Gedichte Wohlgeboren und Hochwohlgeboren

Von zwei deutschen Dichtern in Paris.

I. Wohlgeboren

So hab‘ ich es nach langen Jahren
Zu diesem Posten noch gebracht
Und leider nur zu oft erfahren,
Wer hier im Land das Wetter macht.
Du sollst, verdammte Freiheit! mir
Die Ruhe fürder nicht gefährden;
Lisette, noch ein Gläschen Bier!
Ich will ein guter Bürger werden.

Auch ich sprach einst vom Vaterland
Und solchen sonderbaren Dingen,
Ich trug mein schwarzrotgolden Band
Und ließ die Sporen furchtbar klingen:
Doch selig, wer im Gleise geht
Und still im Joche zieht auf Erden –
Was hilft die Genialität?
Ich will ein guter Bürger werden.

Diogenes vor seiner Tonne –
Vortrefflich, wie beneid‘ ich ihn!
Es war noch keine Julisonne,
Die jenen Glücklichen beschien.
Was Monarchie? was Republik?
Wie sich die Leute toll gebärden!
Zum Teufel mit der Politik!
Ich will ein guter Bürger werden.

Gewiß, man tobt sich einmal aus –
Es wär‘ ja um die Jugend schade –
Doch, führt man erst sein eigen Haus,
So werden Fünfe plötzlich grade.
In welcher Mühle man uns mahlt,
Das macht uns nimmer viel Beschwerden;
Der ist mein Herr, der mich bezahlt -,
Ich will ein guter Bürger werden.

Jedwedem Umtrieb bleib‘ ich fern,
Der Henker mag das Volk beglücken!
Ein Orden ist ein eigner Stern,
Wer einen hat, der soll sich bücken.
Bück‘ dich, mein Herz! bald fahren wir
Zur Residenz mit eignen Pferden;
Lisette, noch ein Gläschen Bier!
Ich will ein guter Bürger werden.

II. Hochwohlgeboren

Justum et tenacem propositi virum – Horatius

Ein guter Bürger willst du werden?
Pfui, Freund! – Ein guter Bürger – du?
Das also war dein Ziel auf Erden?
Dem stürmten deine Lieder zu?
O, nimm’s zurück, das ekle Wort!
Wer mag sich so gemein gebärden?
Nein, nein, mich reißt es weiter fort:
Ich muß Geheimer Hofrat werden!

Um meine Wiege sah die Amme
Schon frühe den Prophetenschein,
Und in mir diese ew’ge Flamme,
Sie kann, sie darf nicht Lüge sein.
Bleib du im Tal, wo dir’s behagt,
Und grase mit den Pöbelherden,
In mir steht fest, was ich gesagt:
Ich muß Geheimer Hofrat werden!

Daß unsre Wege so sich teilen,
Glaub‘ mir, Georg, es tut mir weh;
Du gehst zum Bier; und ich derweilen
Zu einem Oberappellationsgerichtsvizepräsidenten – Tee.
Du hast erfüllt dein stilles Los,
Das meine liegt noch den Behörden
Der dunkeln Zukunft schwer im Schoß:
Ich muß Geheimer Hofrat werden!

So mancher hat’s doch schon erreicht,
Der höher noch als ich gedachte,
Der krummer seinen Vers vielleicht
Und krummer seinen Rücken machte.
Was einer kann, das kann auch ich! – –
Und, trotz Gefährden und Beschwerden,
Schwör‘ ich’s – St. Huber, höre mich! –
Ich muß Geheimer Hofrat werden!

Sieh: ein Logis im ersten Stocke,
Recht weit und reich, mit Maß geheizt,
Ein Kreuzchen auf dem schwarzen Rocke,
Das sich kokett versteckt und spreizt,
Ein Chaischen, ein Livreechen drauf,
Und fährt’s auch mit Fiakerpferden –
Bruder! die Seele geht mir auf: –
Ich muß Geheimer Hofrat werden!

Noch lebt ein Gott: Verdienst zu lohnen,
Noch steht manch edles Fürstenhaus;
Gott teilt den Fürsten ihre Kronen,
Die Fürsten uns die Titel aus.
Gewiß, gewiß! ich find‘ es noch
Mein letztes Ziel auf dieser Erden;
Wär’s nur um Voigtens Nekrolog: –
Ich muß Geheimer Hofrat werden!


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