für zwei fromme Kinder
1.
Ein Blümlein steh‘ ich im Erdenthal,
Mich lockt die Sonne mit warmem Strahl,
Mit meinen Blättchen buhlet der Wind,
Der Zephyr nennt mich liebliches Kind,
Und Thau und Regen erquicken mich;
Wohl jung und lustig und schön bin ich,
Doch muß ich welken und sterben.
Und wann ich endlich gestorben bin,
So schläft und träumet mein kleiner Sinn
Im Winterwiegelein still und fromm;
Dann kommt der Frühling und rufet: komm!
Wach Kindlein! ruft die Sonne dazu,
Wach auf vom Schlummer! vorbei ist die Ruh,
Sollst wieder blühen in Freude.
2.
Zieh mich auf! zieh mich auf zu dir!
Du, der im Himmel wohnet.
O wie schön, o wie schön bei dir,
Der überschwänglich lohnet!
Jugend flieht, Freude fliehet früh,
Glück wechselt leicht abwendig;
Gott versäumt, Gott vergisset nie,
Ist immer gleich beständig.
Sei denn fromm, sei denn still in mir,
Mein Herz in süßer Freude!
Denn er wohnt und er zieht in dir,
Und kennt die Kindlein beide.
3.
Ein Kind wollt‘ Blumen pflücken gehn
Des Morgens früh im Thaue,
Und tausend Blümlein bunt und schön
Entblühten auf der Aue.
Lenz war es rings und Sonnenschein,
Und alle Blümlein groß und klein
Standen da in süßer Freude.
Und als das Kindlein tritt ins Feld,
Die Blümlein werden munter,
Und jedes gleich sein Köpfchen hält
Hinaufwärts und hinunter,
Wohin des Kindleins Händchen langt;
Ein jedes Blümlein sehr verlangt
In seiner Hand zu sterben.
Da plötzlich tritt ein Engel weiß
Gar freundlich zwischen beide
Und spricht: Gegrüßt der Jugend Preis!
Und Blümlein auf der Haide!
Voll Himmelslust und Himmelsschein,
Von innen und von außen rein,
Blumen schön und fromme Kinder!
Willkommen, Veilchen still und zart!
Willkommen, Lilie reine!
Und du von Königinnenart
Und Königin alleine,
Du Rose, hohes Purpurrot!
Euch Holde alle segne Gott,
Wie er dies Kindlein segnet!
Er drauf das Kindlein freundlich küßt
Und küßt die Blumen schöne,
Dann rauscht er wie er kommen ist,
Dahin wie Saitentöne.
Das Kindlein blickt ihm brünstig nach,
Und lauscht den Worten, die er sprach
Und ruft: ach! komm doch wieder!
Und als er doch nicht wiederkömmt,
So geht es traurig weiter,
Und nichts die heißen Thränen hemmt,
Die fallen auf die Kräuter
Und auf die Blumen rings umher:
Dem Kindlein wird das Herz so schwer
Und will ihm fast zerbrechen.
Da siehe! wie ein Himmelschein
Fällt ihm ein Glanz entgegen,
Es schießt ein helles Kränzelein
Herab als Himmelssegen,
Und fällt dem Kindlein in den Schoß,
Ihm wird das Herz in Freuden groß
Wohl ob dem lieben Kränzel.
Und diesen Kranz von Engelhand
Das Kindlein hat getragen,
So lang es ging im Erdentand,
In Nächten und an Tagen;
Das Kränzlein schön von Himmelsart
Hat weiß und rein das Kind bewahrt
Und ihm das Herz behütet.
So oft nun Kinder Blumen sehn,
Sie soll’n des Engels denken,
Daß ihnen auch er wolle schön
Ein solches Kränzel schenken.
Mit Erdenblumen spielt der Wind,
Doch Blumen, die vom Himmel sind,
Die blühen unvergänglich.
4.
Gott, deine Kindlein treten
Mit Freuden zu dir hin,
Sie stammeln und sie beten:
Du kennst der Worte Sinn.
Was aus dem Borne quillet,
Der nimmermehr versiegt,
Was ihnen selbst verhüllet
Im tiefsten Herzen liegt,
Das lockst du hoch nach oben
In seliger Begier,
Die Milde dein zu loben
Und Güte für und für.
O du, der in den Höhen
Und in den Tiefen wohnt,
Laß kindlich uns verstehen,
Was überschwenglich lohnt.
Gieb fromme Kinderworte
Und süßen Kinderwahn!
So wird uns einst die Pforte
Der Himmel aufgethan.
