trockne die Tränen! Du wirst ja ein freies glückliches Ehweib,
Bald die glückliche Mutter von freien Söhnen und Töchtern!…
Hans! mich soll dieser und jener! Ich lasse dem adligen Räuber
Über sein Dach einen roten Hahn hinfliegen, und zäume
Mir den hurtigsten Klepper im Stall, und jage nach Hamburg!

Hans
Aber, Michel, die Kinder!

Michel
Die Wolfsbrut? Fällt denn der Apfel
Weit vom Stamm? Und heult sie nicht schon mit den Alten, die Wolfsbrut?
Ging in den Tannen nicht gestern der Herr Hofmeister, und weinte?

Hans
Aber es heißt: Die Rach ist mein, und ich will vergelten,
Spricht der Herr! Und dann, dein armer Vater und Bruder!

Michel
Herrlicher Spruch: Die Rach ist mein, und ich will vergelten!
Ha! das erquickt! Ja, ich will geduldig leiden und hoffen!

Hans
Michel, du sprachst doch vom Tanz. Ich will dir ein Märchen erzählen.
Kennst du die wüste Burg? Mein seliger Oheim, der Jäger,
Lau’rt da im Mondschein einst auf den Fuchs, in den Zwölften. Mit einmal
Braust, wie ein Donnerwetter, das wütende Heer aus der Heide.
Hurra! rufen die Jäger, die Pferde schnauben, die Peitschen
Knallen, das Hifthorn tönt, und gewaltige feurige Hunde
Bellen hinter dem Hirsch, und jagen ihn grad in das Burgtor.
Oheim hält’s für die fürstliche Jagd, ob sein Tiras gleich winselt,
Denk mal, und geht (wie er denn zeitlebens ein herzhafter Kerl war!)
Ihnen nach in die Burg. Nun denk, wie der Satan sein Spiel hat!
Jäger und Pferd‘ und Hunde sind Edelleute, mit Manteln,
Langen Bärten, und eisernen Kleidern, und großen Perücken;
Wie die Schlaraffengesichter im Spiegelsaale des Junkers.
Weiber mit hohen Fontanschen und Bügelröcken und Schlentern
Fodern sie auf zum Tanz. Da rasseln dir glühende Ketten!
Statt der Musik erschallt aus den Wänden ein Heulen und Winseln.
Drauf wird die Tafel gedeckt. Ganz oben setzt sich der Stammherr
Vom hochadligen Haus, ein Straßenräuber. Sein Beinkleid,
Wams und Bienenkapp ist glühendes Eisen. Sie fressen
Blutiges Menschenfleisch, und trinken siedende Tränen.
Unsers Junkers Papa kriegt meinen Oheim zu sehen,
Nimmt den Becher voll Tränen, und bringt ihn: Da trink er eins, Jochen!
Jochen will nicht; er muß. Nun soll ich denn trinken, so trink ich,
Sagt er, in Gottes Namen! Und knall! war alles verschwunden.

Michel
Bald ist der Kerl dabei! Dann schallen ihm unsre Seufzer
Statt der Musik, dann brennen ihm unsre Tränen die Seele!

Hans
Hu! wie wird er dann springen! Wie wird sein Weib, das Gerippe!
Auf französisch dann fluchen, wenn keine Zofe die Ketten
Ihr nach der Mode mehr hängt! Da wird sich der Satan ergötzen!…
Michel, hast du Tobak? Die Mücken stechen gewaltig!…
Lustig, die Pferd‘! Euch soll, wo ihr dem Junker ins Korn geht!
Blitz! er prügelt‘ uns krumm und lahm! He! Lustig, die Pferde!

Zweite Idylle
Der Ährenkranz

Henning
Heda! du weiße Gestalt! Wer kommt durch die Haseln gerasselt?
Alle guten Geister…

Sabine
Ich bin ein höllischer Geist! Bu!

Henning
Aber du gehst, wie ein Engel des Lichts!

Sabine
Ich kann mich verstellen!

Henning
Höllischer Geist, was willst du?

Sabine
Dich holen!

Henning
So komm denn, und hol mich!…
Dirne! du lieber Teufel! wie beißest du mir in die Lippen!

