Gedichte Wiegenlied dem jungen Mineralogen

Wolfgang von Goethe

Den 21. April 1818

Singen sie Blumen der kindlichen Ruh,
Käfer und Vögel und Tierchen dazu;
Aber du wachest, wir treten herein,
Bringen was Ruhiges, bringen den Stein.

Steinchen, die bunten, ein lustiges Spiel!
Was man auch würfe und wie es auch fiel‘.
Kindischen Händchen entschnickt sich so fein
Knöchlein und Bohnen und Edelgestein.

Knabe, du siehest nun Steine behaun,
Ordnend sich fügen, zu Häusern sich baun.
Wohl! du verwunderst dich, stimmest mit ein:
Das ist wahrhaftig ein nützlich her Stein!

Spielst du mit Schussern, das Kügelchen rollt,
Dreht sich zur Grube, so wie du gewollt,
Läufest begierig auch hinter ihm drein,
Das ist fürwahr wohl ein lustiger Stein.

Steinchen um Steinchen verzettelt die Welt,
Wissende haben’s zusammengestellt;
Trittst du begierig zu Sälen herein,
Siehst du zuerst nicht den Stein vor dem Stein.

Doch unterscheidest und merkest genau:
Dieser ist rot, und ein andrer ist blau,
Einer, der klärste, von Farben so rein,
Farbig erblitzet der edelste Stein.

Aber die Säulchen, wer schliff sie so glatt,
Spitzte sie, schärfte sie glänzend und matt?
Schau in die Klüfte des Berges hinein,
Ruhig entwickelt sich Stein aus Gestein.

Ewig natürlich bewegende Kraft
Göttlich gesetzlich entbindet und schafft;
Trennendes Leben, im Leben Verein,
Oben die Geister und unten der Stein.

Nun, wie es Vater und Ahn dir erprobt,
Gott und Natur und das All ist gelobt!
Komme! der Stiftende führet dich ein,
Unserem Ringe willkommener Stein!


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