I
Sacht pochet der Käfer im morschen Schrein,
Der Mond steht über den Fichten.
„Jesus Maria, wo mag sie sein!
Hin will meine Angst mich richten.
Helene, Helene, was ließ ich dich gehn
Allein zur Stadt mit den Hunden,
Du armes Kind, das sterbend mir
Auf die Seele die Mutter gebunden!“
Und wieder rennt Gertrude den Weg
Hinauf bis über die Steige.
Hier ist ein Tobel – sie lauscht am Steg,
Ein Strauch – sie rüttelt am Zweige.
Da drunten summet es elf im Turm,
Gertrude kniet an der Halde:
„Du armes Blut, du verlassener Wurm!
Wo magst du irren im Walde!“
Und zitternd löst sie den Rosenkranz
Von ihres Gürtels Gehänge,
Ihr Auge starret in trübem Glanz,
Ob es die Dämmerung sprenge.
„Ave Maria – ein Licht, ein Licht!
Sie kömmt, ’s ist ihre Laterne!
– Ach Gott, es ist nur ein Hirtenfeur,
Jetzt wirft es flatternde Sterne.
Vater unser, der du im Himmel bist
Geheiliget werde dein Name“ –
Es rauscht am Hange, „heiliger Christ!“
Es bricht und knistert im Brame,
Und drüber streckt sich ein schlanker Hals,
Zwei glänzende Augen starren.
„Ach Gott, es ist eine Hinde nur,
Jetzt setzt sie über die Farren.“
Gertrude klimmt die Halde hinauf,
Sie steht an des Raines Mitte.
Da – täuscht ihr Ohr? – ein flüchtiger Lauf,
Behend galoppierende Tritte –
Und um sie springt es in wüstem Kreis,
Und funkelt mit freud’gem Gestöhne.
„Fidel, Fidel!“ so flüstert sie leis,
Dann ruft sie schluchzend: „Helene!“
„Helene!“ schallt es am Felsenhang,
„Helen‘!“ von des Waldes Kante,
Es war ein einsamer trauriger Klang,
Den heimwärts die Echo sandte.
Wo drunten im Tobel das Mühlrad wacht,
Die staubigen Knecht‘ an der Wanne
Die haben gehorcht die ganze Nacht
Auf das irre Gespenst im Tanne.
Sie hörten sein Rufen von Stund zu Stund,
Sahn seiner Laterne Geflimmer,
Und schlugen ein Kreuz auf Brust und Mund,
Zog über den Tobel der Schimmer.
Und als die Müllerin Reisig las,
Frühmorgens an Waldes Saume,
Da fand sie die arme Gertrud im Gras
Die ängstlich zuckte im Traume.
II
Wie rollt in den Gassen das Marktgebraus!
Welch ein Getümmel, Geblitze!
Hanswurst schaut über die Bude hinaus,
Und winkt mit der klingelnden Mütze;
Karossen rasseln, der Trinker jucht,
Und Mädchen schrein im Gedränge,
Drehorgeln pfeifen, der Kärrner flucht,
O Babels würdige Klänge!
Da tritt ein Weib aus der Ladentür,
Eine schlichte Frau von den Flühen,
Die stieß an den klingelnden Harlekin schier,
Und hat nicht gelacht noch geschrien.
Ihr mattes Auge sucht auf dem Grund,
Als habe sie etwas verloren,
Und hinter ihr trabt ein zottiger Hund,
Verdutzt, mit hängenden Ohren.
„Zurück, Verwegne! siehst du denn nicht
Den Wagen, die schnaubenden Braunen?“
Schon dampfen die Nüstern ihr am Gesicht,
Da fahrt sie zurück mit Staunen,
Und ist noch über die Rinne grad‘
Mit raschem Sprunge gewichen,
Als an die Schürze das klirrende Rad
In wirbelndem Schwunge gestrichen.
Noch ein Moment, – sie taumelt, erbleicht,
Und dann ein plötzlich Erglühen,
O schau, wie durch das Gewühl sie keucht,
Mit Armen und Händen und Knieen!
Sie rudert, sie windet sich, – Stoß auf Stoß,
Scheltworte und Flüche wie Schloßen –
Das Fürtuch reißt, dann flattert es los,
Und ist in die Rinne geflossen.
Nun steht sie vor einem stattlichen Haus,
Ohne Schuh, besudelt mit Kote;
Dort hält die Karosse, dort schnauben aus
Die Braunen und rauchen wie Schlote.
Der Schlag ist offen, und eben sieht
Sie im Portale verschwinden
Eines Kleides Falte, die purpurn glüht,
Und den Schleier, segelnd in Winden.
„Ach“ flüstert Gertrude, „was hab‘ ich gemacht,
Ich bin wohl verrückt geworden!
Kein Trost bei Tag, keine Ruh bei Nacht,
Das kann die Sinne schon morden.“
Da poltert es schreiend die Stiegen hinab,
Ein Fußtritt aus dem Portale,
Und wimmernd rollt von der Rampe herab
Ihr Hund, der zottige, fahle.
„Ja“ seufzt Gertrude, „nun ist es klar,
Ich bin eine Irre leider!“
Erglühend streicht sie zurück ihr Haar,
Und ordnet die staubigen Kleider.