Sabine
Singst du Schelm hier allein, und sagst mir kein einziges Wörtchen?
Wart nur, führ ich dir erst, als gebietende Frau, den Pantoffel!

Henning
Was den Pantoffel betrifft, wird morgen der Priester erläutern.
Aber wie fandst du mich?

Sabine
Ich geh da einsam im Garten
Und begieße den Rosmarin und die Myrte zum Brautkranz,
Seufz auch ein Stoßgebetlein um himmlischen Segen, und schlendre
Auf und ab, und seh nach der Tür: Ach! sollt‘ er wohl kommen?
Doch wer nicht kam, war Henning. Da hör ich am Teiche was klimpern:
Ah! das ist Henning, der singt! Wie der Blitz war ich über den Zaun hin,
Renne durch Disteln und Hecken zum Teich. O fühl, wie mein Herz klopft!

Henning
Liebes, süßes Sabinchen!

Sabine
Ja! liebes, süßes Sabinchen!
Und du läßt mich allein!… Weg, Henning! Kein Kuß! Ich bin böse!

Henning
Närrchen, die Hand von dem Mund! Ich will dir Rechenschaft geben.
Seit der Baron uns die Freiheit geschenkt, singt alles im Dorfe;
Aber alles im Dorf, ob ich’s schon nicht glaube, behauptet,
Ich sei der beste Sänger, und spiel am besten die Zither.
Morgen sind’s dreizehn Jahr, als nach der gesegneten Ernte,
Unter dem Klockengeläut und dem Schall der Trompeten und Pauken,
Uns der Baron freigab; und als Braut und Bräutigam, weißt du,
Müssen wir beid im Zug mit dem Ährenkranze vorangehn. …
Dirne! wir waren noch Kinder, und kannten nicht Knechtschaft noch Freiheit!
Aber du hörtest heut die kräftige Predigt, wie alles,
Alt und jung laut weint‘, und der Priester nicht reden konnte,
Und wir die Hand uns drückten…

Sabine
Du weinst? Schweig, Henning! Ich weiß schon!
Henning, der beste Sänger und bravste Bengel im Dorfe,
Hat ein Lied auf die Freiheit gemacht, um es morgen zu singen!
Nicht so? und schlich sich allein, um hübsch beweglich zu singen!
Schelmchen, küß mich dafür! Er verdient’s, der liebe Baron der!

Henning
Freilich! und mehr, als du glaubst, verdient’s der liebe Baron der!
Vater, dessen Wirtschaft dies Jahr am besten bestellt war,
Aß, wie gewöhnlich, heut bei der gnädigen Herrschaft zu Mittag.
Über der Mahlzeit sagt zu dem jüngsten Fräulein Amalchen
Heimlich dein kleiner Husar Adölfchen: Ach! morgen ist Urlaub!
Wer bringt morgen den Kranz? – Mein schönes Sabinchen und Henning! –
Ei! das ist schön! Heiraten sich die? – Heiraten? was ist das? –
Ei! dann tanzen sie erst, und schlafen dann beide beisammen!
Hast du das nie bei den Puppen gesehn? – Ja, getanzt wird morgen!
Auf der Wiese! da essen wir auch! Papa und Mama auch!
Schnell winkt ihm die Baronin, als zürnte sie: Junge, was schnackst du? –
Ja! ich weiß, was ich schnacke! Papa hat es selber gesagt wohl!
Wenn das Wetter so bleibt, kommt morgen der Onkel und Tante!
Dann wird draußen gespeist! Dann tanzen wir alle zusammen!
Ulrich, Johann und der Gärtner, die fiedeln uns auf! Und die Jäger
Albert und Heinrich, die stehn in den Buchen, und blasen das Waldhorn!
Nicht, Papa? Es ist auch mein schönes Sabinchen und Henning!
Lächelnd schilt der Baron den kleinen Schwätzer, und bittet
Meinen Vater, uns beiden doch nicht die Lust zu verderben.
Aber der alte Mann hat kaum zu Hause den Krückstock
Hinter den Ofen gestellt, so kann er sich länger nicht halten,
Weint wie ein Kind vor Freud, und erzählt mir die ganze Geschichte.

