1.
Graf Richard von der Normandie
Erschrak in seinem Leben nie.
Er schweifte Nacht wie Tag umher,
Manchem Gespenst begegnet‘ er,
Doch hat ihm nie was Graun gemacht
Bei Tage noch um Mitternacht.
Weil er so viel bei Nacht tät reiten,
So ging die Sage bei den Leuten:
Er seh in tiefer Nacht so licht
Als mancher wohl am Tage nicht.
Er pflegte, wann er schweift‘ im Land,
So oft er wo ein Münster fand,
Wenn’s offen war, hineinzutreten,
Wo nicht, doch außerhalb zu beten.
So traf er in der Nacht einmal
Ein Münster an im öden Tal;
Da ging er fern von seinen Leuten,
Nachdenklich, ließ sie fürbaß reiten,
Sein Pferd er an die Pforte band,
Im Innern einen Leichnam fand.
Er ging vorbei hart an der Bahre
Und kniete nieder am Altare,
Warf auf ’nen Stuhl die Handschuh eilig,
Den Boden küßt‘ er, der ihm heilig.
Noch hatt er nicht gebetet lange,
Da rührte hinter ihm im Gange
Der Leichnam sich auf dem Gestelle;
Der Graf sah um und rief: „Geselle!
Du seist ein Guter oder Schlimmer,
Leg dich aufs Ohr und rühr dich nimmer!“
Dann erst er sein Gebet beschloß,
Weiß nicht, ob’s klein war oder groß.
Sprach dann, sich segnend: „Herr! mein Seel
Zu deinen Handen ich empfehl.“
Sein Schwert er faßt‘ und wollte gehen,
Da sah er das Gespenst aufstehen,
Sich drohend ihm entgegenrecken,
Die Arme in die Weite strecken,
Als wollt es mit Gewalt ihn fassen
Und nicht mehr aus der Kirche lassen.
Richard besann sich kurze Weile,
Er schlug das Haupt ihm in zwei Teile;
Ich weiß nicht, ob es wehgeschrien,
Doch mußt’s den Grafen lassen ziehn.
Er fand sein Pferd am rechten Orte;
Schon ist er aus des Kirchhofs Pforte,
Als er der Handschuh erst gedenkt.
Er läßt sie nicht, zurück er lenkt,
Hat sie vom Stuhle weggenommen;
Wohl mancher wär nicht wiederkommen.
2.
In der Abtei von Sankt Ouen
War dazumal ein Sakristan;
Er war als frommer Mönch genannt,
Ihm gutes Zeugnis zuerkannt.
Allein je mehr die Seele wert,
Je mehr der Teufel ihr begehrt.
Einst ging der Mönch, von dem ich sprach,
Im Münster seinem Amte nach,
Da mußt er eine Dame sehen,
Er liebt sie, kann nicht widerstehen,
Er stirbt, wird sie ihm Gunst versagen,
Er will an sie sein Alles wagen.
Wie er nun bat, wie er verhieß,
Die Dame sich bereden ließ,
Sie zeigte Zeit und Ort ihm an,
Wo er zu Nacht sie treffen kann.
Als nun die Nacht gedunkelt tief
Und alles in dem Kloster schlief,
Begann der Bruder seinen Gang,
Er suchte nicht Gesellschaft lang.
Zum Haus der Dame war kein Weg
Als über einen schmalen Steg,
Darüber wollt er eilig gehen;
Nun weiß ich nicht, wie ihm geschehen,
Ob er sich stieß, sich übertrat,
Ob einen falschen Tritt er tat:
Er fiel ins Wasser und versank,
Ohn alle Rettung er ertrank.
Ein Teufel gleich die Seele nahm,
So warm sie aus dem Leibe kam;
Er wollte sie zur Hölle ziehn,
Da trat ein Engel vor ihn hin.
Sie täten um die Seele streiten,
Mit Gründen wechselnd sich bedeuten.
