Gedichte Das Reich der Geister

(16. Dezember 1832)

Es lag ein Wüterich auf goldnem Kissen,
Und schlief; da kamen fürchterliche Träume
Ihm ins Gemüt, gleich wilden Schlangenbissen:
Sie führten ihn in außerirdische Räume,
Vom Reich der Geister fühlt er sich umfangen,
Das ewig klar und ohne Wolkensäume:
Entsetzlich war ihm, was die Geister sangen,
Wie einst Tarquin vom Brutus ward vertrieben,
Und wie Hipparchos nicht dem Tod entgangen.
Und solche Frevler wagt man hier zu lieben,
So denkt er bei sich selbst, wo ist die Achtung
Für jeden Machtspruch, den ich ausgeschrieben?
Was will die Sonne hier, da längst Umnachtung
Ich übern Horizont der Welt verbreitet,
Wo Jeder kniet vor mir in Selbstverachtung?
Und sieh, ein Mann mit hoher Stirne schreitet
Auf ihn heran und ruft: Bejammernswerter,
Welch Schreckenschicksal ist dir hier bereitet!
Hier herrscht die Freiheit stets in unbeschwerter
Gedankenruh, du kannst sie nicht verjagen,
Ohnmächtig sind hier alle deine Schwerter!
Doch will zuerst ich, wer ich sei, dir sagen:
Ich bin der große florentinische Dichter,
Nach dessen Staub du magst Ravenna fragen:
Ich war den Sündern meiner Zeit ein Richter;
Doch unter Allen, welche schon verwesen,
Erreichte keiner dich und dein Gelichter!
Was wird man einst auf deinem Grabe lesen,
Der du zugleich Herodes gegen Kinder,
Und gegen Männer Ezzelin gewesen!
Ein Unterdrücker, nicht ein Überwinder;
Gezeugt von einer schauderbarn Lemure,
Und dann gepfropft noch auf den Stamm der Schinder!
Sohn eines Bankerts, Enkel einer Hure,
Vernimmst du nicht, daß Alle dich begrüßen:
Rehabeam, wie steht’s mit deinem Schwure?
Hier hast du nun die grause Schuld zu büßen:
Die Letzten selbst im Reich der Geister grollen
Dir ins Gesicht und treten dich mit Füßen!
Gehorsam wußte dir die Welt zu zollen:
Dort nannten Schurken dich sogar den Frommen,
Hier wär’s Verbrechen, dir gehorchen wollen!
Wo sind die Sklaven alle hingekommen,
Die unterwürfig ihrem Herrn und Meister
Jedweden blutigen Frevel übernommen?
Hier gilt Gesetz, hier äußert sich in freister
Tatkraft die Tugend, die du hast gelogen:
Hier giltst du nichts, du bist im Reich der Geister.
Wie haben deine Schmeichler dich betrogen!
Nun wirst du (wer gedächte dich zu schonen?)
Zur ungeheuren Rechenschaft gezogen!
Vernimm! von allen jenen Millionen,
Die du gestürzt in Jammer und in Klage,
Die du geschleppt in fürchterliche Zonen,
Von Allen, denen du verkürzt die Tage,
War Jeder Mensch wie du, der Seelenwäger
Hat sie gewogen auf derselben Waage:
Bald stehn sie Alle gegen dich, die Kläger,
Wann ihre Zähren sich zum Strom vermählen,
Aus dem du schöpfen sollst als Wasserträger!
Vom König Kodrus will ich dir erzählen,
Der in den Tod ging, um sein Volk zu retten:
Deins muß sich deinethalb zu Tode quälen!
Und noch auf Lorbeern wähnst du dich zu betten,
Wie deine Schmeichler dir es vorgeplaudert?
Tyrann, erstick in deinen eignen Ketten!
Er spricht’s. Der Wüterich erwacht und schaudert.


1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars (1 votes, average: 5,00 out of 5)

Gedichte Das Reich der Geister - Platen