Gedichte Die Vogelhütte

Regen, Regen, immer Regen! will nicht das Geplätscher enden,
Daß ich aus dem Sarge brechen kann, aus diesen Bretterwänden?

Sieben Schuhe ins Gevierte, das ist doch ein ärmlich Räumchen
Für ein Menschenkind, und wär‘ es schlank auch wie ein Rosenbäumchen!

O was ließ ich mich gelüsten, in den Vogelherd zu flüchten,
Als nur schwach die Wolke tropfte, als noch flüsterten die Fichten:

Und muß nun bestehn das Ganze, wie wenn zögernd man dem Schwätzer
Raum gegeben, dem langweilig Seile drehnden Phrasensetzer;

Und am Knopfe nun gehalten, oder schlimmer an den Händen,
Zappelnd wie der Halbgehängte langet nach des Strickes Enden!

Meine Unglücksstrick‘ sind dieser Wasserstriemen Läng‘ und Breite,
Die verkörperten Hyperbeln, denn Bindfäden regnet’s heute.

Denk‘ ich an die heitre Stube, an das weiche Kanapee,
Und wie mein Gedicht, das meine, dort zerlesen wird beim Tee:

Denk‘ ich an die schwere Zunge, die statt meiner es zerdrischt,
Bohrend wie ein Schwertfisch möcht‘ ich schießen in den Wassergischt.

Pah! was kümmern mich die Tropfen, ob ich naß ob säuberlich!
Aber besser stramm und trocken, als durchnäßt und lächerlich.

Da – ein Fleck, ein Loch am Himmel; bist du endlichdoch gebrochen,
Alte Wassertonne, hab‘ ich endlich dich entzwei gesprochen?

Aber wehe! wie’s vom Fasse brodelt, wenn gesprengt der Zapfen,
Hör‘ ich’s auf dem Dache rasseln, förmlich wie mit Füßen stapfen.

Regen! unbarmherz’ger Regen! mögst du braten oder sieden!
Wehe, diese alte Kufe ist das Faß der Danaiden!

Ich habe mich gesetzt in Gottes Namen;
Es hilft doch alles nicht, und mein Gedicht
Ist längst gelesen und im Schloß die Damen,
Sie saßen lange zu Gericht.

Statt einen neuen Lorbeerkranz zu drücken
In meine Phöboslocken, hat man sacht
Den alten losgezupft und hinterm Rücken
Wohl Eselsohren mir gemacht.

Verkannte Seele, fasse dich im Leiden,
Sei stark, sei nobel, denk, der Ruhm ist leer,
Das Leben kurz, es wechseln Schmerz und Freuden,
Und was dergleichen Neugedachtes mehr!

Ich schau mich um in meiner kleinen Zelle:
Für einen Klausner wär’s ein hübscher Ort;
Die Bank, der Tisch, das hölzerne Gestelle,
Und an der Wand die Tasche dort;

Ein Netz im Winkelchen, ein Rechen, Spaten –
Und Betten? nun, das macht sich einfach hier;
Der Thimian ist heuer gut geraten,
Und blüht mir grade vor der Tür.

Die Waldung drüben – und das Quellgewässer –
Hier möcht‘ ich Heidebilder schreiben, zum Exempel:
„Die Vogelhütte“, nein – „der Herd“, nein besser:
„Der Knieende in Gottes weitem Tempel.“

’s ist doch romantisch, wenn ein zart Geriesel
Durch Immortellen und Wacholderstrauch
Umzieht und gleitet, wie ein schlüpfend Wiesel,
Und drüber flirrt der Stöberrauch;

Wenn Schimmer wechseln, weiß und seladonen;
Die weite Ebne schaukelt wie ein Schiff,
Hindurch der Kiebitz schrillt, wie Halkyonen
Wehklagend ziehen um das Riff.

Am Horizont die kolossalen Brücken –
Sind’s Wolken oder ist’s ein ferner Wald?
Ich will den Schemel an die Luke rücken,
Da liegt mein Hut, mein Hammer, – halt:

Ein Teller am Gestell! – was mag er bieten?
Fundus! bei Gott, ein Fund die Brezel drin!
Für einen armen Hund von Eremiten,
Wie ich es leider heute bin!

Ein seidner Beutel noch – am Bort zerrissen;
Ich greife, greife Rundes mit der Hand;
Weh! in die dürre Erbs‘ hab‘ ich gebissen –
Ich dacht‘, es seie Zuckerkand.

Und nun die Tasche! he, wir müssen klopfen –
Vielleicht liegt ein Gefangner hier in Haft;
Da – eine Flasche! schnell herab den Pfropfen –
Ist’s Wasser? Wasser? – edler Rebensaft!

Und Edlerer, der ihn dem Sack vertraute,
Splendid barmherziger Wildhüter du,
Für einen armen Schelm, der Erbsen kaute,
Den frommen Bruder Tuck im Ivanhoe!

Mit dem Gekörn will ich den Kiebitz letzen,
Es aus der Lücke streun, wenn er im Flug
Herschwirrt, mir auf die Schulter sich zu setzen,
Wie man es liest in manchem Buch.

Mir ist ganz wohl in meiner armen Zelle;
Wie mir das Klausnerleben so gefällt!
Ich bleibe hier, ich geh nicht von der Stelle,
Bevor der letzte Tropfen fällt.
Es verrieselt, es verraucht,
Mählich aus der Wolke taucht
Neu hervor der Sonnenadel.
In den feinen Dunst die Fichte
Ihre grünen Dornen streckt,
Wie ein schönes Weib die Nadel
In den Spitzenschleier steckt;
Und die Heide steht im Lichte
Zahllos blanker Tropfen, die
Am Wacholder zittern, wie
Glasgehänge an dem Lüster.
Überm Grund geht ein Geflüster,
Jedes Kräutchen reckt sich auf,
Und in langgestrecktem Lauf,
Durch den Sand des Pfades eilend,
Blitzt das goldne Panzerhemd
Des Kuriers;1 am Halme weilend
Streicht die Grille sich das Naß
Von der Flügel grünem Glas.
Grashalm glänzt wie eine Klinge,
Und die kleinen Schmetterlinge,
Blau, orange, gelb und weiß,
Jagen tummelnd sich im Kreis.
Alles Schimmer, alles Licht,
Bergwald mag und Welle nicht
Solche Farbentone hegen,
Wie die Heide nach dem Regen.

***

Ein Schall – und wieder – wieder – was ist das? –
Bei Gott, das Schloß! Da schlagt es acht im Turme –
Weh mein Gedicht! o weh mir armem Wurme,
Nun fällt mir alles ein, was ich vergaß!
Mein Hut, mein Hammer, hurtig fortgetrabt –
Vielleicht, vielleicht ist man diskret gewesen,
Und harrte meiner, der sein Federlesen
Indes mit Kraut und Würmern hat gehabt. –
Nun kommt der Steg und nun des Teiches Ried,
Nun steigen der Alleen schlanke Streifen;
Ich weiß es nicht, ich kann es nicht begreifen,
Wie ich so gänzlich mich vom Leben schied –
Doch freilich – damals war ich Eremit!


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Gedichte Die Vogelhütte - Droste-Hülshoff