Gedichte Die deutsche Flotte

Erwach‘, mein Volk, mit neuen Sinnen!
Blick‘ in des Schicksals goldnes Buch,
Lies aus den Sternen dir den Spruch:
Du sollst die Welt gewinnen!
Erwach‘, mein Volk, heiß deine Töchter spinnen!
Wir brauchen wieder einmal deutsches Linnen
Zu deutschem Segeltuch.

Hinweg die feige Knechtsgebärde;
Zerbrich der Heimat Schneckenhaus,
Zieh mutig in die Welt hinaus,
Daß sie dein eigen werde!
Du bist der Hirt der großen Völkerherde,
Du bist das große Hoffnungsvolk der Erde,
Drum wirf den Anker aus!

War Hellas einst von beßrem Stamme
Als du? von beßrem Stamme Rom?
Daß Hermann, dein gepriesner Ohm,
Mein Volk, dich nicht verdamme –
Hinaus ins Meer mit Kreuz und Oriflamme!
Sei mündig und entlaufe deiner Amme,
Wie seinem Quell dein Strom!

Wohl ist sie dein, die schönste Flotte,
Die je ein sterblich Aug‘ entzückt:
Der Münster Schiffe, wie geschmückt
Hast du sie deinem Gotte!
Du lächelst ob der Feinde schwachem Spotte,
Wenn sie auf schwankem Brett, die freche Rotte,
Die Frucht der Erde pflückt.

Auch diese Frucht sollst du ersiegen,
Wenn erst das Salz dein Ruder netzt,
Und all die Sterne, die sich jetzt
Stolz überm Haupt dir wiegen,
Gleich schmucken Sklaven dir zu Füßen liegen;
So zwischen zweien Himmeln hinzufliegen –
Dies Ziel ist dir gesetzt!

O blick‘ hinaus ins Schrankenlose!
Bestürmt dein Herz nicht hohe Lust,
Wenn, wie an einer Mädchenbrust
Die aufgeblühte Rose,
Die Sonne zittert in des Meeres Schoße?
Und rauschen nicht der Tiefe tausend Moose
Dir zu: du mußt! du mußt!?

Gleicht nicht das heil’ge Meer dem weiten
Friedhof der Welt, darüber hin
Die Wogen Decken von Rubin
Und grüne Hügel breiten?
Um deiner Toten Asche mußt du streiten!
Ha! schlummern nicht aus deiner Hansa Zeiten
Auch deutsche Helden drin?

Wiegt sich nicht auf kristallnem Stuhle
Im Meer der Nereiden Schar,
Die sich ihr Schicksal Jahr um Jahr
Abspinnt von goldner Spule?
Lockt sie dich nicht, der Becher nicht von Thule,
Das wilde Meer, der Freiheit Hohe Schule,
Lockt dich nicht die Gefahr? –

Das Meer wird uns vom Herzen spülen
Den letzten Rost der Tyrannei,
Sein Hauch die Ketten wehn entzwei
Und unsre Wunden kühlen.
O laßt den Sturm in euren Locken wühlen,
Um frei wie Sturm und Wetter euch zu fühlen;
Das Meer, das Meer macht frei!

Kühn, wie der Adler kommt geflogen,
Nimmt der Gedanke dort den Lauf,
Kühn blickt der Mann zum Mann hinauf,
Den Rücken ungebogen.
Noch schwebt der Geist des Schöpfers auf den Wogen,
Und in den Furchen, die Kolumb gezogen,
Geht Deutschlands Zukunft auf.

Wie dich die Lande anerkennen,
Soll auch das Meer dein Lehen sein,
Das alle Zungen benedein
Und einen Purpur nennen.
Er soll nicht mehr um Krämerschultern brennen –
Wer will den Purpur von dem Kaiser trennen?
Ergreif ihn, er ist dein.

Ergreif ihn und mit ihm das Steuer
Der Weltgeschichte, fass‘ es keck!
Ihr Schiff ist morsch, ihr Schiff ist leck,
Sei du der Welt Erneuer!
Du bist des Herrn Erwählter und Getreuer;
O sprich, wann lodern wieder deutsche Feuer
Von jenes Schiffes Deck?

Hör‘, Deutschland, höre deine Barden:
Dir blüht manch lustig Waldrevier –
Erbaue selbst die Segler dir,
Der Freiheit beste Garden,
Mit eignen Flaggen, eigenen Kokarden;
Bleib nicht der Sklave jenes Leoparden
Und seiner schnöden Gier!

Wen bittrer Armut Not erfaßte,
Und wer verbannt die See durchwallt,
Daß heiße Sehnsucht nicht zu bald
Die Seele ihm belaste:
Dem sei’s beim Schwanken einst der deutschen Maste,
Als ob er träumend noch zu Hause raste
Im kühlen Eichenwald.

Es wird geschehn! sobald die Stunde
Ersehnter Einheit für uns schlägt,
Ein Fürst den deutschen Purpur trägt,
Und einem Herschermunde
Ein Volk vom Po gehorchet bis zum Sunde;
Wenn keine Krämerwage mehr, wie Pfunde,
Europas Schicksal wägt.

Schon schaut mein Geist das nie Geschaute,
Mein Herz wird segelgleich geschwellt,
Schon ist die Flotte aufgestellt,
Die unser Volk erbaute;
Schon lehn‘ ich selbst, ein deutscher Argonaute,
An einem Mast, und kämpfe mit der Laute
Ums goldne Vlies der Welt.


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