Gedichte Die seidne Schnur

1.

Im Harem weilt der Großwesir;
Mit Dolch und Flinte vor der Tür
Steht Wache haltend der Arnaut;
Auf eines Tigers bunter Haut

Liegt der Gebieter. – Schleierlos,
Kein Gurt umfängt den vollen Schoß;
Aus Purpurfalten glänzt wie Schnee
Ihr Fuß mit ringgeschmückter Zeh‘;

Entfesselt rollt ihr Haupthaar hin –
Ruht schlummernd die Zirkassierin
An seiner Brust! Vom Kaukasus
Der Demant glänzt am Bosporus.

Sein Auge glüht; sein Barthaar wallt
Auf die wollüstige Gestalt.
Sie träumt; sie lächelt; der Email
Der Zähne glänzt! – „Birgt dein Serail,

Soliman, solch ein Weib?“ – Er sinkt
Zu ihr hinab, brünstig umschlingt
Er sie, berauscht von ihrem Hauch,
Von Moschusduft und Ambrarauch.

2.

„Ein Reitertrupp! – der Aga der
Eunuchen, Jussuf!“ – „Bringt ihn her!“ –
Jussuf, der Neger aus Dar Fur,
Reicht grinsend ihm – die seidne Schnur.

3.

Wie die Oase der Samum
Versengt, gleichwie das Opium
Betäubt, wie gift’gen Hauchs die Pest
Hinwirft und ihren Raub nicht läßt:

So treffen des Verschnittnen Worte
Den Großwesir der hohen Pforte.
Sein Mund wird blau, sein Antlitz fahl,
In Stücke reißt er seinen Schal.

„Daß dich des Blitzes Glut versehrt,
O Maulbeerbaum, der du genährt
Den Wurm, der diese Seide spann!
Verdorren soll die Hand dem Mann,

Der knechtisch diese Schnur gedreht,
Die – von Roßschweifen einst unweht!
An Leilas – meine Zeit ist um!
Das Schicksal will es! – Opium!

Ha, daß mich kein Rhodiser Spieß
Im Handgemenge jäh durchstieß!
Ha, daß mich nicht im goldnen Mörser
Zerstampfte der siegtrunkne Perser!

Ich ward verschont! – der Strang von Seide
War mir bestimmt“ – er sinnt; der Scheide
Nimmt er den Dolch; hin fliegt die Schnur
Auf des Gemaches Teppichflur.

Leilas Gelock, lang, wallenden Falls,
Schlingt er sich um den sehn’gen Hals;
Fest knüpft er es; sie schläft; das Erz
Stößt er ihr abgewandt durchs Herz.

Sie zuckt empor; sie will entfliehn;
Die Haare – sie erdrosselt ihn!
Um seinen Mund spielt gräßlich Lächeln,
Dumpf durchs Gemach schallt beider Röcheln.


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