Sang der sonderbare Greise
Auf den Märkten, Straßen, Gassen
Gellend, zürnend seine Weise:
„Bin, der in die Wüste schreit.
Langsam, langsam und gelassen!
Nichts unzeitig! nichts gewaltsam!
Unablässig, unaufhaltsam,
Allgewaltig naht die Zeit.
Torenwerk, ihr wilden Knaben,
An dem Baum der Zeit zu rütteln,
Seine Last ihm abzustreifen,
Wann er erst mit Blüten prangt!
Laßt ihn seine Früchte reifen
Und den Wind die Äste schütteln!
Selber bringt er euch die Gaben,
Die ihr ungestüm verlangt.“
Und die aufgeregte Menge
Zischt und schmäht den alten Sänger:
„Lohnt ihm seine Schmachgesänge!
Tragt ihm seine Lieder nach!
Dulden wir den Knecht noch länger?
Werfet, werfet ihn mit Steinen!
Ausgestoßen von den Reinen,
Treff ihn allerorten Schmach!“
Sang der sonderbare Greise
In den königlichen Hallen
Gellend, zürnend seine Weise:
„Bin, der in die Wüste schreit.
Vorwärts! vorwärts! nimmer lässig!
Nimmer zaghaft! kühn vor allen!
Unaufhaltsam, unablässig,
Allgewaltig drängt die Zeit.
Mit dem Strom und vor dem Winde!
Mache dir, dich stark zu zeigen,
Strom – und Windeskraft zu eigen!
Wider beide gähnt dein Grab.
Steure kühn in grader Richtung!
Klippen dort? die Furt nur finde!
Umzulenken heischt Vernichtung,
Treibst als Wrack du doch hinab.“
Einen sah man da erschrocken
Bald erröten, bald erblassen:
„Wer hat ihn hereingelassen,
Dessen Stimme zu uns drang?
Wahnsinn spricht aus diesem Alten;
Soll er uns das Volk verlocken?
Sorgt, den Toren festzuhalten,
Laßt verstummen den Gesang!“
Sang der sonderbare Greise
Immer noch im finstern Turme
Ruhig, heiter seine Weise:
„Bin, der in die Wüste schreit.
Schreien mußt ich es dem Sturme;
Der Propheten Lohn erhalt ich!
Unablässig, allgewaltig,
Unaufhaltsam naht die Zeit.“