„Wie sah ich so deutlich ihr liebes Gesicht,
So deutlich am Schlage doch ragen!
Allein in Ewigkeit hätte sie nicht
Den armen Fidel geschlagen.“
III
Zehn Jahre! – und mancher der keck umher
Die funkelnden Blicke geschossen,
Der schlägt sie heute zu Boden schwer,
Und mancher hat sie geschlossen.
Am Hafendamme geht eine Frau,
– Mich dünkt, wir müssen sie kennen,
Ihr Haar einst schwarz, nun schillerndes Grau,
Und hohl die Wangen ihr brennen.
Im Topfe trägt sie den Honigwab,
Zergehend in Juliushitze;
Die Trägerin trocknet den Schweiß sich ab,
Und ruft dem hinkenden Spitze.
Der sie bestellte, den Schiffspatron,
Sieht über die Planke sie kommen;
Wird er ihr kümmern den kargen Lohn?
Gertrude denkt es beklommen.
Doch nein, – wo sich die Matrosen geschart,
Zum Strande sieht sie ihn schreiten,
Er schüttelt das Haupt, er streicht den Bart,
Und scheint auf die Welle zu deuten.
Und schau den Spitz! er schnuppert am Grund –
„Was suchst du denn in den Gleisen?
Fidel, Fidel!“ fort strauchelt der Hund,
Und heulet wie Wölfe im Eisen.
Barmherziger Himmel! ihr wird so bang,
Sie watet im brennenden Sande,
Und wieder erhebt sich so hohl und lang
Des Hundes Geheul vom Strande.
O Gott, eine triefende Leich‘ im Kies,
Eine Leich‘ mit dem Auge des Stieres!
Und drüber kreucht das zottige Vlies
Des lahmen wimmernden Tieres.
Gertrude steht, sie starret herab,
Mit Blicken irrer und irrer,
Dann beugt sie über die Leiche hinab,
Mit Lächeln wirrer und wirrer,
Sie wiegt das Haupt bald so bald so,
Sie flüstert mit zuckendem Munde,
Und eh die zweite Minute entfloh,
Da liegt sie kniend am Grunde.
Sie faßt der Toten geschwollene Hand,
Ihr Haar voll Muscheln und Tange,
Sie faßt ihr triefend zerlumptes Gewand,
Und säubert von Kiese die Wange;
Dann sachte schiebt sie das Tuch zurück,
Recht wo die Schultern sich runden,
So stier und bohrend verweilt ihr Blick,
Als habe sie etwas gefunden.
Nun zuckt sie auf, erhebt sich jach,
Und stößt ein wimmernd Gestöhne,
Grad eben als der Matrose sprach:
„Das ist die blonde Helene!
Noch jüngst juchheite sie dort vorbei
Mit trunknen Soldaten am Strande.“
Da tat Gertrud einen hohlen Schrei,
Und sank zusammen im Sande.
IV
Jüngst stand ich unter den Föhren am See,
Meinen Büchsenspanner zur Seite.
Vom Hange schmälte das brünstige Reh,
Und strich durch des Aufschlags Breite;
Ich hörte es knistern so nah und klar,
Grad wo die Lichtung verdämmert,
Daß mich gestöret der Holzwurm gar,
Der unterm Fuße mir hämmert.
Dann sprang es ab, es mochte die Luft
Ihm unsre Witterung tragen;
„Herr“, sprach der Bursche: „links über die Kluft!
Wir müssen zur Linken uns schlagen!
Hier naht kein Wild, wo sie eingescharrt
Die tolle Gertrud vom Gestade,
Ich höre genau wie der Holzwurm pocht
In ihrer zerfallenden Lade.“
Zur Seite sprang ich, eisig durchgraut,
Mir war als hab‘ ich gesündigt,
Indes der Bursch mit flüsterndem Laut
Die schaurige Märe verkündigt:
Wie jene gesucht, bei Tag und Nacht,
Nach dem fremden ertrunkenen Weibe,
Das ihr der tückische See gebracht,
Verloren an Seele und Leibe.
Ob ihres Blutes? man wußte es nicht!
Kein Fragen löste das Schweigen.
Doch schlief die Welle, dann sah ihr Gesicht
Man über den Spiegel sich beugen,
Und zeigte er ihr das eigene Bild,
Dann flüsterte sie beklommen:
„Wie alt sie sieht, wie irre und wild,
Und wie entsetzlich verkommen!“
Doch wenn der Sturm die Woge gerührt,
Dann war sie vom Bösen geschlagen,
Was sie für bedenkliche Reden geführt,
Das möge er lieber nicht sagen.
So war sie gerannt vor Jahresfrist,
– Man sah’s vom lavierenden Schiffe –
Zur Brandung, wo sie am hohlsten ist,
Und kopfüber gefahren vom Riffe.
Drum scharrte man sie ins Dickicht dort,
Wie eine verlorene Seele.
Ich schwieg, und sandte den Burschen fort,
Brach mir vom Grab eine Schmele:
„Du armes gehetztes Wild der Pein,
Wie mögen die Menschen dich richten!“
– Sacht pochte der Käfer im morschen Schrein,
Der Mond stand über den Fichten. –