Sabine
O der vortreffliche Herr! Mir kommen selber die Tränen
In die Augen! Nun Gott wird unser Gebet ja erhören!
Sing mir doch, lieber Henning, o sing mir dein Lied von der Freiheit!
Aber wo bleibt der Kuß? Du denkst an den lieben Baron nur!

Henning
Mädchen!… Nun nimm auch die Hand von der Schulter! Sonst kann ich nicht singen!
Jede Hälfte vom Vers wiederholt ihr andern, und schlagt dann
Sens und Harke dazu. Ich will’s mit der Zither bemerken.

Wir bringen mit Gesang und Tanz
Dir diesen blanken Ährenkranz,
Wir Bräutigam und Braut!
Die Fiedel und Hoboe schallt!
Die Klocken gehn! und jung und alt
Springt hoch, und jauchzet laut!

Die Freiheit schenkt uns solchen Mut!
Die Dirn ist frisch, wie Milch und Blut,
Gerad und schlank wie Rohr!
Ihr Schnitter prahlt mit ihrem Strauß,
Und sieht so braun und bräsig aus,
Den Hut auf einem Ohr!

Der du zur Freiheit uns erhobst,
Komm her, und schau! Dort glüht das Obst,
Das seinen Baum beschwert!
Dort brüllen Rinder ohne Zahl!
Dort blöcken Schafe durch das Tal!
Dort stampft im Klee das Pferd!

Und ob’s der Sens an Korn gebrach,
Da frag die vollen Scheuren nach,
Bis an den Giebel voll!
Die Flegel klappern sonder Rast,
Der Städter holet Last auf Last;
Sie sind und bleiben voll!

Und, zeug uns! hungerharkten wir?
Fand nicht genung zu lesen hier
Der Wais und Witwe Hand?
Die hungerharken, die das Joch
Des Frones drückt, und harken doch
Meist Hedrich, Tresp und Brand!

Im blauen Tremsenkranz juchhein,
Zu Weidenflöten und Schalmein,
Die Kinder, rund und rot;
Und schenken froh dem bleichen Mann,
Des Sklavendorfes Untertan,
Ihr kleines Vesperbrot!

Wir ackern tief, und dröschen aus,
Und bessern Feld und Wies und Haus;
Kein Schweiß ist uns zu teu’r!
Kein harter Vogt steht hinter uns!
Ein Wink vom lieben Herrn; wir tun’s!
Und liefen durch das Feu’r!

Des Sonntags auf der Kegelbahn
Setzt alles auf dein Wohlsein an,
Und schlürft den letzten Tropf:
Laßt leben unsern Vater hoch!
Zerbrochen ist des Frones Joch!
Die Gläser übern Kopf!

Am Sommerabend singen wir,
Wir Bursch und Jungfern, vor der Tür,
Zur Fiedel und Schalmei:
Es lebe unser Vater hoch!
Er nahm von uns des Frones Joch!
Juchheissa! wir sind frei!

Wir bringen mit Gesang und Tanz
Dir, Vater, diesen Ährenkranz,
Wir Bräutigam und Braut!
Denk stets dabei an unsern Fleiß,
An unsre Lieb, und dessen Preis,
Der segnend auf uns schaut!

Er hängt! er hängt! der blanke Kranz!
Beginnt, ihr Schnitter, Reihentanz,
Und schreit mit frischem Mut:
Es lebe unser Vater hoch!
Und seine Frau und Kinder hoch!
Juchheissa! schwingt den Hut!

Sabine
Ei! du Bengelchen du! Wie geht das herrlich! Ja lange,
Lange lebe der gnädige Herr! Ach! denk dir das, Henning,
Wenn der Baron einst stirbt, und wir ihm Blumen aufs Grab streun!

Henning
Anders weint man dann hier, als dort, wo der Bauer mit Knochen
Seiner verfaulten Tyrannen das Obst abschleudert, und fluchend
Hin in die Grube sie wirft, wo der Pferd‘ und Hunde Gebein dorrt!

Sabine
Fi! sprich nicht von Tyrannen und Knochen! Mir graut vor Gespenstern!
Blitzt es? So spät im Jahr? Ach! wenn das Wetter nur hell bleibt!
Henning, schon wieder! O sieh! der ganze Teich ist wie Feuer!

Henning
Hm! das Wetter kühlt sich nur ab.


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Gedichte Die Leibeigenschaft - Voß