5.
Du, der in flammende Gebete
Des Lebens höchste Kraft gelegt
Und aus des Busens tiefster Stätte
Das Herz in süßer Sehnsucht regt,
Du, aller Himmel höchster Meister,
Du, alles Lebens höchster Schein,
Komm, führe in das Land der Geister
Dein sehnend Kind zum Lichte ein!
Wo Myriaden Sonnen kreisen,
Der Morgenröte Jubelklang
In tausendfach verschiednen Weisen
Ertönt, ein seliger Gesang,
Wo Millionen Heil’ge knieen
Und schauen dir ins Angesicht,
O Vater! Gott! laß dort mich blühen
Am kleinsten Strahl von deinem Licht!
Denn ach! zur kalten Erde wollen
Die Himmelslichter nicht herab,
Und ihre goldnen Lampen rollen
Gefühllos über Sarg und Grab;
Der Wechsel hier vom Leid zum Glücke,
Vom Glück zum Leide ist zu schwer:
Es bricht die zarte Geisterbrücke,
Und Paradiese blühn nicht mehr.
Drum Himmel steige! sinke Erde!
Und irdisch Leben unter mir!
Daß ich ein weißer Engel werde,
Steht, weiße Engel, neben mir
Und helft im Glauben mir vollenden
Der Erde mühevollen Streit
Und traget mich auf reinen Händen
Empor ins Land der Seligkeit.
6.
Wir wandeln hier in Finsternissen
Und schaun vergebens nach dem Licht!
Nicht trösten mag uns, was wir wissen,
Und was wir können, helfen nicht:
So wickelt ewig auf und ab
Sich Labyrinth aus Labyrinthen,
Und heute sehen wir verschwinden,
Was gestern süße Täuschung gab.
Doch liebt der Stolze seine Irre,
Der Eitle seinen Lügenschein,
Und wirret in das Truggewirre
Sich jede Stunde fester ein,
Verschmäht die Wahrheit für Gedicht,
Verschmäht die Flamme für den Schimmer
Und hascht und sucht und findet immer,
Doch ach! sich selber find’t er nicht.
O du, durch den die Sinnen brennen
Und leuchtend durch die Himmel gehn,
Gott, lehre du mich selbst erkennen
Und meiner Künste Lug verstehn,
O hebe dein demütig Kind
Empor mit deinen Liebesarmen,
Und laß sein Herz in dir erwarmen,
Vor dem die Engel Stammler sind!
Aus deines Lichtes reichem Meere
Floß einst ein einziger Tropfen aus
Und zündete die Sternenheere
Und Lampen all im Himmelshaus –
O einen Funken nur für mich!
Nur einen Schimmer von dem Glanze!
Und droben in dem Sternentanze
Mit allen Sel’gen preis‘ ich dich,
7.
Lehr‘ mich beten,
Gott der Herrlichkeit!
Kindlich vor dich treten,
Wie das Herz gebeut.
Mach‘ unschuldig,
Mache fromm dein Kind,
Denn die Welt ist schuldig
Übervoll voll Sünd‘.
Nach dem Bilde
Schufest du mich dein,
Vater aller Milde,
Laß mich heilig sein!
Nimm die Erde,
Nimm die Schuld von mir!
Daß ich Engel werde,
Wohne du in mir!
O Gedanke!
Himmelschein voll Licht!
Erd und Himmel wanke!
Gott verläßt mich nicht.
8.
Traum ist das Leben,
Schatten von Träumen der Jugend Lust:
Wolken verschweben,
Also die Bilder der Menschenbrust;
Alles ist Wanken,
Sinken und Steigen,
Selbst die Gedanken,
Sterblicher, sind nicht dein eigen.
Doch willst du bauen,
Bauen auf das, was vergänglich ist,
Doch willst du trauen
Dem, was das Maß der Sekunde mißt:
Trug aus Betruge
Spinnen und weben
Taumelnd im Fluge,
Eitler, das heißet dein Leben.
Saget denn keiner
Mir, wie die Unruh zur Ruhe wird?
Tröstet denn keiner
Sehnsucht, die schmachtend im Busen girrt?
Himmlischer Glaube,
Magst du nicht finden,
Wie aus dem Staube
Wir uns das Bleibende gründen?
Ach! nicht hienieden,
Nicht, wo in Gräbern die Asche liegt,
Suche den Frieden,
Nicht, wo die Freude mit Winden fliegt.
Arbeit und Thränen
Irdischem weihe,
Aber dein Sehnen
Stelle zur himmlischen Bläue.
