Gedichte Vorfrühling 1923

Heute fing ich – Krieg ist Krieg – eine Maus in der Schlinge.
Frühlingswolken flattern rosig im Winde.
Emma schrieb mir von unserm gemeinsamen Kinde,
Daß es schon in die Schule ginge,
Daß – wie erhebend! – ein Einser Fritzchens Zensur im Rechnen ziere,
Weil er patriotisch (nebenbei gesagt: als Einziger der Klasse,
Der Idiot…) à la hausse der Mark spekuliere…

Heute begegnete ich den ersten Staren.
Zum erstenmal bin ich auch mit der Nord-Süd-Bahn gefahren.
Ich bildete mir ein, vom Nord – zum Südpol zu rasen.
Am Wedding sah ich Eskimos mit Tran handeln,
Pinguine durch die Chausseestraße wandeln,
Und am Halleschen Tor hörte ich die Kaurineger im Jandorfkraal
Zum Kampfe blasen.

Nur immer Mut! Die Front an der Ruhr steht fest.
Die Kohlen werden von Tag zu Tag billiger.
Die Nächte kürzer. Die Gesichter länger. Die Frauen williger.
Und wenn nicht Alles täuscht (es rüsten Russen und Polen,
Rumänen, Ungarn, Jugoslawen und Mongolen):
So wird uns spätestens mit den ersten Schoten
Der unwiderruflich letzte Krieg geboten.
Immer ran! Das darf Keiner versäumen! Rassenkampf! Klassenkampf! Wer geht mit? (Ich passe – Und offeriere für Kriegsberichterstatter fünftausend ungedruckte Stimmungsbilder aus dem vorletzten Weltkrieg, sofort greifbar gegen Kasse.)


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