Gedichte Verse aus dem Gefängnis

Militärgefängnis Nürnberg, April 1919

I

Zuerst rannte ich mit dem Kopf gegen die Wand
Und rüttelte an den Stäben.
Ich verfluchte Tod und Leben
Und steckte mit meinem feurigen Blick das ganze Gefängnis in Brand.
Das vergitterte Fenster oben war blind und klein.
Ich wusste nie, ob die Sonne schien oder Regen.
Ich hungerte und hatte tausend Mägen,
Und ich wollte so gerne mein eigener Enkel sein.
Dann warf ich mich auf die Pritsche hin.
Eine Schale Suppe ist durch die Tür geschwebt.
Ich habe wie ein hungriger Menagerielöwe gebebt.
Einmal ging ein Frauenschritt auf dem Gang vorüber. Der Schritt einer Königin.
Schliesslich bin ich davon überzeugt, dass ich ein Verbrecher sei,
Und dass ich mit vollem Recht unschädlich gemacht bin.
Ich dulde es, dass ich vom Wärter verlacht bin,
Und ich fühle, dass er so etwas wie ein Cherubim
Mit Flammenschwert und meiner Taten Rächer sei.
Einmal wird die Tür sich öffnen und wie eine Gnade
Wird mir die edle Freiheit wieder von Gott gewährt.
Ich stürze sofort in ein erstklassiges Hotel und bade
Und gehe in die Reitschule und besteige mein Lieblingspferd.
Ich glaube, es hiess Mimi, wie das zarte Mädchen in dem bekannten Bohème-Romane,
Und ich jage durch den englischen Garten und reite durch Felder von Korn und Mohn,
Und ich rase und schwinge der Sonne rote Fahne
Und ich reite voran der himmlischen Revolution.

II

Kann ich denn noch Verse singen,
Wo ich hinter Stäben sitze?
Donner donnre, Blitze blitze,
Und die Wand will nicht zerspringen.
Ginge doch die Tür und käme
Eine frauliche Gestalt,
Die mich bei den Händen nähme,
Sie sei Mädchen oder alt.
Wenn der Tisch sich doch belebte,
Wenn mein Mantel mich umfinge!
Dieses Kissen an mir hinge,
Dieses Bildnis – wenn es lebte!

III

Drausseu singt ein Vogel in der Welt.
Draussen blüht ein blaues Frühlingsfeld,
Draussen geht ein Mädchen Arm in Arm
Österlich geputzt mit dem Gendarm.
Draussen sitzen satt im Restaurant
Bürger bei Musik und Gabelklang.
Auf der Burg von Nürnberg spielt ein Kind
Mit den Wolken und dem Himmelswind.
Und der Untersuchungsrichter streicht
Seiner Frau das blonde Haar vielleicht.
Draussen lächeln sie einander an:
Greis und Säugling, Mädchen oder Mann.
Draussen lieben sie einander sehr:
Reh und Wiese, Sonnenschein und Meer.

IV

Nun wird es wieder dunkel.
Kein Stern tritt mit Gefunkel
In meine Zelle ein.
Die Wände schier erblassen,
Und grüne Hände fassen
Nach mir wie zum Gespensterreihn.

Wie wird es morgen werden?
Kein Himmel hier auf Erden.
Die Nacht so sanfte Wellen schlägt.
Ich sinke wie verloren,
Umhüllt von schwarzen Floren,
In einen Fluss, der mich von dannen trägt.

V

Und heut in der Nacht / da bin ich erwacht,
Es schrieb eine Hand an der Wand.
Und die Schrift war rot / wie Blut so rot,
Und wie Wachs so weiss war die Hand.

Und ich sahs und vergass / meine Ängste und las,
Was die Hand, die silberne, schrieb.
Bedarfst du mein? / Du bist nicht allein
Und ich hab dich ewig lieb.

Vergiss nicht die Fei / und die heilige Drei
Und den Schrei und den endlosen Kuss.
Der Kerker zerbricht / es naht das Gericht,
Und zur Quelle empor fliesst der Fluss.

Die Nacht und der Tag / der Mond und der Hag,
Wir lieben uns immer neu.
Du küsst meine Stirn / wie Sonne den Firn
Und als Bettler hüllt uns die Streu.

Bleibe du, bleibe ich / so singe, so sprich,
Sprach ich recht, sprach ich dich, sprach ich du?
Ich ergriff an der Wand / die silberne Hand,
Und sie zog mich den Sternen zu.

VI

Wie der Schneefuchs der Polarnacht
Streif ich einsam durch das Leben,
Keinem künftig hingegeben,
Weil die Einsamkeit nur wahr macht.
Fälschte nicht des Bruders Tritt ich?
Wünscht zum Ziel er meinen Rat sich?
Jeder suche seinen Pfad sich,
Und schon schwirrt des Geiers Fittich.

Ja: verzeiht dem armen Toren,
Dass er focht für seine Brüder.
Hier, die Waffen legt er nieder,
Denn ihr habt ihn nicht erkoren.
Blasser starrt der Mond und gelber,
Felsen folgen seinem Scheine.
Und vergebt mir, dass ich weine,
Denn nichts wollt ich für mich selber.

VII

Sonett auf Nürnberg

Du deutsche Stadt, du deutscheste der Städte,
Mich Wankenden beschützen deine Mauern.
Zart bist du zu dem Zarten, rauh zum Rauhern.
Ich bete deine steinernen Gebete.

O Zeit, da gut und fromm selbst das Geräte!
Ich fühle mich bewegt von edlen Schauern.
Gott, welcher Bild und Giebel ward, wird dauern,
Wenn wir längst Dünger nur für Friedhofbeete.

Sind diese Gräben für den Krieg geschaffen?
Um Scharten blüht der Ginster und der Flieder.
Der Goldschmied, nahm er Gold, um zu erraffen?

Die Zeit war ewig. Lerchen ihre Lieder.
Lass unsere Seelen sich zur Einfalt straffen
Und gib uns Dürer, gib Hans Sachs uns wieder!


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