Gedichte Was bleibt

Seh ich ein Kind zur Weihnachtsfrist,
Ein rosig Kind mit Taubenaugen,
Die Kunde von dem kleinen Christ
Begierig aus den Lippen saugen,
Aufhorchen, wenn es rauscht im Tann,
Ob draußen schon sein Pferdchen schnaube:
„O Unschuld, Unschuld“, denk‘ ich dann,
Du zarte, scheue, flücht’ge Taube!

Und als die Wolke kaum verzog,
Studenten klirrten durch die Straßen,
Und: „Vivat Bona!“ donnert’s hoch,
So keck und fröhlich sonder Maßen;
Sie scharten sich wie eine Macht,
Die gegen den Koloß sich bäume:
„O Hoffnung“, hab‘ ich da gedacht,
„Wie bald zerrinnen Träum‘ und Schäume!“

Und ihnen nach ein Reiter stampft,
Geschmückt mit Kreuz und Epaulette,
Den Tschako lüftet er, es dampft
Wie Öfen seines Scheitels Glätte;
Kühn war der Blick, der Arm noch stramm,
Doch droben schwebt‘ der Zeitenrabe:
Da schien mir Kraft ein Meeresdamm,
Den jeder Pulsschlag untergrabe.

Und wieder durch die Gasse zog
Studentenhauf, und vor dem Hause
Des Rektors dreimal „Hurra hoch!“
Und wieder „Hoch!“ – aus seiner Klause,
In Zipfelmütze und Flanell,
Ein Schemen nickt am Fensterbogen.
„Ha“, dacht ich, „Ruhm, du Mordgesell,
Kömmst nur als Leichenhuhn geflogen!“

An meine Wange haucht‘ es dicht,
Und wie das Haupt ich seitwärts regte,
Da sah ich in das Angesicht
Der Frau, die meine Kindheit pflegte,
Dies Antlitz wo Erinnerung
Und werte Gegenwart sich paaren:
„O Liebe“, dacht ich, „ewig jung,
Und ewig frisch bei grauen Haaren!“


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Gedichte Was bleibt - Droste-Hülshoff