Der Teufel sprach: „Es ziemt dir schlecht,
Zu greifen in mein bestes Recht.
Du weißt, die Seel ist mir gebunden,
Die ich ob bösen Werken funden.
Ich traf den Mönch ob bösen Werken,
Wie an dem Wege leicht zu merken,
Der Weg hat ihm den Stab gebrochen.
Du weißt, es hat der Herr gesprochen:
Wo ich dich find, will ich dich richten.“
Der Engel sprach darauf: „Mit nichten!
Der Bruder lebte wandelfrei,
Solang er war in der Abtei.
Nun hat die Schrift uns klar bedeutet:
Dem Guten ist sein Lohn bereitet.
Dem Unsern muß der Lohn nun werden
Des Guten, das er tat auf Erden.
Die Sünde war noch nicht erfüllt,
Darum du schon ihn richten willt.
Er ist aus der Abtei getreten,
Er hat die Planke zwar betreten,
Allein er konnte noch zurücke,
Wär er gestürzt nicht von der Brücke.
Des Bösen, das er nicht getan,
Darf er die Strafe nicht empfahn,
Und um ein wenig Wollen, nein!
Kann er nicht ein Verdammter sein.
Doch klage keiner übern andern,
Laß uns zum Grafen Richard wandern!
Von ihm sei unser Span geschlichtet!
Er hat noch immer gut gerichtet.“
Der Teufel sprach: „Ich bin’s zufrieden,
Von ihm sei zwischen uns entschieden!“
Sie eilten ins Gemach des Grafen,
Er lag im Bett und hatt geschlafen,
Doch war er jetzo eben wach
Und dachte manchen Dingen nach.
Sie meldeten ihm alles klar,
Wie’s mit der Seel ergangen war.
Sie bäten ihn nun zu entscheiden,
Wem sie gehören sollt von beiden.
Herr Richard hielt nicht lange Rat,
Er kürzlich diesen Ausspruch tat:
„Die Seele gebt dem Leib zurücke
Und stellt das Pfäfflein auf die Brücke
Dahin gerade, wo es fiel!
Dann mische keiner sich ins Spiel!
Und rennt es in gestrecktem Lauf
Voran und schaut nicht um noch auf,
So fall es in des Bösen Schlinge
Ohn Widerspruch und lang Gedinge!
Doch wenn es anders sich entschieden
Und sich zurückzieht, hab es Frieden!“
Der Rechtsspruch, den der Graf getan,
Stund einem wie dem andern an,
Die Seele sie dem Leib einbliesen,
Dem Mönch die alte Stelle wiesen.
Als sich der Bruder wiederfand
Und frisch auf beiden Beinen stand,
Zog schneller er zurück den Schritt,
Als wer auf eine Schlange tritt.
Kaum hatten sie ihn losgelassen,
Tät er mit Abschied kurz sich fassen,
Er floh in größter Hast nach Haus,
Verkroch sich, wand die Kleider aus.
Noch immer er zu sterben bebte,
Er war im Zweifel, ob er lebte.
Als nun der Morgen brach heran,
Da ging der Graf nach Sankt Ouen,
Berief die Brüderschaft zuhand,
Den Mönch in nassen Kleidern fand.
Richard ihn zu sich kommen ließ
Und vor den Abt ihn treten hieß:
„Herr Bruder! wie ist’s Euch ergangen,
Was habt Ihr Schlimmes angefangen?
Ein andermal habt besser acht
Beim Plankengehen in der Nacht!
Erzählt dem Abte frei und offen,
Was Euch in dieser Nacht betroffen!“
Der Bruder schämte sich zu Tod,
Er ward bis über die Ohren rot,
Vor Abt und Grafen so zu stehen,
Doch tät er alles frei gestehen.
Der Graf bestärkte den Bericht,
So kam die Wahrheit an das Licht,
Und in der Normandie noch lange
War dieses Stichelwort im Schwange:
„Mein frommer Bruder, wandelt sacht
Und nehmt auf Stegen Euch in acht!“