Da gehn die Lichter,
Ewige Spiegel der reinsten Lust,
Liebende Richter,
Liebende Tröster der Menschenbrust;
Dahin gerichtet,
Was dich bedränget!
Da wird gelichtet,
Was dir hier Nacht noch verhänget.
9.
Gottes süße Liebe,
Gottes freundlich frommes Herz,
Ziehe meine Triebe
Alle himmelwärts
Unten sind nur Thränen,
Unten ist nur eitel Lug,
Ungestilltes Sehnen,
Täuschung nur und Trug.
Unten ist nur Mühe,
Kampf nur, wenn’s am besten ist,
Hader spat und frühe,
Daß man dein vergißt.
Alle, gleich den Blinden,
Tappen wir in Biesternis,
Können dich nicht finden
In der Finsternis.
O du reiche Quelle,
O du Brunnen jeder Lust!
Mache mir es helle,
Hell in Aug und Brust!
Ziehe, süße Liebe,
Aus dem Dunkel mich zum Licht,
Alle meine Triebe,
All mein Angesicht.
Gottes Liebe, ziehe,
Zieh‘ in dich mich ganz hinein!
Daß ich hier schon blühe
Wie ein Himmelsschein.
Gottes Liebe, Spiegel
Aller Freude, alles Lichts,
Gieb mir Sonnenflügel
Zu entfliehn dem Nichts.
Daß ich gleich der Lerche
Flieg empor ins Sternenhaus
Ueber Thal und Berge
Und die Welt hinaus.
10.
Ich bin so traurig in dem Herzen
Und weiß nicht mehr wohin noch her,
In meinem Innern braust von Schmerzen
Ein weites kaltes wüstes Meer,
Es reißt mich Sehnsucht und Verlangen
Vom Süd zum Nord, vom Ost zum West,
Gleich einem Menschen, der von Schlangen
Im Busen trüg‘ ein ganzes Nest.
Ich bin so traurig in dem Sinne,
Der sonst so still und freundlich war,
So voll von Gottes süßer Minne,
So voll von Gottes Lichte klar;
Bei Menschen fühl‘ ich mich verlassen,
Und einsam faßt mich schlimme Not,
Ich kann mich selber nicht mehr fassen
Und wünsche oft: o wärst du tot!
Denn ach! mein Gott hat mich verlassen,
Weil ich zuerst mich selbst verließ
Und auf des Lebens breite Straßen
Mich thöricht gnug verlocken ließ.
Im bunten gaukelnden Gebrause
Wo floh es hin, mein altes Glück?
Wie find‘ ich zu der stillen Klause
Der Kinderunschuld nun zurück?
O du, der in das Land der Nächte
Die Liebe selbst herabgesandt,
Daß sie uns allen Gnade brächte
Und Heilung mit der milden Hand,
Der sie ans harte Kreuz geschlagen,
Mit Dornen blutig sie zerriß,
Daß wir in Sünden nicht verzagen,
Der unerschöpften Huld gewiß.
Du tröste, was den Trost verloren,
Du richte das Gefallne auf
Und zu den steilen Himmelsthoren
Gieb Mut und Licht dem Pilgerlauf.
Du bist die Güte, du die Treue,
Ich bin der Staub, ich bin das Nichts,
Das sehnend lechzt zur heitern Bläue
Des reinen Glücks, des reinen Lichts.
11.
Der heil’ge Christ ist kommen,
Der süße Gottessohn,
Des freun sich alle Frommen
Am höchsten Himmelsthron;
Auch was auf Erden ist,
Muß preisen hoch und loben
Mit allen Engeln droben
Den lieben heil’gen Christ.
Das Licht ist aufgegangen,
Die lange Nacht ist hin,
Die Sünde ist gefangen,
Erlöset ist der Sinn,
Die Sündenangst ist weg,
Und Liebe und Entzücken
Baun weite Himmelsbrücken
Aus jedem schmalsten Steg.
Verwaiset sind die Kinder
Nicht mehr und vaterlos,
Gott rufet selbst die Sünder
In seinen Gnadenschoß,
Er will, daß alle rein
Von ihren alten Schulden,
Vertrauend seinen Hulden,
Gehn in den Himmel ein.
Drum freuet euch und preiset,
Ihr Kindlein fern und nah!
Der euch den Vater weiset,
Der heil’ge Christ ist da;
Er ruft so freundlich drein
Mit süßen Liebesworten:
Geöffnet sind die Pforten,
Ihr Kinder, kommt herein!